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Tinder, Badoo und Grindr

Wie Datingplattformen das Menschliche aus dem Menschen nehmen

Das Menschsein in Sozialen Netzwerken

Die Entmenschlichung in den Sozialen Netzwerken. Ein Begriff, der nicht erst seit gestern in Talkshows angesprochen, von Expert*innen diskutiert oder das Thema einer Podcastfolge ist. Mittlerweile ist so gut wie jeder Person, die sich im Internet bewegt, auch bewusst, dass sie einen Teil ihrer Menschlichkeit an der Garderobe abgibt, bevor sie auf Instagram, X (formaly known as Twitter) oder TikTok geht. Hierbei gibt es nur drei Möglichkeiten: Entweder ist man sich des Ganzen nicht bewusst, man ist sich dessen bewusst, nimmt es aber in Kauf oder hält aus Prinzip Abstand zu diesen Plattformen. Egal wo man sich nun selbst zwischen diesen drei Wegen sieht, eines steht fest: Wie wir im Internet andere Menschen wahrnehmen und von anderen Menschen wahrgenommen werden, hat sich zu einer gesellschaftlichen Thematik mit unglaublicher Tragweite gemausert.

Die „unsozialen“ Dating Plattformen

Aspekte von Instagram, X und Facebook lassen sich zum Teil auf das heutige Online Dating und die damit verbundenen Plattformen übertragen. Die Schnelllebigkeit, das Überangebot an Menschen und besonders die wahrgenommene Narrenfreiheit. Während ich, wenn ich beim Date mit einer Person in einer Bar mindestens einen schrägen Blick und vielleicht ein Getränk ins Gesicht bekomme, wenn ich sie als hässliche, nicht liebenswerte Person bezeichne, blockiere ich auf Grindr einfach die Person und muss nie wieder von ihr hören oder sie sehen. Aus den Augen, aus dem Sinn. Nach zwei Minuten habe ich bereits wieder vergessen, dass die Interaktion je stattgefunden hat.

Wenn es nicht so traurig wäre, wäre es vor allem eines – sehr interessant. Sobald ich den Menschen nicht mehr real vor mir habe, die Reaktionen meines Gesagten und meiner Taten nicht mehr direkt zu spüren bekomme, verhalte ich mich so, wie ich mich auf offener Straße niemals gegenüber einem Mitmenschen verhalten würden. Dieser Aspekt verbindet soziale Netzwerke und Dating Plattformen miteinander.

Es gibt aber einen anderen Aspekt, der sie trennt. Bei sozialen Netzwerken wie Instagram oder TikTok geht es oft darum, sich mit lustigen Videos zu unterhalten und in der Mittagspause einfach auch etwas hirnlos durchzuswipen. Ein harmloser Zugang. Oft vergleicht man sich mit anderen Menschen und das kann selbstverständlich enorm negative Folgen für die eigene Selbstwahrnehmung haben. Trotzdem wage ich zu behaupten, dass Dating Plattformen ein höheres Potential für persönlichen Schaden bergen können.

Aus persönlicher Sicht kann ich behaupten, dass bei mir selten ein Tag vergeht, an dem ich auf Plattformen wie Grindr nicht für mein Aussehen kritisiert werde. Ich bin zu dürr, habe ein komisches Gesicht, die Liste lässt sich lange fortführen. Ich kann mir vorstellen, dass das gerade Beschriebene für viele, die das lesen, auch Realität ist, sofern sie ein aktives Profil auf einer ähnlichen Plattform betreiben. Falls ja, dann willkommen im Klub – ich kann euch wenigstens eine Gewissheit mitgeben: Ihr seid alles andere als allein. Oft wird dann argumentiert, dass das nun mal die Plattform ist und man sich nicht erwarten dürfte wie ein Mensch mit Gefühlen behandelt zu werden. In jedem anderen Kontext würden wir so eine Aussage kritisieren, im Bezug auf gewisse Plattformen nehmen wir sie als naturgegeben hin.

Solche Nachrichten, die direkt an uns gerichtet sind, uns persönlich oft auch nah gehen, weil sie selten charmant verfasst sind und oft unser Aussehen betreffen, können ein starker Zündstoff für eine verzerrte Selbstwahrnehmung sein. Auf Online Dating Plattformen geht es nun mal um Emotionen und jede Beleidigung gegenüber dem eigenen Aussehen schneidet vielen Menschen tief ins Herz und hinterlässt Narben.

Der queere Mosaikstein im großen Gemälde

Warum aber ist diese Thematik besonders wichtig für die queere Community? Am Ende betrifft es doch alle Menschen, die sich in den virtuellen Ring des Onlinedatings werfen. Ja, dem gebe ich absolut Recht. Es betrifft uns alle. Aber besonders queere Menschen leiden auch in der heutigen Zeit noch unter Ausgrenzung, Diskriminierung und fehlender Wertschätzung. Viele Menschen in der queeren Community bauen sich besonders in jungen Jahren noch ihr Selbstwertgefühl und besonders ihre Selbstliebe auf. Sie sind beeinflussbar und ein Funken auf Datingplattformen in Form einer beleidigenden Nachricht kann zu einem Flächenbrand ausarten.

Man stelle sich vor, ein junger Mensch auf dem Land meldet sich zum ersten Mal auf einer einschlägigen Plattform an, weil es die einzige Möglichkeit für ihn ist, zu daten, ohne zwei Stunden in die nächstgelegene Stadt fahren zu müssen. Statt netten Gesprächen und das Gefühl zum ersten Mal irgendwie aufgenommen zu werden, schlagen ihm Hassnachrichten und Beleidigungen gegenüber dem Aussehen entgegen. Der mögliche emotionale Schaden kann sehr einschneidend sein.

Von Mensch zu Mensch

Was soll dieser Beitrag aussagen? Ich erwarte nicht, dass beispielsweise Grindr eine Wohlfühlplattform wird, bei der jede Person mit Samthandschuhen angefasst wird. Ich erhoffe mir etwas Generelleres und vor allem Nachhaltigeres für alle. Von Mensch zu Mensch bitte ich alle, sich aktiv bewusst zu machen, wie mächtig Worte sind. Ihr könnt einem Menschen mit euren Worten ein schönes Gefühl trotz unterschiedlicher Vorstellungen in Sachen Dating schenken. Auf der anderen Seite könnt ihr sie tief verletzen, was ihr vielleicht nach einer Minute vergessen habt, für die andere Person aber Wochen nachhallt. Behandeln wir uns gegenseitig, in der realen Welt oder auf Dating Plattformen wie Menschen, die Gefühle und Facetten haben. Die Welt ist bereits verrückt genug, da müssen wir uns nicht noch gegenseitig kleinreden. Bewusstsein ist wichtig denn, nur weil du die Tränen nicht siehst, die deine Worte ausgelöst haben, heißt es nicht, dass sie nicht da sind.

Text von Sebastian Brandstätter; studiert Politikwissenschaften, ist Redakteur bei GaySalzburg.at und im Vorstand der Heublumen – LGBTQIA+ Initiative

Von Gastautor*in

Unter diesem Tag versammeln sich verschiedene Gastautor*innen der Lambda.