Die einen feiern, die anderen trauern.
Tradition kann vieles bedeuten, meist aber eine kulturelle Praxis, welche sich durch Wiederholung überliefert und als erhaltungswert angesehen wird. Ohne diesen positiven Faktor könnte man auch behaupten, wiederkehrende schlimme Ereignisse seien Tradition. In Österreich, wie auch weltweit, gilt das leider für strukturelle Gewalt gegenüber Frauen und queere Menschen. Vor allem für erstere, man darf dabei Mehrfachbetroffenheit nie außer Acht lassen, gibt es seit 1981 den Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen, welcher zu Ehren der Schwestern Mirabal einberufen wurde. Sie lehnten sich Mitte des 20. Jahrhunderts gegen den Diktator der Domenikanischen Republik Trujillo auf, wofür der sie besonders gewaltsam ermorden ließ. Seit 1991 gibt es deshalb einen 16-tägigen Aktionszeitraum, der mit dem Orange Day am 25. November eingeleitet wird. Mehr dazu findet sich ab Seite 8 im Artikel von Chelsea, auch warum gerade die Farbe Orange dafür so wichtig ist. Die Lesbencommunity und die Gemeinschaft queerer Frauen* allgemein standen seit Beginn der modernen feministischen Bewegung Seite an Seite. Diese Ausgabe bereichern poetische Texte über das Leben als weiblich gelesene Person. Hat sich wirklich so viel verändert in den letzten hundert Jahren, wie wir bis vor kurzem vielleicht dachten? Trotz zahlreicher Abspaltungen, Dispute und Neuausrichtungen ist auch das zur feministischen Tradition geworden: gemeinsame Gedenkarbeit.
Zum Transgender day of Remembrance gedenken wir gemeinsam den Opfern transfeindlicher Gewalt. Diese ist eng mit der patriarchalen Gewalt gegen Weiblichkeit verbunden. Durch die global gut orchestrierte und finanzierte Sündenbockpolitik gegen trans Personen, erleben nun neben trans Menschen wieder vermehrt cis Frauen Gewalt, die nicht in das veraltete Rollenbild einer Frau reinpassen. Sei es durch die Merkmale, die ihnen aufgrund ihrer Herkunft zugeschrieben werden, oder durch ihre soziale Klasse, wenn sie sich bestimmte Behandlungen nicht leisten können, die von Frauen erwartet werden. Cis Männer, die Teil der queeren Community sind, berichten uns jedoch auch von einem Anstieg des Hasses gegenüber ihnen. Männlichkeitsbilder, die zu solchen Übergriffen führen, hängen ganz stark mit der Gewalt gegen Frauen zusammen. Es heißt nicht umsonst immer „Feminismus hilft nicht nur Frauen, sondern uns allen“.
Laut einer aktuellen Studie (Queer in Wien 2025) zeigt sich, für Menschen aus der Community wohl wenig überraschend, nun nochmal schwarz auf weiß, dass die Gruppe, welche am meisten Hass ausgesetzt ist, laut den Aussagen von Betroffenen aus Wien, trans Personen sind. Besonders im Bereich Gesundheit erleben LGBTIQ-Menschen, trans Personen aber ganz besonders, massive Diskriminierung. Das beginnt bereits bei der fehlenden Anerkennung eines Versorgungsnotstandes, wodurch Wartelisten für dringende Operationen zur Transition bereits bis zu fünf Jahre im Voraus geführt, alles darüber dann nicht mal mehr erfasst wird.
Es gibt daneben trotzdem einige Dinge zu feiern. Wir dürfen uns alle auf ein neues Zentrum für sexuelle Gesundheit in Wien freuen, welches sich den traditionsbewussten Namen magnus* verliehen hat. Welche großen Pläne es für das aus dem Aidshilfehaus entstehenden Zentrums geben wird, erklärt ab Seite 26 Juliana Metyko-Papousek. Das Zentrum folgt einem akuten Bedarf und ist in Zeiten von Sparmaßnahmen und ideologisch motivierten Streichungen in der HIV-Forschung, durch autokratische Herrscher wie Trump, bitter notwendig, was Peter Funk in diesem Heft genauer ausführt.
Zu bedenken ist, wie Belastungen unsere Community in der Vergangenheit immer auch zusammengeschweißt haben. Gerade in Momenten tiefster Trauer erkennen wir die Notwendigkeit einer solidarischen Gemeinschaft, die als Auffangbecken für gesellschaftlich benachteiligte Gruppen eine Ersatzfamilie bedeuten kann, mit der man durch gute und schlechte Zeiten geht. Gedenken heißt manchmal sich mit Stolz an fortwährende Traditionen unserer LGBTIQ-Community zu erinnern. Eindrücklich zeigt das unser Names Project, welches Petra Paul in einem am 29. November 2025 präsentierten Film über die Geschichte der Quilt-Gedenktücher für die Nachwelt festhielt.
Ich durfte mich hingegen mit dem Künstler XTZ Lamborghini über seinen Bezug zu schwulen Traditionen wie Cruising und dem Hanky-Code unterhalten (Fotostrecke MC Cruising ab Seite 36). Und selbst wenn es dabei vor allem um sexuelle Gesundheit, sexuelle Erfahrungen und sexpositive Räume ging, finden die Fans der schwulen Romantik im Kulturteil etwas fürs Herz, nämlich eine Besprechung des zweiten Bands einer Fotobuchserie mit Männerpaaren von 1850-1950 (Seite 41).
Lasst uns eigene Traditionen bewahren, neue aufleben, und uns dazu von dieser Ausgabe inspirieren! Es soll uns stetig in der Nase kitzeln, weil wir so viel aneinander denken. Ich sage schonmal im Sinne dieser Ausgabe: Gesundheit!
