Was gilt im Arbeitskontext?
„Body Shaming and Blaming“ im Bereich der Arbeitswelt ist kein isoliertes Phänomen, sondern findet entlang eines kulturellen Wandels der Gesellschaft statt. Deshalb beschäftigt sich dieser Beitrag konkret mit Vorstellungen und Weisungen von Dienstgeber:innen (DG) gegenüber Dienstnehmer:innen (DN) hinsichtlich deren äußeren Erscheinungsbildes.
Welche arbeitsrechtliche Maßnahmen und Weisungen der:des Chefs:Chefin, die Kleidung, Körperschmuck oder sonstige äußere Eigenschaften im Visier haben, sind rechtskonform und welche sind streitbar? Was ist, wenn DG den DN, die unliebsamen Schmuck tragen, anweisen, dies künftig zu unterlassen? Oder sie z.B. Personen mit Unterarmtattoos sagen, sie mögen langärmelige Hemden tragen, anderen Kolleg:innen aber das Tragen von Kurzarm-Outfits gestatten? Oder jemandem, die:der zuletzt stark an Gewicht zugenommen hat oder „zu alt“ geworden ist von einer Position mit Kund:innenkontakt weg in Backofficeräume oder gar in ein Lager versetzt, weil Betroffene nicht mehr so ansehnlich seien und man deren Erscheinungsbild Kund:innen nicht „zumuten“ möchte (vieles davon natürlich niemals ausdrücklich ausgesprochen)?
In Österreich definiert das Rechtssystem: Dienstanweisungen stehen in einem Spannungsverhältnis zu den Persönlichkeitsrechten der DN, die durch § 16 ABGB (Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch) und Art. 8 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) geschützt sind. § 16 ABGB garantiert den Schutz der personalen Integrität, während Art. 8 EMRK das Recht auf Achtung des Privatlebens umfasst, wozu auch das äußere Erscheinungsbild gehört. Dienstanweisungen, die das Erscheinungsbild betreffen, wie das Verbergen von Tattoos oder spezifische Kleiderordnungen, müssen im Lichte dieser Bestimmungen verhältnismäßig und sachlich gerechtfertigt sein. Weiters besagt der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz, dass DN nicht ohne sachlichen Grund ungleich behandelt werden dürfen. Objektive betriebliche Erfordernisse sowie nachweisbare betriebliche Notwendigkeit können Eingriffe in die Persönlichkeitsrechte hingegen rechtfertigen. Dies ist im Einzelfall abzuwägen.
Dogmatisch gesehen gilt, dass unzulässige Dienstanweisungen rechtswidrig sind und daher von DN nicht befolgt werden müssen. In der Praxis wird die Frage der Zulässigkeit von Gerichten entschieden und aus Gründen der Vorsicht wird in rechtlich unsicheren Fällen ein zumindest befristetes Befolgen von Dienstanweisungen durch die DN opportun erscheinen, um keine Entlassungsgründe zu setzen. Jedenfalls empfiehlt sich, im Konfliktfall frühzeitig Unterstützung beim Betriebsrat und/oder der Arbeiterkammer zu suchen.
Sollte tatsächlich eine Entlassung durch DG erfolgen, besteht die Möglichkeit, diese Form der sofortigen Auflösung des Dienstverhältnisses – die ein Verschulden der DN voraussetzt und den Verlust von Geldansprüchen nach sich zieht – binnen 14 Tagen beim zuständigen Arbeits- und Sozialgericht gerichtlich anzufechten. Für den Fall, dass zwar keine sofortige Auflösung des Dienstverhältnisses ausgesprochen wird, jedoch eine Kündigung (mit Ablauffristen), kann die Kündigung ebenso binnen 14 Tagen gerichtlich angefochten und eine Wiedereinstellung begehrt werden, oder alternativ Kündigungsentschädigung bzw. Schadenersatzansprüche. Besteht im Unternehmen ein Betriebsrat, ist dieser bereits vor der Kündigung in den Prozess eingebunden und es verlängert sich die Anfechtungsfrist um eine zusätzliche Woche. Auch daher empfiehlt sich eine sofortige Kontaktaufnahme mit diesem.
Die jeweils anfechtenden DN bringen dabei vor, dass der Dienstanweisung bzw. Beendigungserklärung der DG ein sogenanntes verpöntes Motiv innewohnt, wie z.B. dass DG den DN die Wahrung ihrer Rechte (im konkreten Fall Persönlichkeitsrechte) verbieten wollen oder dass Dienstanweisungen diskriminierend sind im Sinne persönlicher Merkmale, die das Gleichbehandlungsgesetz und Behinderteneinstellungsgesetz vorgeben: Geschlecht, Alter, ethnische Herkunft, sexuelle Orientierung oder Behinderung. Des Weiteren kann gemäß § 101 Arbeitsverfassungsgesetz teils gegen verschlechternde Versetzungen vorgegangen werden, wenn diese auf Grund unzulässiger Dienstanweisungen angeordnet werden. (Es besteht dabei jedoch nur ein Rechtsanspruch auf Ausübung einer gleichwertigen Tätigkeit, was in der Praxis zu Verhandlungen zwischen DG und DN über die zukünftige berufliche Position führen kann.) Ganz wesentlich bei all dem ist, dass es den DN gelingen muss, die Motive glaubhaft zu machen, wobei gerichtlich der Grundsatz der freien Beweiswürdigung gilt. Naturgemäß wird die DG-Seite ihre Motive bei einer Kündigung, die grundlos erfolgen darf, nicht nennen sowie bei einer Entlassung, die mit Begründung erfolgen muss, Scheinargumente vorbringen. Es obliegt dann dem Gericht zu entscheiden, wer glaubwürdiger ist.
Fallbeispiele relevanter, höchstgerichtlicher Entscheidungen
Eine relativ alte Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (OGH, 11.2.1999, 8 ObA 195/98d) beschäftigt sich mit einem entlassenen Bankmitarbeiter mit indirektem Kund:innenkontakt, der eine massive, große Goldkette quasi als Krawattenersatz trug und die für ihn als Familienerbstück eine emotionale Bedeutung hatte. Er widersetzte sich der Aufforderung des DG die Kette abzulegen, worauf es zur Entlassung kam – mit dem Verweis auf branchenübliche Kleidungsgepflogenheiten. Bezüglich dieses ungewöhnlichen, aber für den DN persönlich bedeutungsvollen Schmuckstücks traf der OGH die im vorherigen Absatz genannte Abwägung der Persönlichkeitsrechte mit dem Weisungsrecht zum Nachteil des DN. Im allgemeinen Bankbereich eine solch auffallende Goldkette sichtbar über dem Hemd zu tragen widerspräche massiv dem Verständnis der Bevölkerung vom Erscheinungsbild eines männlichen Bankbeamten – so der OGH vor 25 Jahren. Eine solche Einschätzung ist naturgemäß dem Wandel der Zeit unterworfen; das Verständnis der Bevölkerung zu angemessenem Erscheinungsbild könnte der OGH heute auch anders beurteilen. Spannend ist in diesem Kontext, dass tatsächlich das äußere Merkmal zur härtesten Form des Konfliktes im Arbeitsrecht – der Entlassung – geführt hat.
Eine neuere Entscheidung (OGH 25.6.2015, 9 ObA 117/15v) befasste sich mit der Kündigungsanfechtung einer in einer Notariatskanzlei arbeitenden Muslima, die ursprünglich (nur) Kopftuch und Körperschleier trug, was von der DG-Seite toleriert wurde, jedoch ihre Kleidung sodann um einen Niqab (Gesichtschleier, bei dem nur die Augen frei bleiben) ergänzte und letztlich vom DG gekündigt wurde. Der OGH wies die Klage der DN u.a. unter Hinweis auf die „unbestrittenen Grundregeln zwischenmenschlicher Kommunikation, das Gesicht unverhüllt zu lassen“ ab. Insofern gibt es gesicherte Judikatur, wie weit islamische Kleidung am Arbeitsplatz gehen darf – das Verbot von Gesichtsverhüllungen ist zulässig.
In einer weiteren Entscheidung (OGH 24.9.2015, 9 ObA 82/15x) urteilte das Höchstgericht, dass die Weisung an einen im öffentlichen Linienverkehr eingesetzten DN, im Dienst kein rosafarbenes Haarband zu verwenden, tatsächlich rechtswidrig ist. Mit der Einzelweisung, im Dienst kein auffälliges Kleidungsstück zu tragen, greift der DG nämlich in die Persönlichkeitsrechte des DN nach § 16 ABGB und Art 8 EMRK, sein persönliches Erscheinungsbild nach eigenem Ermessen festzulegen, ein. Dieser Eingriff braucht sehr gute Gründe, um gerechtfertigt zu sein. Diese liegen etwa dann nicht vor, wenn der DG nicht nachvollziehbar darlegt, inwiefern Kund:innen an der Professionalität und Seriosität von DN zweifeln sollten oder auch z.B. die Sicherheit durch das Tragen eines dezenteren Kleidungsstücks relevant gesteigert werden würde.
Es ergibt sich folgendes Bild
Konflikte innerbetrieblich zu lösen lohnt sich für beide Seiten schon aufgrund des bereits skizzierten Spannungsverhältnisses zwischen Persönlichkeitsrechten und berechtigten Interessen der DG. Rechtsprechung unterliegt dem Wandel der Zeit. Es lassen sich gute Argumente dafür finden, sichtbare Tätowierungen wohl nur (noch) in besonders konservativen Unternehmen verborgen halten zu müssen, wobei es sich für DN stets empfiehlt im Dialog die sachliche Begründung einzufordern. Wenn ein sichtbares Tattoo nur die Führungskraft stört, aber es darüber keinerlei Kund:innenbeschwerden gibt und kein wirtschaftlicher Schaden eintritt, wird es schwierig werden, die Persönlichkeitsrechte der DN fortlaufend zu ignorieren. Selbiges gilt bei unterschiedlicher, sinnwidriger Behandlung von Frauen und Männern entsprechend der Diskriminierungsverbote und des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes.
Schönheitsideale unterliegen ebenfalls einem historischen Wandel: Anweisungen an ältere bzw. als weniger attraktiv beurteilte DN keine reizvolle Kleidung zu tragen greifen zweifelsfrei stark in die Persönlichkeitsrechte ein und können darüber hinaus eine unzulässige Altersdiskriminierung darstellen. Insbesondere dann, wenn dies bei jungen, attraktiv beurteilten DN toleriert oder gar gefördert wird.
DG-Maßnahmen auf Grund von Gewichtszunahme der DN, z.B. die Versetzung von einer Position mit Kund:innenkontakt in ein Lager oder ein Backoffice sind durchaus anfechtbar. Sollte sehr starkes Übergewicht das Motiv sein, könnte sich das Anfechtungsbegehren ggf. auf Diskriminierung wegen Behinderung stützen. Auch wenn das betriebliche Zielkund:innenpublikum junge Leute sein sollen, sieht das Rechtssystem den fortlaufenden Schutz der aus diesem Unternehmensziel heraus „zu alten“ DN vor. Die nicht mehr zum DG-Profil passenden DN sollen vor Jobverlust geschützt werden (Altersdiskriminierung).
Generell ist von einer hohen Dunkelziffer an Konflikten am Arbeitsplatz auszugehen. Fallbezogene Judikatur zu den Themen Übergewicht und Körperästhetik fehlt bislang, weil DG bereits im Bewerbungsverfahren prüfen, wen sie aufnehmen wollen und ihnen grundsätzlich das Instrument der unbegründeten Kündigung offensteht. Wenn die DN auf Dauer nicht mehr in der Lage sind den Arbeitsvertrag zu erfüllen, wird die Situation kritisch. Dies könnte z.B. bei körperlich anspruchsvollen Berufen der Fall sein, die sportliche Leistung voraussetzen.
Zusammenfassend lässt sich ausführen, dass Dienstanweisungen und damit verbundene Kündigungen bzw. Entlassungen, an denen Bodyshaming und Bodyblaming haften, in den allermeisten Fällen unzulässig sind. In der Praxis stößt Diskriminierungsschutz aber an seine Grenzen, was zur provokanten Frage führt (Magdalena Pöschl, 2013): Wer schützt die „Dummen und die Hässlichen“? Möchte der Gesetzgeber etwa derartige Tatbestandsmerkmale in den Diskriminierungsschutz einbeziehen, käme er nicht umhin auszusprechen, dass jemand „dumm“ oder „hässlich“ ist – und schafft sohin neue Probleme.
Wichtig ist nochmals zu betonen, dass DG sich in allen genannten Fallbeispielen geradezu niemals auf diskriminierende oder Persönlichkeitsrechte verletzende Motive berufen und deren Maßgeblichkeit bei ihren arbeitsrechtlichen Maßnahmen gegen DN stets leugnen werden. Nur Fälle mit besonders „tollpatschigen“ DG landen daher vor Gericht: Den DN bleibt die schwierige Aufgabe, die Beweislast zu erfüllen oder zumindest glaubhaft machen zu können, dass die Gründe für Maßnahmen gegen sie einzig und allein an ihrem äußeren Erscheinungsbild liegen. In der Praxis ist die persönliche Abwägung zu treffen, welchen derartigen Dienstanweisungen man doch Folge leisten würde. Es besteht ein primäres Interesse vieler DN darin, den Fortbestand ihres Dienstverhältnisses nicht zu gefährden bzw. ggf. einvernehmliche Kompromisslösungen zu suchen.
Co-Autor dieses Beitrags ist:
Ewald Magnes, langjähriger Betriebsrat und seit 2017 als Laienrichter am Arbeits- und Sozialgericht tätigt