Kategorien
Editorial Schwerpunkt

Ist das schwul, oder behindert?

Auch in dieser Ausgabe möchten wir wieder ein Thema beleuchten, welches unserer Meinung nach in der LGBTIQ-Community sonst etwas zu kurz kommt, das Leben mit Behinderung. Die Menschenrechtsbewegungen zur Verbesserung der Lebenssituation als queerer Mensch, oder mit Behinderung, haben einige interessante Gemeinsamkeiten und Unterschiede.

Während ausgehend vom schwulen Aktivismus zunächst beleidigende Fremdbezeichnungen wie eben „queer“, „Tunte“, oder der von den Nazis verwendete Rosa Winkel durch Verwendung als Selbstbezeichnung positiv umgedeutet wurden, ging die Behindertenbewegung lange den Weg der Vermeidung bestimmter Begriffe. Genau wie „schwul“ besonders unter Jugendlichen als Schimpfwort missbraucht wird, denken viele beim Wort „behindert“ nicht wirklich an Menschen mit Behinderung. Es steht hingegen in den Köpfen von zu vielen Leuten stellvertretend für alles, was nicht gut, nicht vollständig, nicht spaßig oder sonst irgendwie unvollkommen ist. Und das ist ein riesiges Problem. Wenn man Leuten im Zuge der queeren Bildungsarbeit versucht abzugewöhnen den ansonsten neutral beschreibenden Begriff „schwul“ für etwas anderes als Männer zu verwenden, die sich von Männern angezogen fühlen und auch selbst so nennen, nicht etwa wenn einem das Wetter nicht gefällt, dann verschlimmbessern sich überraschend viele intuitiv auf „behindert“. Nach dem Motto „tut mir leid, du bist ja schwul, ich meinte das Wetter ist behindert“. Als ob das besser wäre. Vermutlich auch deshalb verbreiteten sich Euphemismen wie „Menschen mit besonderen Bedürfnissen“ und ähnliche. Doch nur weil jemand eine Behinderung hat, bedeutet das noch lange keine außergewöhnlichen Bedürfnisse. Ein gutes Leben ist uns doch allen ein Bedürfnis, was macht das bei Menschen mit Behinderung so besonders?

Glücklicherweise sehen wir gerade durch mehr Zugang zu Informationen für die breite Masse und mehr Repräsentation in den Medien ein neues Selbstverständnis für Menschen mit Behinderungen. Sich selbst stolz behindert zu nennen, kann zu einer Ermächtigung führen, es kann den Leuten um einen herum Hinweise darauf geben, worauf sie im Umgang mehr achten sollen, es kann einem eine Community geben. Außerdem ist es wichtig darüber zu sprechen von wem das „behindert werden“, wie es oft genannt wird, ausgeht. Fühle ich mich selbst durch eine körperliche oder geistige Besonderheit eingeschränkt, und falls ja, liegt das eventuell mehr an der Ausrichtung meines Umfeldes auf Menschen, die dieses Merkmal nicht haben? In einem Rollstuhl-Basketballteam hätte eine Person, die nicht gewohnt ist sich sonst im Rollstuhl fortzubewegen, höchstwahrscheinlich einen Nachteil. Was die Norm von etwas ist, zum Beispiel bei einem Menschen, das ist zu einem gewissen Grad kulturelle Verhandlungssache. Der Wert eines Menschen sollte sich zum Beispiel nicht an seiner körperlichen Unversehrtheit messen, oder ob sich ein Teil des Körpers oder des Geistes so ausbildet, wie wir es erwarten. Das ist natürlich schwer in die Köpfe reinzubekommen, wenn Bürger*innen eines Staates durchaus nach ihrer Arbeitstüchtigkeit bemessen werden. Obwohl es Bemühungen gibt, Menschen mit Behinderungen in den regulären Arbeitsmarkt zu integrieren, entscheiden sich Firmen oft lieber Geldstrafen zu zahlen, weil sie zu wenige mit Behinderung einstellen, als sich mit dem Barriereabbau zu beschäftigen. Dadurch landen viel mehr als eigentlich notwendig in skandalös unterbezahlten Behindertenwerkstattsjobs.

So wie im Arbeitsmarkt, und demnach auch im Alltag, gibt es noch immer ein großes Sichtbarkeitsproblem. Als Mensch mit Behinderung kann es einem schnell so vorkommen, als ob man ebenso Mensch zweiter Klasse wäre. Denn wir wissen, fast kein LGBTIQ-Lokal in Wien ist barrierefrei zugänglich. Wo soll dann eine Person im Rollstuhl, die ebenso queer ist, hin um Gleichgesinnte kennenzulernen? Gerade auch bei Pride-Paraden werden Barriereabbau und verschiedene Bedürfnisse immer mehr, aber noch zu wenig, mitgedacht.

In dieser Ausgabe sollen Menschen mit ihren Erfahrungen und ihren Gedanken zum Thema Leben mit Behinderung zu Wort kommen. Wir erheben, wie immer, keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Trotzdem war es uns wichtig, sowohl sichtbare als auch nicht sichtbare Behinderungen und die Menschen, die mit ihnen leben, zu zeigen. Wie beeinflussen sich ihre Queerness und ihre Behinderungen möglicherweise? Was brauchen sie, um selbstbestimmte Teilhabe ermöglicht zu bekommen?

Wir hoffen, dass unsere Leser*innen genauso viel Freude mit dieser Ausgabe haben werden, wie wir sie hatten.

Von Mo Blau

HOSI Wien transgender Referat, früher Coming-Out-Team
(Foto: © Marie Dvorzak)