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Zusammenhang zwischen trans-IdentitÀt und Autismus?

Schon vor einigen Jahren fiel ForscherInnen* auf, dass sich Menschen auf dem Autismusspektrum hĂ€ufiger als transgender zu identifizieren scheinen als nicht-autistische (allistische) Menschen. Neben der Abweichung von einer binĂ€ren GeschlechtsidentitĂ€t fĂ€llt aber auch auf, dass sie hĂ€ufiger sexuellen Minderheiten angehören bzw. hĂ€ufiger nicht-heterosexuell sind als nicht-autistische Personen. Der tatsĂ€chliche Zusammenhang dieser UmstĂ€nde wird heiß diskutiert, doch was ist Autismus eigentlich?

Hier ein kleiner Exkurs:

Viele haben ein gefestigtes Bild von Menschen mit Autismus im Kopf, doch Autismus, bzw. die Autismusspektrumsstörung (ASS), ist deutlich vielfÀltiger in ihrer AusprÀgung, als das auf Stereotypen basierende und durch Medien geprÀgte Bild. Eine ASS zeichnet sich vor allem durch AuffÀlligkeiten in der wechselwirkenden Interaktion und Kommunikation mit anderen, als auch durch stereotype Verhaltensweisen aus, wobei sich eine ASS sehr unterschiedlich von Mensch zu Mensch ausprÀgen kann. Andere hÀufige Charakteristika sind unter anderem intensive Interessen (special interests) und atypische sensorische Empfindungen (sensory issues).

Autismus ist eine Entwicklungsstörung; frĂŒher und teils auch heute klassifiziert man noch in Unterdiagnosen (Asperger-Syndrom, frĂŒhkindlicher Autismus, atypischer Autismus, Rett-Syndrom und desintegrative Störung im Kindesalter), was langsam in den letzten Jahren durch die EinfĂŒhrung des Begriffs der Autismusspektrumsstörung abgelöst wird. Betroffene werden bei der ASS danach eingeteilt, wie hoch ihr UnterstĂŒtzungsbedarf ist, dieser kann dabei von low-support-needs zu high-support-needs reichen. WĂ€hrend manche AutistInnen* ihr Leben selbststĂ€ndig mit minimaler oder keiner UnterstĂŒtzung bewĂ€ltigen können, benötigen andere ihr Leben lang intensive UnterstĂŒtzung, was nichts daran Ă€ndert, dass sie alle eine ASS haben – nur eben anders ausgeprĂ€gt mit unterschiedlichen Herausforderungen.

ForscherInnen* gehen davon aus, dass ungefĂ€hr 1-2% aller Menschen von einer ASS betroffen sind, wobei der Zugang zu einer offiziellen Diagnose fĂŒr manche Personengruppen deutlich schwieriger ist als fĂŒr andere. Neben der weltweit stark unterschiedlich ausgebauten medizinischen und psychologischen Versorgung ist es fĂŒr als weiblich gelesene Personen und ethnische bzw. religiöse Minderheiten hĂ€ufig schwieriger eine Diagnose zu erhalten als etwa fĂŒr cis-geschlechtliche MĂ€nner (oder als mĂ€nnlich gelesene Personen). Viele DiagnosestellerInnen* halten außerdem an einem veralteten Bild von Autismus fest, das sich sehr eindeutig so darstellt, wie es vor langer Zeit bei weißen autistischen Buben beobachtet wurde. Die von dieser Personengruppe abweichende Sozialisierung anderer Personengruppen wurde dabei nicht beachtet, wobei manche Fachleute frĂŒher sogar soweit gingen zu behaupten, dass Frauen gar keine ASS haben könnten.

Autismus prÀsentiert sich in Frauen hÀufig anders als in MÀnnern, weshalb Frauen nach wie vor noch oft gar nicht oder fehldiagnostiziert werden. In der Forschung wird daher debattiert ob es sein könne, dass sich Autismus auch in trans-Personen anders manifestiert und ob deshalb auch die Diagnosekriterien dementsprechend angepasst werden sollten.

Eine im Jahr 2020 in der online Fachzeitschrift „Nature Communications“ veröffentlichte Studie mit 641.860 TeilnehmerInnen* zeigte, dass die Wahrscheinlichkeit autistisch zu sein bei trans-geschlechtlichen und genderqueeren Menschen 3,03 bis 6,36 mal höher ist, als bei cis-geschlechtlichen Personen.

Der Grund fĂŒr diese Korrelation von ASS und TransidentitĂ€t ist nicht wissenschaftlich geklĂ€rt. Ein diskutierter Ansatz ist, dass autistische Kinder durch ihre Schwierigkeiten in der sozialen Interaktion und mit sozialen Normen durch die GeschlechterprĂ€sentationen in ihrer Umwelt „verwirrt“ werden und dadurch kein klares IdentitĂ€tsbild fĂŒr sich selbst finden können, was dann Geschlechtsdysphorie verursacht. Weiters gibt es die Theorie, dass viele autistische Kinder in ihrer Vorstellungskraft limitiert sind und es dadurch schwierig fĂŒr sie sein könnte zu identifizieren, dass sie einer gewissen Geschlechtsgruppe angehören.

Eine andere Theorie ist, dass AutistInnen* sich nicht in gleichem Maße an soziale Normen gebunden fĂŒhlen und dadurch offener mit ihrer IdentitĂ€t umgehen, als cis-geschlechtliche Menschen.

Obwohl es viele verschiedene Theorien gibt, die versuchen diesen Zusammenhang zu erklÀren, sind die wenigsten davon ausreichend erforscht.

Was bedeutet all das aber nun fĂŒr Personen auf dem Autismusspektrum und deren gesundheitliche Versorgung?

Sowohl eine ASS als auch eine trans-IdentitĂ€t stellen ein Randgruppendasein dar, im Falle eines Zusammenauftretens einer ASS und trans-IdentitĂ€t umso mehr. Das GefĂŒhl einer Randgruppe bzw. Minderheit anzugehören, kann belastend sein. Transgender AutistInnen* sind besonders gefĂ€hrdet Diskriminierung und Anfeindungen ausgesetzt zu sein. Umso wichtiger ist es, dass medizinisches und psychologisches Personal darin geschult ist, PatientInnen* in beiden dieser Bereiche zu unterstĂŒtzen und internalisierte stereotype Vorurteile abzubauen. Wichtig ist auch, dass die Anliegen und der Leidensdruck von AutistInnen* ernst genommen werden, da Menschen am Spektrum, so wie viele andere Menschen mit div. körperlichen und psychischen Krankheiten und Behinderungen, nicht selten voreingenommen und teilweise auch infantilisiert (wie ein Kind) behandelt werden. Einer Studie von 2018 zufolge, veröffentlich auf Springer Nature Link, berichteten 32% der StudienteilnehmerInnen*, dass das medizinische Personal, das sie bei geschlechtsangleichenden Maßnahmen betreute, ihre GeschlechtsidentitĂ€t auf der Grundlage, dass sie auch eine ASS hatten, hinterfragte. Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig es ist, dass besonders medizinisches Personal im Bereich der geschlechtsangleichenden Medizin auch im Fachbereich des Autismus sowie anderer Neurodivergenzen (d. h. Ein Abweichen der kognitiven Hirnfunktionen von der neurotypischen Norm) ausgebildet ist. Denn nur wenn alle Aspekte der Gesundheit und IdentitĂ€t beachtet, akzeptiert und gefördert werden, kann ein Mensch wahrlich gesund und glĂŒcklich sein.

Chris

Gesundheits- und KrankenpflegerIn*
arbeitet in der Gesundheitsberatung

Von Gastautor*in

Unter diesem Tag versammeln sich verschiedene Gastautor*innen der Lambda.