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Stark, schnell, mit Ausdauer und Herz für Frauenfußball von Louisiana bis nach Graz

Emily Cancienne im Porträt

Seit Herbst 2020 dürfen auch die Frauen im Spitzensport, mit wöchentlich durchgeführten negativen Coronatests ihre Fußballwettkämpfe als Geisterspiele austragen. „Ohne Fankultur im Stadion, das ist schon seltsam“, sagt die 29-jährige Fußballspielerin und ausgebildete Sportmanagerin Emily Cancienne, „aber ich gewöhne mich schnell an neue Situationen und kann damit gut umgehen“.

Die US-Amerikanerin Cancienne spielt seit 2015 beim Frauenfußballteam von Sportklub Sturm Graz im Mittelfeld, während sie sich auch beim Nachwuchsteam der Sturm Grazerinnen rechts hinten auf dem Spielfeld positioniert, um die jungen Spielerinnen direkt auf dem Platz stärker zu motivieren und zu coachen. Die beiden Fußballstars Alex Morgan und Megan Rapinoe des weltbesten Frauenfußballteams USA gehören für Cancienne zu ihren Fußballheldinnen, auch außerhalb des Fußballplatzes. Schließlich auch nicht verwunderlich, setzt sich die US-Frauenfußballspielerin des Jahres 2019 Rapinoe doch auch für LGBTIQ*-Rechte im Sport ein. [Mehr dazu ist in der lesenswerten Autobiografie „One live“ von Rapinoe nachzulesen (Anm. Autorin)] So will Cancienne für den Nachwuchs des SK Sturm Graz Frauenteams auch ein gutes Vorbild sein. „…Immer mehr Fußballvereine setzen sich aktiv gegen Homophobie ein. In meinen Augen ist das ein wichtiger Schritt, um die Diskriminierung gegen LGBTIQ*, die in unserer Gesellschaft leider immer noch nicht verschwunden ist, sichtbar zu machen“, sagt Cancienne erfreut darüber, dass endlich bei ihrem Sport medial und am Platz positive Zeichen gesetzt werden. Infolge überlegt sie, sich zur Fußballtrainerin ausbilden zu lassen. Doch derzeit sichert sie sich ihre finanzielle Existenz sowohl mit Sponsoringarbeit im Büro des Sportklubs Sturm Graz wie auch bei der Caritas Steiermark. Als Fußballspielerin trainiert Cancienne sechs Mal in der Woche, um körperlich fit zu bleiben und fährt viel mit ihrem Rennrad, das sie aus Louisiana mitgenommen hat, um ihre Beinmuskulatur zu stärken und ihre Ausdauer zu verbessern.

Emily Cancienne
Emily Cancienne

Bereits mit 14 Jahren hatte Cancienne ihren amerikanischen Traum: ins europäische Italien zu reisen, um dort Fußball zu spielen. Zwei Jahre später hat sie bei einem Turnier des Olympics Development Programms beim U16-Fußballteam in Louisiana in den USA teilgenommen, bevor sie mit dem Studium Sportmanagement auf der Universität begonnen hat. Trotz ihrer guten Ausbildung beim Fußballklub in Louisiana hat es für das US-Frauenfußballnationalteam nicht gereicht. „Das liegt wohl an den bevorzugten US-Staaten wie Texas oder Washington“, vermutet die Fußballspielerin aus Louisiana. Zwei Monate nach ihrem Universitätsabschluss zog sie, als einzige ihrer Familie, raus aus den USA, um in Europa Fußball zu spielen: Zuerst in Zagreb, bis sie bereits ein Jahr später, 2015, in Österreich beim SK Sturm Graz-Frauenfußballteam ihren Vertrag unterzeichnete.

Als Mittelfeldspielerin angefangen, wechselte sie ihre Position nach links hinten. Ihre sehr gute sportliche Kondition und Ausdauer ermöglicht es auch zwischen den verschiedenen Positionen am Spielfeld zu wechseln. „Alles außer Torfrau spiele ich gerne“, sagt die Mittelfeldspielerin, die noch im Herbst 2020 bei einem Hobby-Benefizturnier vom Verein Login in Wien einem anderen Team als Torfrau mit großartiger sportlicher Leistung freiwillig erfolgreich ausgeholfen hat. „Ich gebe stets beim Fußballspielen in jeder Spielposition mein Bestes“, sagt Cancienne, nur bei den Bundesligaspielen habe sie zu viel Respekt vor der Position der Torfrau. Als Feldspielerin bevorzugt sie gut abzuwehren und freut sich, ihre Torfrau, Vanessa Gritzner, hinter sich zu wissen, die mögliche Spielfehler noch verbessern könne. Während die US-Spielerinnen beim Fußballtraining ausgebildet werden vor allem stark, schnell und mit Ausdauer Fußball zu spielen, trainieren die Fußballspielerinnen in Österreich mehr die technischen Spieltaktiken, sagt Cancienne. So habe sie etwas Zeit gebraucht, um im Bereich des Fußballs umzudenken, bis sie nach gefühlten zwei Jahren in Österreich die deutsche Sprache und die technischen Taktiken beim Fußballspiel kannte. Es gibt zum Beispiel in Amerika mehr das direkte Fußballspiel, aber die verschiedenen Positionen bei der Spielaufstellung, von der defensiven „Sechser“ zur offensiven, spielgestaltenden „Zehner“, habe sie beim Fußballspiel in Österreich gelernt, sagt Cancienne.

Erfreut über den Sieg des aktuellen US-Präsidenten Joe Biden und der ersten weiblichen US-Vize-Präsidentin Kamala Harris hofft die US-amerikanische Wahlösterreicherin auf rasche Vereinigung ihres sogenannten gespalteten Herkunftslands. Schließlich gibt es nach einer sogenannten Trump-Ära wieder mehr Hoffnung für gleiche Rechte der LGBTIQ*-Rechte in den USA. Dennoch spielt Cancienne weiterhin gerne in Österreich Fußball, da sie hier eine positive Bewegung beim Frauenfußball wahrnimmt, wo sich zwischen den Spielerinnen und dem Fußballsport eine gute Beziehung entwickelt. Es wird hier beim Frauenfußball auf das Spiel geschaut, um die Spieltechnik zu verstehen, was eine gute Grundlage ist, um Spielerinnen, die Frauenfußball attraktiv finden, für das Spiel zu gewinnen, sagt die US-amerikanische Sturm-Grazerin.

Emily Cancienne
Emily Cancienne

Seit 2018 trainiert Cancienne auch geflüchtete und obdachlose Frauen bei ihrem Frauenfußballteam von Homeless World Cup, abgekürzt HWC, das ist eine soziale Straßenfußballweltmeisterschaft für Menschen vom Rand der Gesellschaft. Sie spielen drei plus eins, mit sozialem Aspekt im Vordergrund. „Die Spielerinnen, aus unterschiedlichen kulturellen und sozialen Schichten, sind mit ihren Problemen nicht alleine, sie spielen Fußball als ihr gemeinsames Anliegen“, sagt Cancienne. Die Spieler*innen des HWC erleben Teamgeist, fühlen sich motiviert und anerkannt. Sie treten über den Sport aus ihrer sozialen Einsamkeit heraus. Dieses karitative Straßenfußballprojekt wurde im Jahr 2003 zum ersten Mal in Graz ausgetragen und findet einmal im Jahr weltweit mit rund 70 Nationen statt, um über Fußballsport die Spieler*innen in ein normales Leben zurückzuführen. Die Caritas Steiermark koordiniert das österreichische Nationalteam des HWC, das sich jedes Jahr neu zusammenstellt und die sozialintegrative Kraft des Sports stärkt. Auch Cancienne hat gelernt zu helfen, wo Hilfe gebraucht wird und kontaktierte im Jahr 2015, mit Beginn der Flüchtlingswelle nach Österreich, den Projektmanager vom HWC. Drei Jahre später hat infolge die österreichische Sporthilfe Cancienne, als einzige Frau, zur Sportlerin mit Herz nominiert. Doch während des Corona-Lockdowns können keine Trainingseinheiten und Turniere beim sozialen Straßenfußballprojekt HWC stattfinden, also hilft Cancienne bei der Koordination, um dieses Sozialprojekt mit weiteren Standorten österreichweit aufzubauen.

Inzwischen [zu Redaktionsschluss] ist die Planet Pure Frauen Bundesliga in der 16. Spielrunde: Das SK Sturm Graz-Frauenfußballteam ist mit einem Punkt noch hinter den Zweitplatzierten SG Austria Wien/USC-Landhaus. Schließlich ist Cancienne zuversichtlich, noch in dieser Spielsaison als Tabellenzweite wieder aufzusteigen, um bei der nächsten UEFA-Women´s Champions League des Jahres 2022 aktiv teilzunehmen.

Von Veronika Reininger

Freiberufliche Journalistin (Foto: © Bettina Frenzel)