„Der da hinten ist fix schwul, schau wie er ausschaut.“
„Ist das ein Junge oder ein Mädchen?“
„Die hat kurze Haare, die steht sicher auf Weiber!“
Stereotype Vorstellungen über das Aussehen queerer Personen gab es schon immer, haben sich mit der Zeit verändert und wird es wahrscheinlich immer geben.
Aber wie sieht denn so eine ‚typisch queere Person‘ überhaupt aus? Wenn man heutzutage im Internet nach Stereotypen von LGBT+ Menschen sucht, könnte man meinen, alle queeren Menschen sind blauhaarige Baristas mit Septum-Piercing und Patchwork-Tattoos. Oft werden solche Aussehensmerkmale mit Rebellion verbunden, dem Ablehnen von sozialen Normen, Gepflogenheiten oder Schönheitsidealen. Bei vielen konservativen Menschen löst dieses ‚aus der Reihe tanzen‘ ein Gefühl der Ablehnung aus, was sich manchmal sogar in Hass (zum Beispiel eben Homo- und Transfeindlichkeit) steigern kann.
Alexa, zeig mir einen Schwulen!
Aus Interesse habe ich ChatGPT gebeten, ein Bild zu malen: „Zeichne mir ein Bild von einer stereotypischen LGBT-Person.“ Die Antwort hat mich zuerst positiv überrascht, da ich sofort mit einem Bild gerechnet hatte:
„LGBT-Personen drücken sich auf unglaublich vielfältige Weise aus, sodass es keine festgelegte „stereotypische“ Darstellung gibt, die die Gemeinschaft fair abbilden würde […]. Es gibt kein einheitliches Aussehen, das diese Gemeinschaft definiert. Es wäre problematisch und reduzierend, eine stereotype Darstellung zu schaffen, da queere Menschen vielfältig und einzigartig sind.“
Unter meiner Anfrage wurde mir sogar ein roter Text ‚Dieser Inhalt verstößt möglicherweise gegen unsere Nutzungsrichtlinien.‘ angezeigt.
Dies zeigt aber nicht, dass Künstliche Intelligenz weniger stereotypisch ist, im Gegenteil. KI ist im Grunde geballte Information aus unzähligen Quellen, und gerade sich wiederholende Stereotypen sind gefundenes Futter für Suchmaschinen. Dieser KI wurde daher von Entwickler*innen ‚beigebracht‘ solche Stereotype zu erkennen und ihnen geschickt aus dem Weg zu gehen.
Als ich jedoch bei meinem Wunsch nach einem Bild geblieben bin und zusätzlich um eine vielfältige, allgemeine Darstellung gebeten habe, ist ein Mensch mit bunten Haaren, massenhaft Piercings und einem Regenbogenschal erschienen. Am Ende des Tages bleiben eben doch gewisse Vorurteile und Bilder in unseren Köpfen bestehen, die in uns allen etwas auslösen, wenn wir ihnen im Alltag begegnen.
Kleider machen Leute
So sehr Stereotype auch nerven, irgendwo steckt manchmal auch ein Korn Wahrheit darin. Bestimmte Kleidung, Haarschnitte, Piercings, Tattoos, Nagelkunst, Schmuck, etc. können ermächtigende Faktoren des Ausdrucks von Zugehörigkeit sein. Innere Werte werden laut und bunt nach außen getragen, als Markenzeichen oder Mahnmal. Es zeigt Stolz auf die eigene Identität und die Community, zeigt die Freiheit, das eigene Leben so zu gestalten und zu leben, wie man es möchte. Fremde auf der Straße sollen schon aus hundert Meter Entfernung sehen können, welche gesellschaftlichen oder politischen Werte die Person mit und in sich trägt.
Diese spezifischen Ausdrucksweisen dienen aber nicht nur zur Abgrenzung von gewissen Normen, sondern auch dazu, um sich mit Gleichgesinnten zusammenzufinden. Die erste Erfahrung mit dem Gefühl der Zugehörigkeit zur queeren Community ist für viele ein Meilenstein, genauso wie die erste Teilnahme an einer Pride oder die erste Partnerperson. Sich in anderen wiederzuerkennen, etwa durch den gleichen äußerlichen Ausdrucksstil, schafft eine ganz besondere Bindung, nicht nur zur Gemeinschaft, sondern stärkt auch die eigene Person. Innerhalb der queeren Community war der Ausdruck durch Mode schon immer ein wichtiger Bestandteil – Beispiele dafür sind das Tragen bestimmter Farben, androgyner Kleidung oder ‚Crossdressing‘, ein bestimmtes Ohrpiercing bei Männern, etc. Auch ein kleiner Pin an der Kleidung etwa kann Großes im Gegenüber auslösen, ein Gefühl der Sicherheit, des Verständnisses, der Akzeptanz und möglicherweise auch der Zugehörigkeit. Gerade Minderheiten sind immer auf der Suche nach Verbündeten, kleinen Anzeichen, die sie wissen lassen: Von dieser Person muss ich keine Gefahr erwarten.
One-Way-Ticket
Offensichtliche Queerness ist aber nicht immer ideal oder wünschenswert. Auf Anhieb als ‚anders‘ abgestempelt zu werden, kann sehr unangenehm oder schlimmstenfalls sogar gefährlich sein. Manchmal ist es eine Hautfarbe, ein Kopftuch oder eine Gehhilfe, die sofort ein Alleinstellungsmerkmal darstellt, oder eben die Kleidung, Haare oder anderes äußerliches, welches nicht der weißen, ableistischen cis-hetero Norm entspricht. Die Energie in einem Raum verändert sich, plötzlich ist da etwas Außergewöhnliches, etwas, das sich von der Gruppe abhebt. Die Frage, wie mit dieser andersartigen Person umgegangen werden soll, hängt schwer in der Mitte des Raumes. In Sekundenschnelle werden alle Informationen über diese Minderheit aus den tiefsten Ecken des Gedächtnisses herausgegraben. Oft sind hier dann verschiedenste Vorurteile dabei, und/oder viele Unsicherheiten, die durch Unwissen entstehen. Manche versuchen diese Unsicherheit zu überspielen und die ‚Schuld‘ von sich abzuweisen („man darf ja heutzutage gar nichts mehr sagen“), andere versuchen der Situation aus dem Weg zu gehen, in dem für sie „eh alle gleich“ sind.
Natürlich ist Sexualität grundsätzlich unsichtbar und es gibt genug queere Menschen, bei denen es ein Coming-out braucht, um als queere Person erkannt zu werden. Dafür sind dann andere wiederum so offensichtlich queer, dass sogar bei cis-hetero Personen der Gay-dar läutet. Aus persönlicher Erfahrung sprechend kann ich sagen, dass ich manchmal wünschte, ich könnte diesen sehr einfach erkennbaren queeren Teil meiner Identität verstecken, und erst dann darüber sprechen, wenn ich es für richtig und notwendig halte. Nicht sofort irgendein Label aufgedrückt bekommen, nur weil ich kurze Haare oder Piercings habe. Mag schon sein, dass die eine oder andere Annahme auch stimmt, trotzdem ist es selten ein gutes Gefühl, stereotypisiert zu werden – nicht selten habe ich das Gefühl, in Gruppen mit überwiegend cis-hetero Personen negativ herauszustechen und schwerer Anschluss zu finden.
Gekommen, um zu bleiben
Der Stigmatisierung entgegenwirkend entstehen heutzutage immer mehr Safe Spaces. Diese geschützten Orte oder (virtuellen) Räume dienen dazu, Menschen ein Gefühl von Sicherheit zu geben, sich frei zu fühlen und Meinungen und Erfahrungen zu teilen. Gerade in Safe Spaces für queere Menschen ist Diversität in äußerlichen Merkmalen nicht nur willkommen, sondern wird oft sogar gefeiert (zB Drag Shows). Wir als queere Community werden noch immer systematisch diskriminiert, so dass wir solche Räume brauchen, andererseits sind wir vergleichsweise privilegiert, dass wir diese Räume öffentlich leben dürfen. Mitteleuropa hat in den letzten Jahren gute Fortschritte gemacht, aber wir dürfen in Anbetracht des Rechtsrucks nicht vergessen, dass diese Fortschritte auch jederzeit wieder abgebaut werden können.
Stehen wir also gemeinsam zu unserem Recht auf Ausdrucksfreiheit – laut und bunt!