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Editorial

Grußwort

Cis, endo, weiß, männlich – ich hab‘s leicht. Und damals, als ich jung war und in die Szene kam, da waren die Rollen auch schnell erklärt – die Transen und Tunten, die Schnuckis und die alten Böcke, und die (Kampf-)Lesben, die so oft den besten Tisch im „Zweistein“ besetzt hatten. Ich kann mich nicht einmal erinnern, ob ich jemanden mit Migrationshintergrund gekannt habe damals. Hm, da war jemand aus Südafrika, aber der war weiß, das zählt dann wohl nicht. Als diskriminierend oder rassistisch hätte ich mich sicher nicht aufgefasst. Später dann ging es in die mittelweite Welt, in die USA. So richtig aufgefallen ist mir der Rassismus dort auch nicht. Doch es gab Bars, die hauptsächlich von weißen Männern besucht wurden, und welche, die hauptsächlich von Afroamerikanern besucht wurden. In denen war ich dann deutlich seltener. Einmal wurde ich vor so einer Bar, dem Fireplace, von zwei Afroamerikanern gefragt, ob ich ihnen ein Taxi herbeiwinken kann – sie selber würden keines bekommen. Als ich dann herumwinkte, haben sie gelacht, und mich weitergeschickt. Da, in dem Satz da oben, da war er übrigens, mein Rassismus – wieso erinnere ich mich an die Ethnizität der Besucher einer Bar? Ich erinnere mich nicht an die Musik, die dort gespielt wurde, oder an die Altersgruppe.Wieso denke ich jetzt an das Alter als ein weiteres Beispiel, um Menschen zu unterteilen?

Seit langem wird es diskutiert – nature versus nurture, das angeborene und das anerzogene Verhalten. So schön der Gedanke ist, dass wir im Innersten gut sind und unsere reine Natur durch die falsche Erziehung verlieren – ganz so scheint es nicht zu sein. Mensch scheint so gebaut und verdrahtet zu sein, dass Assoziationen und Gruppen geformt werden, schon bei den kleinsten Kindern, und dass die „eigene“ Gruppe als positiv, und andere Gruppen als negativ empfunden werden1. Das gilt nicht nur für Ethnizitäten, sondern für jede Art von Gruppe, und wird natürlich von Erwachsenen weitergeführt. Dass dieses Verhalten der Erwachsenen dann natürlich das Verhalten der Kinder unterstützt, ist ein grauslicher Verstärkungsprozess.Wie können wir daraus ausbrechen?

„Durchs reden kommen d’Leut zam.“ So einfach ist es – nicht über Personen (gruppen) reden, sondern mit ihnen. Die eigenen Vorurteile bekämpft mensch am besten, indem mensch sich ihnen stellt. Da zerbröseln die Vorstellungen von selber und mensch lernt, wie wenig mensch eigentlich weiß.Vor einem Jahr hätte ich mit „cis“ und „endo“, mit „mensch“ statt „man“ nichts anfangen können. Inzwischen geht es schon besser, gerade weil ich durch die LAMBDA so viele Leute kennengelernt habe, wie Tinou von VIMÖ, wie Mia Mara und auch Mo, dey meine Verwirrung ob der passenden Artikel und Pronomen mit großer Gelassenheit über sich ergehen lässt. „Dey“ habe ich übrigens erst vor wenigen Tagen neu gelernt, und zwar aus dem Fernsehen.

Was ich damit sagen will? Es geht tatsächlich. Aus der (selbst-)erlernten Ignoranz kann mensch herauskommen. Das ist langsam und nervt alle Beteiligten, aber es geht. Und es passiert auch, in der ganzen Gesellschaft. Mit dieser LAMBDA gehen wir einen weiteren Schritt in diese Richtung, mit Artikeln aus der Community über Diskriminirung in der Community, damit die Community sich selber kennenlernt.

(1) Mehr zu Kindern und Rassismus in: https://www.washingtonpost.com/lifestyle/2020/06/25/what-white-parents-get-wrong-about-raising-antiracist-kids-how-get-it-right/

Von Sven Mostböck

Chefredakteur Lambda