Reden wir ĂŒber psychische Gesundheit und Behinderungen unter dem Regenbogen
Nicht erst seit der Corona-Pandemie ist unsere psychische Gesundheit in aller Munde. Auch wenn Politik und Medien erst langsam und definitiv oft viel zu spĂ€t erkennen, wie groĂ der Handlungsbedarf in diesem Bereich ist, entwickelt sich ganz im Gegenteil gerade in der queeren Community ein immer breiteres und immer tieferes VerstĂ€ndnis fĂŒr den massiven Einfluss, den psychischen Erkrankungen auf unseren Alltag haben ⊠und das ist wirklich gut so. Denn insbesondere die erstarkenden rechten Bewegungen Europas, faschistische Parolen und nationalistisches Gedankengut sorgen fĂŒr einen beĂ€ngstigenden Backlash der die Sicherheit, die psychische und leider immer öfter auch die körperliche Sicherheit und Selbstbestimmung queerer Menschen immer stĂ€rker gefĂ€hrdet.
Doch bei allem wachsenden Bewusstsein bleiben psychische Erkrankungen auch in der LGBTIQ+ Community noch viel zu oft ein ĂŒbersehenes Thema â vor allem, wenn weitere Marginalisierungen hinzukommen. Eine der Gruppen, die dabei hĂ€ufig aus dem Blickfeld gerĂ€t, sind queere Menschen mit Behinderungen. Sie stehen an der Schnittstelle mehrerer Diskriminierungsformen und sind mit einzigartigen Herausforderungen konfrontiert. Doch auch psychische Erkrankungen selbst werden oft als âunsichtbare Behinderungenâ gesehen und im Alltag, in der Ausbildung oder auch im Berufsleben mit Barrieren und Stigmatisierungen belegt. All das zwingt uns vor allem dazu, unsere eigenen Denk- und Sichtweisen zu reflektieren â mit einem intersektionalen Blick auf unsere psychische Gesundheit.
Minderheitenstress als unsichtbare Last
Minderheitenstress ist eines der SchlĂŒsselwörter, wennâs um die psychische Gesundheit von marginalisierten Personen geht. Es beschreibt nicht weniger als die enorme psychische Belastung, der Menschen aufgrund von Diskriminierung, Stigmatisierung und struktureller Exklusion ausgesetzt sind. Dabei geht es aber keineswegs ânurâ um die Schlechterstellungen, die Menschen aufgrund ihrer IdentitĂ€t erleiden; Minderheitenstress ist jene Belastung, die durch Angst vor Diskriminierungen oder die Erwartung von negativen Erlebnissen im Alltag entsteht. Studien zeigen, dass gerade LGBTIQ+ Personen aufgrund dieses Stresses ein deutlich höheres Risiko fĂŒr Depressionen, Angststörungen und SuizidalitĂ€t haben als die cis-heterosexuelle Mehrheit.
FĂŒr Menschen mit Behinderungen ist diese Belastung oft noch höher. Einerseits kĂ€mpfen sie hĂ€ufig gegen die gesellschaftliche Unsichtbarkeit ihrer IdentitĂ€ten â in der LGBTIQ+ Community, in der Inklusion oft wenig Thema ist, genauso wie in der Behindertenbewegung, die queere Perspektiven oft nicht mitdenkt. Andererseits erleben sie verstĂ€rkten Diskriminierungsdruck, da sie als âdoppelt andersâ wahrgenommen werden.
Reden wir ĂŒber âunsichtbareâ Behinderungen
Genauso wenig, wie es âdie eine queere Personâ gibt, gibt es âdie eine Erfahrungâ von Behinderung. Behinderungen sind vielfĂ€ltig, haben unterschiedliche Auswirkungen auf Leben und Alltag, werden von Staat und Gesellschaft unterschiedlich gesehen ⊠oder eben nicht gesehen und bleiben unsichtbar. Neben physischen BeeintrĂ€chtigungen mĂŒssen deshalb auch psychische Erkrankungen als Form der EinschrĂ€nkung mitbedacht werden â allerdings ohne sie mit körperlichen oder kognitiven Behinderungen gleichzusetzen.
Laut WHO sind psychische Erkrankungen weltweit eine der hĂ€ufigsten Ursachen fĂŒr ArbeitsunfĂ€higkeit und soziale Isolation. Studien wie der LGBTIQ+ Gesundheitsbericht 2022 zeigen, dass Depressionen, Angststörungen und Burnout in dieser Gruppe ĂŒberdurchschnittlich hĂ€ufig auftreten. Gerade queere Menschen mit psychischen Erkrankungen erleben in ihrem sozialen Umfeld noch immer viel zu hĂ€ufig Ausgrenzung oder Unsicherheit, wĂ€hrend ihnen in der Gesamtgesellschaft ohnehin schon Stigmatisierung entgegenschlĂ€gt. Wenn wir also keineswegs psychische Erkrankungen mit körperlichen oder kognitiven Behinderungen gleichsetzen können, dann ist es dennoch richtig festzustellen, dass die gesellschaftlichen HĂŒrden und Diskriminierungsmechanismen, mit denen diese Gruppen konfrontiert sind, sich Ă€hneln.
Fakt ist: Unser Zugang zu Themen wie Queerness, Behinderung und psychische Gesundheit muss so intersektional sein, wie die HĂŒrden, mit denen wir konfrontiert sind. Besonders deutlich wird das im Gesundheitsbereich! Die mangelnde Sensibilisierung vieler Ărzt*innen und Expert*innen fĂŒr intersektionale Diskriminierungen ist schlieĂlich bis heute ein zentraler Grund fĂŒr die negativen Erfahrungen, die viele Menschen im Kontakt mit dem Gesundheitswesen erleben mĂŒssen. Genauso entscheidend sind das Fehlen bundesweiter Ressourcen, das fehlende Wissen ĂŒber intersektionale Diskriminierungen bei Ărzt*innen oder die anhaltende Pathologisierung zahlreicher IdentitĂ€ten. Diese und andere Hindernisse fĂŒhren dazu, dass viele Betroffene dringend benötigte medizinische, psychiatrische oder therapeutische UnterstĂŒtzung meiden oder nicht erhalten.
Volle Teilhabe als Ziel
Was muss sich Ă€ndern? Wenn volle Teilhabe unser Ziel ist, dann wird es in Zukunft darum gehen mĂŒssen, nicht nur Strukturen zu verĂ€ndern, sondern auch unseren intersektionalen Blick auf HĂŒrden und Herausforderungen im Alltag zu schĂ€rfen â ganz besonders auch als queere Community. Damit können wir schon in unseren eigenen RĂ€umen beginnen: Mehr Augenmerk fĂŒr Barrierefreiheit und Teilhabe können dabei einen wichtigen Beitrag leisten und zwar sowohl was Behinderungen als auch psychische Erkrankungen angeht. Vor allem aber geht es darum, die Stimmen jener Menschen zu stĂ€rken, die von intersektionalen Diskriminierungen betroffen sind. Es geht nicht darum, RĂ€ume fĂŒr marginalisierte Gruppen besser zu machen, sondern sie mit ihnen so zu gestalten, dass sie fĂŒr alle von uns besser funktionieren!
Die vorhin schon angesprochene Wahrnehmung von psychischen Erkrankungen als âunsichtbareâ EinschrĂ€nkungen sind dafĂŒr wohl das beste Beispiel: Viele von uns sind in ihrem Leben zumindest einmal von einer solchen Erkrankung betroffen. Strukturen und Communitys, die sensibel und ohne Stigma mit unserer psychischen Gesundheit umgehen, machen das Leben deshalb nicht nur fĂŒr jene von uns besser, die gerade an einer depressiven Erkrankung leiden, sondern helfen zum einen oder anderen Zeitpunkt den meisten von uns einmal. Dasselbe trifft fĂŒr barrierefreie RĂ€ume zu, fĂŒr die Verwendung von leichter Sprache oder fĂŒr gute Peer-to-Peer-UnterstĂŒtzungssysteme.
Auch ĂŒber unsere Community hinaus gibt es viel zu tun. Diese Schritte werden auch von uns erfordern, dass wir als queere Menschen uns lauter und stĂ€rker zu gesamtgesellschaftlichen Fragen Ă€uĂern, dass wir BĂŒndnisse mit anderen Gruppen eingehen und dass wir unseren politischen Horizont und unsere Forderungen erweitern: Wir mĂŒssen uns stĂ€rker mit der Sensibilisierung des Gesundheitspersonals beschĂ€ftigen und dafĂŒr von der Politik auch die Ressourcen einfordern. Ărzt*innen, Therapeut*innen oder Pfleger*innen mĂŒssen ĂŒber intersektionale Diskriminierung Bescheid wissen. Genauso braucht es mehr Mittel fĂŒr barrierefreie psychosoziale Angebote â kommunikative Barrieren mĂŒssen in allen Therapie-, Beratungs- und Behandlungssettings abgebaut werden. In Wien leisten genau dafĂŒr schon die Psychosozialen Dienste viel Arbeit und setzen wichtige Schwerpunkte. Mit der Sorgenhotline bieten wir zum Beispiel eine niederschwellige Anlaufstelle fĂŒr psychische Belastungen. Dabei merken wir aber, dass es bundesweite Mittel und Schwerpunkte fĂŒr eine inklusive Gesundheitsversorgung braucht, eine Stadt allein kann das nicht stemmen.
Vor allem aber wird es um eine Sache gehen: Wir mĂŒssen psychische Gesundheit, Behinderungen, intersektionale Diskriminierungen und deren Auswirkungen auch in unserer eigenen Community sichtbarer machen! Und wir mĂŒssen darĂŒber reden. Wir mĂŒssen sowohl die Stimmen von Betroffenen vielfĂ€ltiger Diskriminierungen stĂ€rken als auch als Allys offen und aktiv den Diskurs darĂŒber stĂ€rken â deshalb ist es gerade mir, als schwulem Mann ohne Behinderung, so wichtig, diese Fragen zu thematisieren: Psychische Gesundheit und Behinderung mĂŒssen als Teil der queeren RealitĂ€t anerkannt werden. Nur durch intersektionale Perspektiven können wir echte Gleichstellung und Teilhabe erreichen â im Gesundheitssystem, in der Community und in der gesamten Gesellschaft.
Denn echte Inklusion beginnt dort, wo wir die ganze Vielfalt queerer Menschen sehen und ernst nehmen.
Factbox
Unter dem Motto âPsychische Gesundheit unter dem Regenbogenâ haben die Psychosozialen Dienste in Wien (PSD-Wien) und die HOSI Wien eine eigene BroschĂŒre veröffentlicht. Diese und weitere Informationen findest du unter https://psd-wien.at/projekt/regenbogen
Die Sorgenhotline Wien bietet unter 01/4000-53000 eine erste Anlaufstelle bei psychosozialen Belastungen fĂŒr alle Menschen in Wien.
In Krisen ist die Sozialpsychiatrische Soforthilfe des PSD-Wien rund um die Uhr erreichbar:
0131330