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Tap,Tap, Bang

Social Media & das Aussterben von Cruising

Vom Rascheln im Gebüsch zum „Online now“

Früher brauchte es keine Push-Benachrichtigungen, um zu wissen, dass jemand in der Nähe war. Ein Blick, ein Nicken, vielleicht ein leichtes Berühren im Vorbeigehen – mehr brauchte es nicht, um sich zu verstehen. Cruising, das anonyme Aufeinandertreffen an oft versteckten öffentlichen Orten, war jahrzehntelang ein fester Bestandteil schwuler und bisexueller Männerkultur.

Es war mehr als nur Sex. Es war ein Code, eine Geheimsprache, ein Stück gelebter Freiheit in einer Welt, die diese Freiheit oft nicht gewährte.

Vom Schatten ins Display

Heute reicht ein „Tap“ auf Grindr, Scruff oder PlanetRomeo und schon weiß man, wer zwei Straßen weiter im Bett liegt. Dating-Apps haben das Kennenlernen revolutioniert: Sie sind schnell, direkt und lassen kaum Raum für Missverständnisse. Aber mit dieser Effizienz verschwindet auch etwas: die Spannung des Zufalls, das unvorhersehbare Spiel, die Romantik des Ungeplanten.

Während für viele Jüngere die Idee vom Cruising in dafür ausgelegten, oft auch verruchten, dunklen Bars mit Dark Rooms und Eintrittspreis heute an Stellenwert verloren hat, bleibt das Interesse an der Aktivität per se bestehen.

Mehr Sichtbarkeit, weniger Notwendigkeit

Ein weiterer Grund: Queere Zuneigung ist in vielen Regionen sichtbarer und akzeptierter geworden. Wo einst ein öffentlicher Kuss riskant war, ist er heute in manchen Städten Alltag. Früher war Cruising auch ein sicherer Weg, um Intimität zu leben, ohne die Gefahr, öffentlich erkannt zu werden. Diese Schutzfunktion verliert an Bedeutung. Zumindest dort, wo die gesellschaftliche Akzeptanz gewachsen ist.

Wer ist heute noch am Cruisen?

Cruising ist nicht komplett verschwunden, denn es hat seine Nischen. In einigen urbanen Zentren, auf Festivals oder in Clubs mit dunklen Cruising-Areas lebt die Kultur weiter. Auch im ländlichen Raum kann sie bestehen, wo queere Räume fehlen und Apps nicht immer den gewünschten Diskretionsgrad bieten. Studien zeigen, dass Cruising-Treffpunkte weiterhin überwiegend von Männern genutzt werden. Ein Gendergefälle, das auch mit historisch gewachsenen Strukturen der Szene zu tun hat.

Tot oder nur im Wandel?

Wird Cruising in 20 Jahren nur noch in queeren Geschichtsbüchern auftauchen? Vielleicht. Vielleicht erlebt es aber auch eine Renaissance als bewusste Gegenkultur zu den algorithmisch optimierten Begegnungen im Digitalen. Die Vorstellung, jemanden nicht über ein Profilbild, sondern über einen Blick im Halbdunkel kennenzulernen, hat für manche wieder etwas Reizvolles.

Denn egal, ob per App oder unter knisternden Blättern, am Ende geht es um das Bedürfnis, sich nie geändert hat: Zuneigung, Nähe und die Magie des Moments.

Dieser Text wurde gemeinsam von Florian Niederseer und Sebastian Brandstätter verfasst.

Von Sebastian Brandstätter

studiert Politikwissenschaften, ist Redakteur bei Gay-Salzburg.at und im Vorstand der Heublumen – LGBTQIA+ Initiative