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Gefilmte Geschichte

Ein Interview mit Katharina Müller
Österreichisches Filmmuseum

Katharina Müller leitet seit 2018 die Abteilung für Forschung, Vermittlung und Publikationen des „Österreichischen Filmmuseums“. Seit 2023 ist sie Elise-Richter-Stelleninhaberin am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaft (IFK) der Kunstuniversität Linz. Seit 2011 Lehrbeauftragte der Film-, Medien- und Kulturwissen­schaf­ten an den Universitäten Wien, St. Gallen (HSG), Salzburg sowie an der Akademie der bildenden Künste Wien. Promotion 2014 (DOC/Österreichische Akademie der Wissenschaften). Kuratorische Arbeiten für diverse Filmfestivals, u.a. Diagonale – Festival des österreichischen Films.

Du arbeitest gerade an einem Projekt zur Sicherung und Analyse von LGBTIQ-relevanten Laufbildern, also Filmen, TV Sendungen und private Aufnahmen – inklusive Material, das die HOSI Wien zur Verfügung stellen konnte. Wie bist du an die Recherche herangegangen, inwiefern war Sprache beim Auffinden von Stichwörtern eine Herausforderung?

Was mir aufgefallen ist, entlang von Sprache als Stolperstein, ist, wenn ich Begriffe wie HOSI, Rosa Lila Villa oder Frauencafe bei der Schlagwortsuche im ORF Archiv eingebe, es zu fast keinem Ergebnis führt. Selbst die HOSI ist nicht in dem Maße als Schlagwort annotiert, dass ich sie als solche so finde. Das heißt, ich hätte diese Geschichte nicht im gleichen Maße rekonstruieren können, wenn ich nicht diese HOSI Medlies (Anm: verschiedenes, a varied mixture) zur Hand gehabt hätte. Sprache ist ja sozusagen die Grundlage von Auffindbarkeit und von Sichtbarkeit im Archiv – und genau das hat mich auch vorwiegend interessiert: diese Frage des Zugänglichmachens. Denn eine Datenbank funktioniert immer mit Vereindeutigen, doch sexuelle, geschlechtliche Vielfalt liegt natürlich weit jenseits davon. Also da beginnt schon bei der Sprache das Problem. Wenn ich unter dem Begriff schwul, lesbisch oder trans im Bewegungsarchiv (Anm: archivierte Dokumente, Filme, Fotos etc.der LGBTIQ Community) etwas nicht finde, dann kann das sowohl ein Zeichen der Vernachlässigung sein wie aber auch ein Zeichen des Schutzes. Und das ist sozusagen die Kernambivalenz, das Kernproblem, mit dem ich gekämpft habe bei meiner Suche.

Ich hatte am Anfang schon eine große Eile bei diesem Projekt, weil ich wusste, dass diese Videokassetten, beispielsweise von großartigen Ereignissen wie die lesbisch-schwulen Festwochen der HOSI 1991, die warmen Wochen oder was auch immer die HOSI gefeiert hat, dass diese Kassetten, die jetzt über 30 Jahre alt sind, noch eine zu erwartende Lebensdauer von möglicherweise null Jahren haben. Somit hatte ich einen irren Stress mit der Frage: ob und wie archivieren? Und welche ethischen Fragestellungen tun sich da auf? Denn es geht hierbei natürlich um reale Personen, reale Existenzen in einer politisch aktuell eher angespannten bis hin zu ja sehr starker repressiver und faschistoider Tendenz. Und wenn etwas archiviert wird, unter welchen Begriffen? Denn in dem Moment, wo du einen Stempel draufgibst, machst du etwas angreifbar. Und da sind wir beispielsweise wieder in der NS-Geschichte, 1933 etwa: der Plünderung der Magnus Hirschfeld Archive. In dem Moment, wo ich etwas zentralistisch sammle und schwul, lesbisch, trans, LGBTIQ darauf schreibe, setzte ich es natürlich auch einer Gefahr aus. Deshalb verwehre ich mich, es in die großen Sammlungen, Datenbanken, oder online Ausstellungsmöglichkeiten zu geben. Ich habe das wirklich als Communitymaterial zurück in die Hände der Community gelegt, um gemeinsam mit ihr mehrere und vielfältige Wege der Archivierung oder Verlängerung dieser Geschichte zu überlegen.

Kannst Du uns etwas zu Codewörtern erzählen?

Chiffren oder Codewörter sind natürlich wichtige Elemente, allerdings nichts, womit man in einem hegemonialen Archiv wie etwa dem ORF fündig wird. In den Community-Archiven zu Beginn meiner Recherchen fand sich eigentlich das allermeiste. Anders als bei Schriftnachlässen war zu Beginn meiner Recherchen sowohl im „Qwien – Zentrum für queere Geschichte“ als auch im „Stichwort – Archiv der Frauen- und Lesbenbewegung“ noch kein so großes Bewusstsein oder auch Wissen zum Umgang mit visuellem Material gegeben. Das Problem ist aber sicher auch ein logistisches, die Digitalisierung von VHS-Kassetten ist teuer. Das heißt, es ging sehr stark auch darum, Strukturen überhaupt erst zu finden und da waren sowohl das „Österreichische Filmmuseum“ als auch die „Österreichische Mediathek“ ein ganz toller Kooperationspartner, weil dadurch alles, was Aktivismus betrifft, der schon in eine Öffentlichkeit gegangen war, und somit Bilder, die ja wirklich schon auf der Straße draußen waren, bewahrt, gesichert und zu Langzeitsicherungsstrukturen eingespielt werden konnten. Diese Medien sollten aber auch nicht ganz so einfach zugänglich sein. Auffindbar ja, aber es sollte sich jemand schon ein wenig auskennen, drinnen sein in der Community sozusagen. Das habe ich versucht sicherzustellen, was natürlich schwierig ist; aber da muss jetzt jemand schon mit der Szene vertraut sein oder sich den Orten annähern, um letztendlich auch fündig zu werden. Das große Rauspreschen habe ich vermieden, aber wenn man es finden will, kann man es.

Das Projekt hat dich jahrelang in Anspruch genommen. Wirst du das überhaupt einmal abschließen können, „jetzt ist der Punkt erreicht wo es fertig ist“?

Also die Idee hatte ich schon 2019. 2020/21 habe ich begonnen zu suchen, zu fragen. Nächstes Jahr wird es hoffentlich als Habilitationsschrift eingereicht und dann wird man sehen, was die Beurteilenden dazu denken. Ich möchte die Studie auf jeden Fall als Buch veröffentlichen und das wird sicherlich nochmals ein großer Aufwand, mit der Frage von Bildlichkeit etwa: was wird davon gezeigt, was nicht. Dann hoffe ich auf einen Abschluss. Ich habe ehrlich gesagt nicht damit gerechnet so viel Material zu finden. Queere Geschichte wird ja gerne als eine Geschichte der Repression erzählt und dass aufgrund des Totalverbots keine Bilder existieren bzw. was existiert hat vernichtet wurde (Anm.: in Österreich bestand bis Anfang 1997 mit § 220 Strafgesetzbuch ein Verbot der “Werbung für Unzucht mit Personen des gleichen Geschlechtes oder mit Tieren”). Dem wollte ich etwas entgegensetzen. Aber dass ich so viel Material finden würde, das hätte ich so nicht gedacht. Ich konnte dann auch nur einen Teil analysieren, aber das sind immer noch neben 100 Spielfilmen rund 400 TV-Sendungen und 500 Amateur/aktivistische Filme. Ich habe mir vorgestellt „ein paar Filme werde ich schon finden, wenn es zu wenig ist, strecke ich es mit Fernsehen“. Aber es ist genau umgekehrt gekommen. Ich hatte einen Sammelaufruf gemacht für den privaten Bereich, gemeinsam mit dem „Österreichischen Filmmuseum“, Qwien und auch der HOSI, die ihn geteilt hat. Es war so auch der Versuch, in den Bundesländern Leute zu erreichen.

Gibt es vergleichbare Projekte dieser Art auch außerhalb Österreichs?

Nein, es gibt kein vergleichbares Projekt. Das war auch der Ansatz und ein Argument, um es beim FWF einzureichen. Das Projekt entstand dann im Rahmen eines Elise Richter Förderprogramms. Es gibt zwar einzelne kleinere Home Movie Initiativen in den USA, z. B. das Lesbian Home Movie Project in Maine, weiters eine Kollegin in Schweden, Dagmar Brunow, die sich im Zusammenhang mit dem „bildwechsel“-Archiv in Hamburg schon mit diesem Thema auseinandergesetzt hat. Es hat sicher auch damit zu tun, dass Österreich ein kleines Land ist und administrativ leichter zu bewältigen ist als etwa die USA oder auch Deutschland. Österreich ist auch nochmals spannend aus dieser langen Verbotszeit heraus, das Schlusslicht in der EU, was die rechtliche Gleichstellung von LGBTIQ-Personen betrifft. Daher die Rechnung, die ja auch ich machte, „queere Geschichte fängt eh erst 1997 an, weil es ja davor ein Verbot auf Laufbild gab“. Aber so war es ganz und gar nicht, das hatte niemanden aufgehalten, privat Erinnerungen bildlich festzuhalten.

Von Barbara Fröhlich

Names Project Wien