Alle drei Monate gehe ich zur Blutabnahme. Dort hat sich inzwischen ein kleines Ritual zwischen dem Personal an der Rezeption und mir entwickelt. Jedes Mal läuft es in etwa so ab: Sie nehmen meine Karte und Überweisung entgegen. Ich weise darauf hin, dass der Geschlechtseintrag auf meiner e-card nicht mit meinem Passgeschlecht übereinstimmt und auch nicht für Vergleichswerte herangezogen werden sollte. Sie schauen bedrückt und müssen mir leider mitteilen, dass sie ein binäres Geschlecht angeben müssen. Ich seufze und würfle vor ihnen aus, welches Binärgeschlecht denn dieses Mal meine Referenzwerte bestimmen soll. „Bitte vergessen Sie beim Aufrufen nicht, nur den Namen ohne Anrede zu verwenden.“ Jedes Mal vergessen sie es doch. Jedes Mal entscheidet im Hintergrund jemand vom ärztlichen Personal, dass das Geschlecht auf der e-card verwendet werden muss. Jedes Mal erhalte ich einen Befund, der mit Hilfe von Durchschnittswerten erstellt wird, die für mich nicht wirklich halten und jedes Mal neu mit meiner Diabetologin erst rekontextualisiert werden muss.
Auch wenn periodisch davon ausgegangen wird, eigentlich bin ich aber gar nicht wegen meines inter* Körpers da. Selbst in der Zeit, in der ich regelmäßig Hormone zu mir nehmen sollte, wurde mein Blutspiegel nicht kontrolliert, obwohl dies bei trans* Personen durchweg und dringend empfohlen wird. Für mich ist inter* sein aber eigentlich etwas, das mir erst dadurch zugänglich wurde, als ich lernte, die (Zwangs-)Medikalisierung von mir zu streifen und einen selbstbestimmten Zugang zu meinem Körper und — zumindest für mich — meiner nicht-binären Geschlechtsidentität zu finden. Während also inter* Körper oft medikalisiert werden, streitet die Bewegung (in Österreich beispielsweise vertreten durch den Verein Intergeschlechtlicher Menschen Österreich; VIMÖ) dafür, eben nicht als chronische Krankheit, sondern als simple Variation der Geschlechtsmerkmale behandelt zu werden. Damit soll nicht verneint werden, dass manche dieser Variationen medizinische Aufmerksamkeit erfordern. Jedoch werden diese in der Praxis nicht von denjenigen unterschieden, in denen ein inter* Körper ohne medizinische Notwendigkeit einem binären Erwartungsmuster nach Mann oder Frau entsprechend normiert werden soll.
Auf den ersten Blick könnte das Verhältnis zwischen der intergeschlechtlichen und der Behindertenrechtsbewegung als ein angespanntes verstanden werden; insbesondere da sich eine inter* Erfahrung auch oftmals aus einer (zwangs-)medikalisierten Zuschreibung von inter* nicht als Varianz, sondern als chronische (zu behandelnde) Krankheit speist. Als eine Person, welche beides kennt, also inter* ist und chronisch krank, gibt es für mich vehemente Unterschiede dahingehend, wie ich diese Aspekte meines Lebens wahrnehme, auch wenn ihnen gemein ist, dass sie auf vieles, auch unverhofft, Einfluss nehmen. Inter* sein bedeutet für mich einen Aspekt meiner Identität, einer, der sich aus Community speist, nicht vollkommen starr, aber dynamisch um einen festen Kern herum. Inter* zu sein bedeutet für mich, meine Identität zu leben, nicht zu verwalten. Ganz anders sieht es dahingehend bei meinen chronischen Krankheiten aus. Sie befinden sich auch in einem dynamischen Prozess, allerdings sehr viel unbeständiger. Es gibt Zustandsveränderungen (öfter schlechter, manchmal gleichbleibend, sehr selten besser werdend) und Schübe. Es gibt Aufs und Abs. Es gibt Tage, an denen ich nicht wirklich viel machen kann, und es gibt Tage, an denen ich meine Energie gut einteilen kann. Meine chronischen Krankheiten gilt es zu beobachten, zu managen, zu verwalten. Sie beeinflussen, was ich wie machen kann, aber nicht zwingend, wer ich bin.
Inter* zu sein hat aber wiederum Auswirkungen darauf, inwiefern es mir möglich ist, adäquate medizinische Versorgung für meine chronischen Krankheiten zu bekommen. Erst seit kurzem ist es mir überhaupt möglich, einen Antrag auf einen Behindertenpass zu stellen, da lange Zeit nicht alle in Österreich legalen Geschlechter angegeben werden konnten. Die Vergleichswerte für meine eigenen Blutanalysen können zwar mit meiner Ärztin noch rekontextualisiert und eingeordnet werden, um informierte Entscheidungen zwecks meiner Behandlung zu treffen; die Daten, die in den Systemen bleiben, befinden sich dort jedoch in einer binärgeschlechtlichen Form. In einer Welt, in der immer mehr von algorithmischer (oder auch künstlicher) Intelligenz ganz konkret auch in medizinischen Bereichen gesprochen wird, macht mir die Datenlage hier grundlegend Sorgen. Systeme, die Menschen dabei helfen sollen, medizinisch relevante Entscheidungen im Hinblick auf Wahrscheinlichkeiten zu treffen, stellen für unwahrscheinliche Menschen immer eine Bedrohung dar. Und während mit geschätzt 1,7% der Bevölkerung zwar ein weitaus größerer Teil als intergeschlechtlich gilt als gemeinhin angenommen, handelt es sich bei den jeweiligen Varianten immer noch um welche, die einfach nicht so häufig vorkommen.
Dahingehend lässt sich auch ein etwas anderer Zugang zu Gemeinschaft feststellen. Mit anderen inter* Personen komme ich zusammen, um für die eigenen Rechte zu kämpfen, gegen ein defizitäres Verständnis unserer Körper, für eine Wertschätzung von (ja, auch biologischer) Vielfalt. Mit Personen, die meine chronischen Krankheiten teilen, verbindet mich ein Streit um bessere medizinische Versorgung — eine Versorgung, die sich im Zweifelsfall nicht nur auf unsere Lebensqualität, sondern auch auf die Lebensdauer mehr oder weniger deutlich auswirken kann. Dabei ist in meinem Fall nicht einmal konkret klar, wie dies tatsächlich zu bewerkstelligen sei, da kaum medizinische Daten für inter* Personen außerhalb spezifisch inter*-bezogener Medikalisierung vorhanden sind.
Mein inter* Leben spielt sich an dieser Schnittstelle von Ablehnung eines medizinischen Zwanges und der gleichzeitigen Einforderung medizinischer Leistungen ab. Aus diesem Wunsch, dass inter* Körper erstmal als gleichwertige Variation angesehen werden, ergibt sich jedoch eine Annäherung an die Behindertenrechtsbewegung. Auch hier wird eine Ablehnung eines defizitär-individualisierenden medizinischen Modells angestrebt und eine Akzeptanz unterschiedlicher Körperlichkeit eingefordert, die durch die Realisierung ebenbürtiger Zugangsrechte erreicht werden soll. Daraus ergeben sich Potentiale für positiv konnotierte Allianzen. So streiten auch gehörlose Personen für eine Anerkennung der eigenen Sprache und Kultur mit kritischem Auge auf den Impuls der hörenden Mehrheitsgesellschaft, den Hörstatus von gehörlosen Kindern zu normieren. Diese werden nämlich mehrheitlich in hörende Familien geboren. Wenn diesen Eltern dann keine Wahlfreiheit gegeben wird, weil sie lediglich über medizinisch-technische Möglichkeiten informiert werden, wachsen gehörlose Kinder ohne Zugang zu Gebärdensprachen und Gemeinschaft mit anderen auf. Damit wird ihnen eine positive Identifikation mit dem eigenen Minderheitenkörper verwehrt. Wir streiten also für ähnliche Belange: körperliche Selbstbestimmung in Einklang mit der eigenen Identität und gemeinschaftliche Zugehörigkeit. Immer mit der Forderung, die Möglichkeiten zu erweitern, in denen sich die persönliche Entwicklung entfalten kann. Aus dieser geteilten Position ergibt sich noch eine weitere Möglichkeit, eine Möglichkeit der gegenseitigen Solidarität, die versteht, dass uns ein tiefes Bedürfnis nach Selbstbestimmung eint, und dass, frei nach Maya Angelou, dieses Recht nur für uns gelten kann, wenn es für alle gilt.
Katta Spiel
Assistenzprofessor*in für Critical Access in Embodied Computing an der Human-Computer Interaction Group der Technischen Universität Wien. Zusätzlich ist Katta bei VIMÖ (Verein Intergeschlechtlicher Menschen Österreich) und VARGES (der Beratungsstelle für Variationen der Geschlechtsmerkmale) organisiert sowie Mitglied im nationalen Monitoringausschuss zur Überwachung der UN Behindertenrechtskonvention.