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Editorial

Was ist es uns wert?

Hallo an alle unsere geschätzten regelmäßigen Leser*innen! Ein herzliches Willkommen auch an alle, die uns vielleicht zum ersten Mal in der Hand halten, etwa durch unsere Kooperation zur Vienna Pride, die diese Ausgabe österreichweit sichtbar macht.

Und schon sind wir mittendrin in unserer Debatte, welche Partnerschaften im Kampf für Menschenrechte sinnvoll sind, und wo wird unsere traditionsreiche Geschichte als LGBTIQ-Community lediglich genutzt, ohne echten Einsatz für unsere Anliegen?

Dieses Phänomen nennt man Pink-Washing, oder neuerdings Rainbow-Washing, gezieltes Marketing, das ein Unternehmen als besonders queerfreundlich darstellen soll, um von Problemen wie Ausbeutung, Diskriminierung oder fragwürdigen Geschäftsmodellen abzulenken. Dabei wird echtes Interesse an unserer Community oft nur vorgetäuscht, das eigentliche Ziel ist Profitmaximierung.

Ein klassisches Beispiel sind die jährlichen Pride-Kollektionen von Fast-Fashion-Ketten wie H&M. Obwohl sie mit bunten Statements werben, nehmen sie für eine möglichst kostengünstige Produktion nach wie vor weltweite Menschenrechtsverletzungen in Kauf. H&M war eine der ersten globalen Marken, die diesen Schritt wagten, zu einer Zeit, als queere Anliegen zunehmend in den Mainstream drängten. Plötzlich galt es als schick, Teil einer Bewegung mit so einer Erfolgsgeschichte zu sein.

Das Problem: Die Community selbst profitierte kaum davon. Anfangs wurde keine faire Beteiligung ermöglicht, später flossen zwar Teile der Einnahmen an lokale Organisationen, aber reicht das? Andere Firmen zogen nach, vermieden manche Fehler, gingen aber ähnliche Risiken ein. Denn letztlich entscheiden realistisch gesehen Umsatzzahlen, ob ein Unternehmen sich eine öffentliche Positionierung schlichtweg leisten kann. Manchmal ist es aber auch umgekehrt, und sie können es sich wirtschaftlich nicht leisten, sich nicht für uns zu positionieren; dann kommt es besonders oft zu Konflikten bei der Umsetzung.

„Ihr werdet mit Sichtbarkeit entlohnt“ klingt auf den ersten Blick vielleicht nach einem guten Deal, vor allem, wenn man bedenkt, wie lange unsere Community schon marginalisiert wurde. Doch wir bleiben zu Recht skeptisch. Was ist, wenn sich der politische Wind wieder dreht wie sich gerade abzuzeichnen scheint? Zu oft wurden wir fallen gelassen.

Vertrauen entsteht nur durch Erfahrung, und diese wird gerade auf die Probe gestellt, etwa durch Entwicklungen in den USA, wo sogar vermeintliche Verbündete wie Disney einerseits auf queeres Publikum setzen, gleichzeitig aber mit ihren Gewinnen Kampagnen und Gesetzesvorhaben gegen unsere Rechte mitfinanzieren. Auch Elon Musks rechte Parolen zeigen, in manchen Wirtschaftskreisen scheint es wieder salonfähig zu sein, uns zum Sündenbock zu degradieren.

All das zeigt, Allianzen mit der Wirtschaft können durchaus zweischneidig sein. Während Rechtspopulist*innen weltweit Bündnisse mit Unternehmen eingehen, hat sich Österreich in den letzten Jahren auch als Beispiel hervorgetan, wie politischer Druck durch Firmen positiven Wandel bringen kann, etwa beim Ende des Blutspendeverbots für homo- und bisexuelle Männer, bzw. trans Personen. Doch das wäre nie möglich gewesen ohne unseren stetigen aktivistischen Einsatz. Deshalb reichen Lippenbekenntnisse nicht, wir fordern finanzielle Unterstützung und strukturellen Wandel. Genau hier setzt die Vienna Pride an, als zweiwöchiges Großevent verlangt sie von Kooperationspartnern, konkrete Bedingungen zu erfüllen. So entsteht Veränderung innerhalb der Firmen und infolgedessen für eine breitere Öffentlichkeit.

Einige internationale Prides orientieren sich inzwischen an diesem Modell. Denn wenn es etwa kein internes LGBTIQ-Netzwerk oder keine Fortbildungen zu Diversität gibt, lässt sich von außen schwer beurteilen, ob es sich nur um Ignoranz oder doch um Rainbow-Washing handelt. Gerade für kleine Initiativen können Kooperationen überlebenswichtig sein. Doch auch sie müssen sich fragen: Wollen wir Teil eines Fortschritts sein, oder lassen wir uns nur vor den Werbewagen spannen?

Davon, und was uns gerade als Community sonst noch bewegt, handelt die vorliegende Ausgabe. Wir wünschen viel Spaß!

Von Mo Blau

HOSI Wien transgender Referat, früher Coming-Out-Team
(Foto: © Marie Dvorzak)