Im Zuge der Covid-19-Krise waren die Medienberichte der letzten Monate gröĂtenteils mit Corona verknĂŒpft. Wenig gab es zu lesen ĂŒber die Situation von LGBTI- Personen, auch die Regenbogenparaden fanden nicht statt â immerhin eine v.a. virtuelle World Pride am selben Tag. Eine einzige positive Nachricht ist mir in Erinnerung: dass in Montenegro am 1. Juli das Parlament mit einer knappen Mehrheit fĂŒr die EinfĂŒhrung der gleichgeschlechtlichen Ehe stimmte â eine Pionierleistung fĂŒr SĂŒdosteuropa! Angesichts der schwieÂrigen Lage in Montenegro in Bezug auf Medienfreiheit sowie Korruption und Intransparenz in vielen demokratischen Entscheidungen wĂ€re es jedoch wĂŒnschenswert, wenn PrĂ€sident und Langzeitherrscher Milo ÄukanoviÄ auch in diesen Zusammenhang und nicht nur in Bezug auf LGBTI-Rechte die europĂ€ischen Werte hochhalten wĂŒrde! Interessanterweise ist es in Montenegro die Russland und Serbien nahestehende Opposition, in enger Eintracht mit der serbisch-orthodoxen Kirche im Land, die die âtraditionellen Familienwerteâ verteidigt. âDas Hauptziel dieses Gesetzes ist es, eine neues Wertesystem zu installieren. Nachdem sie uns schon alles andere genommen haben, wollen sie jetzt auch noch unsere Familien.â, wie NebojĆĄa MedojeviÄ, einer der Oppositionschefs, ihre Haltung begrĂŒndete.
In Polen hingegen ist die regierende PiS- Partei zwar vehement anti-russisch, doch bei ihrer anti-LGBTI- und âpro-traditionelle Familienwerteâ-Haltung Ă€hnelt sie markant der Haltung des Kreml-Herrschers Putin. Die Verfolgung und Hass-Kampagnen gegen unsereins in Polen, die sich im Zuge der jĂŒngsten PrĂ€sidentschaftswahlen verstĂ€rkt haben, sind im August eskaliert: Eine Aktivistin wurde verhaftet, beim Protest gegen diese Verhaftung wurden am 8. August rund 50 AktivistInnen verhaftet.
Im Juli war Andrzej Duda in der Stichwahl mit einer sehr knappen Mehrheit als StaatsprĂ€sident wiedergewĂ€hlt worden. In seiner Zeit im Europaparlament 2014/2015 war er nicht nur mir nicht aufgefallen, der deutsche Tagesspiegel bezeichnete ihn rund um seinen ersten Berlin-Besuch im August 2015 als âHinterbĂ€nklerâ. Womit er jedoch in seinem zweiten PrĂ€sidentschaftswahlkampf im heurigen Juni sehr wohl aufgefallen ist, sind seine Aussagen, wir LGBTI-Personen seien nicht Menschen, sondern bei unseren Forderungen ginge es um pure Ideologie, und dass die âLGBT-Ideologieâ zerstörerischer als der Kommunismus seiâŠ
Nun, diese Aussagen richten sich selbst und zeugen von ideologie-getriebener Kurzsichtigkeit. Aber die Folgen derartiger homo-, lesbo- und transphober Aussagen von der höchsten Stelle im Staate sind genau die o.g. Hetze und Gewalt gegen alle, die nicht die âtraditionellen Familienwerteâ verteidigen. Eines EU-Staates, dessen höchste AmtstrĂ€gerInnen die EU-Grundrechtecharta hochhalten sollten, sind sie unwĂŒrdig â und sie sind gefĂ€hrlich.
Erfreulicherweise hat die EU-Kommission einen ersten richtigen Schritt gesetzt und die AntrĂ€ge von 6 Gemeinden zur Förderung ihrer jeweiligen StĂ€dtepartnerschaften mit StĂ€dten in anderen EU-Staaten abgelehnt. BegrĂŒndung: diese Gemeinden hatten sich zu âLGBT-freienâ Zonen erklĂ€rt.
Erfreulich auch, dass es in Wien am 12. August, aus Anlass der oben erwÀhnten Verhaftungen im Kontext der staatlich geförderten LGBT-feindlichen Stimmung, eine sehr spontane Protest- und SolidaritÀts-Kundgebung vor dem Polnischen Institut gab, rund 200-300 Leute waren, viele mit buntem Regenbogen-Mund-Nasenschutz, auf den Stufen vor Maria am Gestade anwesend. Ein starkes Zeichen!
Informationen zur Hetze gegen LGBTI- Personen in Polen haben sehr wohl den Weg in unsere Mainstream-Medien gefunden, immerhin â aber vieles andere nicht, so wie etwa der Selbstmord der 30-jĂ€hrigen Ă€gyptischen LGBT-Aktivistin Sarah Hegazi am vergangenen 14. Juni im kanadischen Exil in Toronto.
#RaiseTheFlagForSarah
Im September 2017 hatte sie beim Kairoer Konzert der libanesischen Indie-Pop-Band Mashrouâ Leila, deren LeadsĂ€nger Hamed Sinno aus seinem Schwulsein kein Geheimnis macht, die Regenbogenfahne hochgehalten. Dieses Foto von ihr, lachend auf den Schulten eines Freundes, wurde ihr zum VerhĂ€ngnis: Das Foto ging durch die sozialen Medien, sie wurde â wie auch mehr als 70 andere LGBTI-AktivistInnen â zum Ziel staatlicher Gewalt: Verhaftung, Folter, Isolationshaft. Viele von ihnen wurden wegen âAusschweifungenâ zu bis zu sechs Jahren GefĂ€ngnis verurteilt.
Hegazi selbst kam nach drei Monaten im GefĂ€ngnis im JĂ€nner 2018 gegen Kaution wieder frei. Von ihrer Familie erhielt sie danach keine UnterstĂŒtzung. In der konservativ-reaktionĂ€ren Ă€gyptischen Mittelschicht ist es schlimmer, sich fĂŒr LGBTI-Rechte einzusetzen, als ânurâ die âsĂŒndhafte SexualitĂ€tâ zu leben, wie es nach ihrem Tod einige Kommentatoren auf SoÂcial Media klar machten: Das Gesicht zu zeigen, offen fĂŒr unsere Rechte einzutreten, ist das gröĂere Verbrechen, als einfach lesbisch oder schwul zu leben â und schon das ist nicht einfach.
2018 entschied sich die Ă€gyptische Aktivistin, in Kanada um Asyl anzusuchen. In Toronto war sie u.a. in einem Netzwerk arabisch-stĂ€mmiger AktivistInnen tĂ€tig. Doch Sarah Hegazi litt nach ihrem GefĂ€ngnisaufenthalt an posttraumatischen Belastungsstörungen. âDas GefĂ€ngnis hat mich umgebrachtâ, schrieb sie. Und: âNach meiner Freilassung hatte ich noch immer vor allen Angst. Die Ungerechtigkeitâ habe ein âschwarzes Lochâ in ihre Seele gegraben und âsie bluten lassen â ein Loch, das die Ărzte noch nicht heilen konntenâ.
Am Tag bevor sie sich am 14. Juni das Leben nahm hatte sie noch ein Bild von sich gepostet, wie sie auf grĂŒnem Gras lag, unter einem hellen blauen Himmel: âDer Himmel ist schöner als die Erde, und ich will den Himmel, nicht die Erde.â Hamed Sinno, der Lead-SĂ€nger von Mashrouâ Leila, postete das Bild von ihr mit der Regenbogenfahne und schrieb darunter âFreiheit fĂŒr deine Seeleâ. Und er entschuldigte sich â selbst im selbst-gewĂ€hlten Exil â auf Facebook dafĂŒr, falls er âirgendjemand Hoffnung gegeben habe, dass sie uns eines Tages als Menschen sehen.â
In ihrer Abschiedsbotschaft schrieb Sarah Hegazi: âAn meine Geschwister: Ich habe versucht zu ĂŒberleben, bin gescheitert. Vergebt mir. An meine Freundinnen und Freunde: die Erfahrungen waren grausam und ich bin zu schwach, weiter Widerstand zu leisten. Vergebt mir. An die Welt: du warst extrem grausam, aber ich vergebe.â λ
Quellen zu Sarah Hegazi: Liberation, taz, NZZ, CNN