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Winzige Arsendosen

Wer gegen Diskriminierung angehen will, lernt schnell, dass die immer mit der Sprache beginnt.

Sprache erfüllt ihre Funktion nur dann, wenn sie beim Diskriminieren (lateinisch für „unterscheiden“) hilft. Über Wirkungen, unerwünschte Nebenwirkungen und was man gegen diese tun kann.

Alle Diskriminierung beginnt mit der Sprache. „Worte können wie winzige Arsendosen sein: Sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.“ Geschrieben hat das Viktor Klemperer, Bruder des Dirigenten Otto Klemperer, in seinem Tagebuch der Nazi-Jahre „Lingua Tertii Imperii“, die „Sprache des Dritten Reiches“. Wer dieses Buch gelesen hat, kennt den bedrückend unausweichlichen Schritt vom scheinbar harmlosen Wort, das einen Unterschied bezeichnet, hin zur dröhnenden, schreienden, stampfenden Parolenpolitik und von dort direkt in die Mordlager der Nazis und anderer totalitärer Regimes.

Alles beginnt mit der Sprache. Denn Sprache unterscheidet („diskriminiert“) zwangsläufig; das ist auch ihr Strukturprinzip. Der Wortsinn von „diskriminieren“ ist „Unterschiede machen“. Wenn wir´s auf den weißglühenden Punkt bringen wollen: Sprache ist und Sprache macht Ungleichheit. Sie muss das tun, um für uns Gefahr von Nichtgefahr, Nahrung von Gift, Wahrheit von Unwahrheit zu unterscheiden. Sobald sie das nicht mehr tut, hat sie ihre Funktion verloren.

Soweit das erste Learning.

Ohne funktionierende Sprache hätten wir´s nicht einmal ins Neandertal geschafft. Und dass wir jetzt, gemessen am Gebell und Geblöke auf Social Media, wieder auf dem Weg dorthin zurück sind, zeigt: Es ist wirklich wichtig, bewusst mit unserer Sprache umzugehen.

Was also bedeutet „diskriminieren“: „Cerno“ bedeutete im Lateinischen sehen und wahrnehmen, „discernere“ stand für genau unterscheiden, auseinanderhalten. Die anrüchige Bedeutung von Benachteiligung und Entwürdigung hat erst die Moderne entwickelt – übrigens zuerst in amerikanischen Gesetzestexten zur unterschiedlichen Rechtsstellung von Schwarzen und Weißen.

Wir lernen daraus zweitens: Die bloße Unterscheidung ist meist harmlos. Das Gift der Abwertung und Ungleichbehandlung wird erst später reingeträufelt.

Das ebnet übrigens den Weg zu einem häufig vorgebrachten, weil auf den ersten Blick plausiblen, Argument: Nur wir Menschen träufeln die Abwertung in die Sprache rein, wenn wir andere diskriminieren – die arme Sprache kann ja nichts dafür; sie ist ja nur ein harmlos rumliegendes Werkzeug. In der besonders perfiden Deutung wird das Gift überhaupt erst und nur von denen wahrgenommen (gemeint: erfunden), die sich diskriminiert fühlen.

Aber – drittes Learning – die Sprache ist kein harmloses Werkzeug. Sie ist eine Waffe, konstruiert zum Zweck des Diskriminierens bis hin zum Ausschließen, Verletzen, zum Vernichten. Wie eine Schusswaffe, die ja auch nur einen Zweck kennt – abschrecken, verletzen, töten. Nicht die Waffe tötet, sondern nur der Mensch, der den Abzug drückt? Schön wär´s.

Wer das vorbringt, sagt vielleicht auch „Schwarze/r“ ohne böse Absicht: Die Hautfarbe ist ja ein an sich sachliches Kriterium, das erst dann rassistisch wird, wenn es in dieser Absicht gebraucht wird.

An dieser Stelle das vierte Learning: Es gibt mindestens einen sehr guten Grund, nicht alle eigentlich ungerechtfertigten sprachlichen Unterscheidungen abzuschaffen. Denn wie sollte man dann noch die schrecklichen Wege der Benachteiligung, Zerstörung und Vernichtung beschreiben, die wir in der Vergangenheit bestimmten Gruppen zugemutet haben (und manchmal heute noch zumuten)? Black Live Matters ist nicht Vergangenheit, sondern im Wortsinn brennende Gegenwart. Wie damit umgehen, wenn wir die dafür nötigen Begriffe und Worte ausradiert haben?

Und eines noch: Die Kategorien schwarz und weiß sind höchst ungenau, jedenfalls nicht eindeutig; dazwischen liegen unbegrenzt viele Abstufungen. Und wir packen jede Menge Eigenschaften/Vorurteile drauf, wenn wir sie erst einmal gefunden haben: „Frauen reden, Männer handeln.“ Klingt plausibel. Verwenden wir aber das viel genauere „Personen mit weiblichen/männlichen Geschlechtsorganen, die sich auch als weiblich/männlich definieren“, fällt die fehlende Logik des Zusammenhanges leichter und schneller auf.

Und wenn wir schon bei den „Schwarzen“ sind: Die Klassifizierung geht vom Weißen aus, den wir Weiße als Normalfall voraussetzen. Wer „andersrum“ ist, bestimmt der Hetero, sich selbst als Normalfall sehend. Wer heute noch, ohne zu stocken, „die Ärzte“ sagt, ist wahrscheinlich ein Mann, der vom einstigen Normalfall „Frauen sind mitgemeint“ noch nicht losgekommen ist.

Alles, was vom Normalfall abweicht, ist anders, abweichend, fremd. Wer also den „Normalfall“ nicht in Frage stellt, kann gar nicht anders als in die Sprachfalle zu gehen, die, seit es Sprache gibt, für das Fremde Vorsicht und Abgrenzung bereithält, Herabwürdigung und Benachteiligung.

Das mag einst gute, fürs Überleben wichtige Gründe gehabt haben. Aber wo finden sich heute so gute Gründe, wenn wir zum Beispiel nach dem Geschlecht differenzieren und „die Gärtnerin“ sagen: Die braucht ja nur Dinge zu wissen und zu tun, die mit ihrem Geschlecht nullkommanix zu tun haben (harmloses Beispiel). Oder (heikleres Beispiel, aber genauso fragwürdig) „die Kindergärtnerin“? Besonders schlimm fällt die Ausgrenzung und Benachteiligung aber bei Begriffen wie „Homosexuelle“ auf: Dass ein erheblicher Teil der Menschen, man kann es nicht anders sagen, reduziert wird und schon dadurch herunterqualifiziert auf das Niveau der bloßen Sexualität, dafür gibt es nicht einmal den Schimmer einer Begründung. „Homosexuelle“ ist ein Kampf- und Ausgrenzungsbegriff von Heteros, Kirchen und Weltanschauungen, die mit Menschen nicht zurechtkommen, die bloß in einem Lebenssegment anders funktionieren als sie.

Die Unterscheidungen der Sprache sind beständig gewordene Kodierungen von Gesellschaft und Kultur; sie wurden selbstverständlich und wirken höchst praktisch. Wenn alles so gut funktioniert – wozu dann nachdenken über Alternativen zur Benachteiligung durch Sprache?

Wahrscheinlich wird es nicht damit getan sein, einfach ein N-Wort durch ein braveres zu ersetzen, weil das den „Normalfall“ nicht in Frage stellt, in dem die bösen Wörter/Unterscheidungen/Zuschreibungen wurzeln. Wahrscheinlich werden wir nicht mehr können als immer weiter vorwärts zu stolpern mit dem immer neu zu unternehmenden Versuch, die Unterscheidungen (und ihre manchmal irrationale Basis) anzusprechen: Was spricht gegen das Lehrpersonal, die Reinigungskraft, das Chormitglied? Eigentlich nur, dass wir es nicht gewöhnt sind.

Die anderen Möglichkeiten bleiben ja erhalten – vom Binnen-I über den Gender Gap bis hin zur expliziten Benennung aller Geschlechter. Mühsam? Sicher. Aber die Sache wert. Es geht dabei auch darum, langsam (sowas geht nur langsam) das eigene und das Bewusstsein der Umwelt zu bilden, der Umwelt so zu zeigen, dass man das Thema ernst nimmt.

Und das Thema ist, dass wir schon durch die Sprache beginnen, andere zu benachteiligen. Und dass das so nicht bleiben soll, wenn wir die Würde des Menschen ernst nehmen.

Also auch unsere eigene.

Von Paul Yvon

Lambda Autor (Foto: © Nikolaus Yvon)