Am Anfang stand ein Kämpfer von Format: Der Rechtsanwalt Dr. Franz Xaver Gugg, der das Startkapital gab. Dann kamen Aktivisten von Format, die Zeit, Mühe und Engagement investierten. Und jetzt kommt die Zukunft auch als queeres Jugendzentrum, für Frauen und die ganze Community.
Warum überhaupt eine Geschichte über unser Gugg? Vereinsräumlichkeiten sind mehr als eine bloße Infrastruktur zur Abhaltung „notwendiger“ Treffen und Veranstaltungen. Sie geben einer Gemeinschaft wie der HOSI Wien ein Zuhause – für manche sind sie sogar das zweite Zuhause – und machen Dinge möglich, die ohne den persönlichen Kontakt nicht möglich wären.
So hatte auch die HOSI Wien bis zum Jahr 2010 mit ihrem Vereinszentrum in der Novaragasse ein kleines, gemütliches Zuhause. Wenn mensch aber bedenkt, dass die wichtigsten Gruppenangebote der HOSI Wien an Frauen und Jugendliche gerichtet sind, war es doch ungünstig, dass wir uns im Rotlichtviertel befanden, Besucherinnen für Prostituierte gehalten wurden und ungeoutete Jugendliche den Weg hinein oft nicht wagten, weil er über eine enge Treppe ins Souterrain führte. Vom Rest der LGBTIQ*-Szene waren wir ohnehin gänzlich abgehängt. Die Bedürfnisse waren also klar auf etwas Neues gerichtet, nur die Vereinsmittel waren es nicht.
Es bedurfte der glücklichen Fügung in Form der Erbschaft des Rechtsanwaltes Dr. Franz Xaver Gugg, die es uns ermöglichte, ein neues Lokal einzurichten. 1921 in OÖ geboren, erlebte er die dunkelsten Phasen der österreichischen Geschichte, vor allem in Hinblick auf (Homo-)Sexualität. 1963 gründete er den „Verband für freie Mutterschaft und sexuelle Gleichberechtigung“ mit, der erstmals queerfeministische Forderungen stellte. Das erzeugte zwar mediales Aufsehen, aber erwartungsgemäß in diffamierender Weise. So blieben überforderte Aktivist*innen übrig, Unterstützung und damit Erfolge aber leider aus. Dass dies in Zeiten des Totalverbots gleichgeschlechtlicher Handlungen sehr mutig war, zeigte sich, als Gugg 1967 selbst zu dessen Opfer wurde. Für ihn, der Kriegsgefangenschaft erlebt hatte, waren die zehn Monate schwerer Kerker nacheigenen Aussagen nicht allzu schlimm, doch verlor er mit der Verurteilung auch seine Zulassung als Rechtsanwalt und sogar sein Wahlrecht. Trotz seiner juristischen Expertise bekam er all das erst nach einem Kampf wieder, der zehn Jahre dauern und ihn bis zum Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte führen sollte. Ab Gründung der HOSI Wien 1980 war er bereits ein unverhältnismäßig großer Förderer. Nachdem ihm 2003 drohte, ein Pflegefall zu werden, entschied er sich, freiwillig aus dem Leben zu scheiden. Ein ausführliches Portrait von Martin Weber findet sich unter hosiwien.at/img/pdf/ln302gugg.pdf.
Nun fragen sich manche, wieso unser zu seinen Ehren nach ihm benannte Zentrum erst 2010 öffnete, wenn Gugg die HOSI Wien doch bereits sieben Jahre zuvor bedacht hatte. Die Antwort findet sich in einer Justizposse, in der das Originaltestament verschlampt wurde, die Kopien nicht anerkannt wurden und entfernte Verwandte und Guggs Sohn statt der HOSI Wien als Erben eingesetzt werden hätten sollen. Die Vertreter der HOSI Wien mussten jahrelang Zeit, Nerven und finanzielles Risiko auf sich nehmen, so dass mensch sich noch fragen kann, ob die HOSI das Geld geerbt und nicht de facto sauer verdient hatte. Der komplette Verlauf des Verfahrens kann in den Lambda Nachrichten 1/2010 (lambdanachrichten.at) nachgelesen werden.
Auch wenn das Erbe ein Segen war, reichte es auch nur zur Anschaffung des Inventars.Auch in den folgenden Jahren wurden die baulichen Arbeiten selbst und ehrenamtlich verrichtet. Dabei ist besonders Giovanni Reichmann zu ehren, der mit viel Expertise in diesen zehn Jahren alle baulichen Projekte koordiniert hat, selbst die allermeiste Arbeit verrichtete und im laufenden Betrieb stets die Technik betreute. Nur so konnte das Gugg am 25. September 2010 feierlich durch die damalige Stadträtin Sandra Frauenberger eröffnet werden.
Dass der Umzug ein voller Erfolg war, stellte sich rasch heraus: So erhöhte sich die Besucher*innenzahl von Jugend- und Lesbengruppe immens und bald kamen auch weitere Angebote wie die Diskussionen zu queeren Themen, dienstäglichen Spieleabende, Yogaworkshops, Selbstverteidigungskurse uvm. hinzu. Auch bei den vereinseigenen, beliebten Events HOSIsters und Schlagerakademie konnten im neuen Veranstaltungssaal mehr Interessierte Platz finden. Enorm stark stieg weiters die Nachfrage von Privatpersonen für Feierlichkeiten, queeren Kulturschaffenden und auch von anderen Vereinen wie den Song-Contest-Fanclub OGAE, die AIDS-Hilfe Wien, queerconnexion, QWIEN, VIMÖ, MiGay, SoHo, FAmOS, visibility, Resis.danse, Ace/Aro und Queer Business Women.
Nachdem die HOSI Wien auch immer mehr Eigenbedarf an Büro- und Seminarräumen hatte, platzte das Gugg nach nur wenigen Jahren aus allen Nähten, weswegen 2013 ein Lager angemietet und das Lokal 2015 erweitert werden musste. Wieder konnte das nur großteils ehrenamtlich und durch großzügige Spenden geschehen. Auch zwischendurch gab es immer wieder qualitative, bauliche Maßnahmen, die Technik, Komfort, betriebliche Kapazitäten und den Look des HOSI Wien-Zentrums verbessern konnten.
Mit dieser Verdoppelung der Nutzfläche war nun wieder einige Zeit lang Raum, um fast alle Nutzungsanfragen zu bedienen, doch mit der Übernahme der Vienna Pride (inkl. EuroPride 2019) wurde es dann schon wieder zu eng, so dass in der benachbarten Franzensgasse weitere Büroräume angemietet werden mussten. Und trotzdem schossen die Anfragen von Externen auch so weit in die Höhe, dass zu Stoßzeiten im Frühling und Herbst leider nicht mehr immer alle bedient werden konnten.
Insgesamt kann in aller Bescheidenheit gesagt werden, dass es sich beim Arbeitsbereich von Gugg, HOSIsters, Jugend- und Lesbengruppe um ein von Anfang an couragiertes Projekt handelt. Schließlich ist es eher unüblich, ohne große Förderung ein Kultur- und Sozialzentrum in Eigenregie zu betreiben, dabei noch andere Vereine in der Regel kostenlos zu beherbergen und das Risiko hoher Fixkosten zu tragen. So konnte auch der laufende Betrieb nur durch großes, ehrenamtliches Engagement abgewickelt werden, allen voran durch Kurt Krickler, der neben der Geschäftsführung bis 2018 über 5.000 ehrenamtliche Barstunden geleistet hat – daneben dutzende weitere, vor allem aktive Mitglieder der Lesben- und Jugendgruppe, die hier nicht alle namentlich erwähnt werden können.
An dieser Stelle wäre ein Ausblick in die Zukunft des Gugg passend, doch die Tatsache, dass es formal ein Kaffeehaus ist, erlaubt noch keine Kaffeesudleserei. Nicht nur das aktuelle Weltgeschehen würde konkrete Aussagen zu einer solchen machen, auch die Entwicklung interner und externer Projektgruppen ist dafür zu dynamisch. Die langjährige Forderung nach einem queeren Jugendzentrum, die der Gemeinderat beschlossen hat, wird hier Angebote auch mittelfristig in dafür geeignetere Räumlichkeiten verlagern. Bedarf wäre aber in vielerlei Hinsicht gegeben, für den es aber wieder engagierte Freiwillige braucht. Besonders für queere Frauen, für die die Privatwirtschaft viel zu wenig bietet, bräuchte es mehr und vielfältigere Angebote, aber auch für alle anderen queeren Personen, denn die Interessen der Community sind so bunt und vielfältig wie sie selbst. Zu hoffen bleibt aber, dass die HOSI Wien mit dem Gugg sich selbst und anderen bedarfsgerechten Raum bieten kann. λ