Unterrepräsentierung & Fatshaming.
Gedanken einer fetten, queeren und weiblich gelesene Person in der Community.
Yvonne. Weiß. 36 Jahre. Fett. Queer.
Aufmerksame Leser*innen fragen sich jetzt vermutlich, warum ich mich selbst als fett bezeichne. In unserer Gesellschaft wird das Wort „Fett“ entweder gemieden, in negativen Zusammenhängen oder als Schimpfwort verwendet. Ich möchte Wörter wie dick und fett wieder für mich zurückgewinnen, nämlich als das, was sie sind – eine Beschreibung. Nicht mehr und nicht weniger.
Wichtig ist es mir zu erwähnen, dass es sich dabei um eine Selbstbezeichnung handelt. Der politisch korrekte und neutrale Begriff ist Mehrgewicht. Weiters möchte ich festhalten, dass es genauso wesentlich ist, sich seiner eigenen Positionierung und den damit einhergehenden Privilegien bewusst zu werden. Ich als weiße, fette Person, mache andere Erfahrungen als zum Beispiel eine mehrgewichtige Person of Colour. Wahrnehmungen und Erfahrungen unterscheiden sich aufgrund verschiedener intersektionaler Ebenen.
Mehrgewichtige Personen sind täglich teils mehrfach mit Ausgrenzung und Diskriminierung konfrontiert. Sei es im öffentlichen Leben, in der Medizin oder im privaten Bereich. Nicht nur einmal wurde mir in öffentlichen Verkehrsmitteln der Platz angeboten, weil ich für schwanger gehalten wurde, Beschwerden nicht ernstgenommen, nötige medizinische Versorgung verwehrt oder die Eigenschaft der Faulheit zugeschrieben.
Mehrgewichtige Personen tendieren aus diesem Grund dazu, sich zurückzuziehen, am öffentlichen Leben nicht oder nur selten teilzunehmen und sich selbst als weniger wert zu empfinden.
Ich bin seit ca. 20 Jahren als lesbisch geoutet und habe immer schon dem schlanken Schönheitsideal unserer Gesellschaft nicht entsprochen. Schnell musste ich lernen und akzeptieren, dass Leistungen einer dicken Person gesellschaftlich weniger wert sind, sei es im Sport oder Berufsleben. Sätze wie „Stell dir vor, was du erreichen könntest, wenn du abnehmen würdest“ stehen für mich an der Tagesordnung, unabhängig davon wie gut meine Leistungen sind. Waren meine Leistungen mal nicht so gut, wurde schnell ein Grund dafür gefunden – mein Gewicht.
Mit 16 habe ich versucht, meine ersten Schritte in der Community zu wagen und musste feststellen, dass Körper, die anders als die Norm aussahen, quasi nicht vorhanden waren. Mehrgewichtige Körper wurden von Anwesenden dementsprechend bewertet, abgewertet oder ignoriert. Aus diesem Grund habe ich mich schnell wieder aus der Community zurückgezogen und mich dieser erst wieder vor 2 Jahren zugewandt.
Seit dieser Zeit beschäftige ich mich intensiv mit queerfeministischen Themen mit einem Schwerpunkt auf Körperbilder und setze mich als Aktivist*in für die Akzeptanz ALLER Körper ein. Ich möchte meine Wahrnehmungen über die derzeitige Situation auf zwei unterschiedlichen Ebenen beleuchten, der institutionellen und der persönlichen Ebene.
Was hat sich in den letzten 20 Jahren aus meiner Perspektive geändert?
Heute blicke ich auf queere Veranstaltungsseiten und finde vermehrt den Hinweis, dass dieser Ort ein Safe Space für alle Geschlechter und Körper ist. Ich scrolle weiter zu den Werbebildern und Fotos von vergangenen Veranstaltungen und sehe vor allem eines: weiße, dünne und den Schönheitsidealen unserer Gesellschaft entsprechenden Personen. Inklusion & Körperdiversität suche ich weiterhin vergeblich. Ich frage mich: Für welche Körper ist dieser Ort/Veranstaltung ein sicherer Raum? Mehrgewichtige Personen sind ganz oft nicht damit gemeint. Wenn Betreiber*innen oder Gäst*innen gefragt werden, kommt ganz oft „Ja, wenn Dicke wollen können sie eh teilnehmen.“
Aber: Personen, die täglich mit Diskriminierung konfrontiert sind, sowohl Erfahrungen in verschiedenen queeren Räumen oder auch auf Veranstaltungen gemacht haben, werden nicht auf einmal an Veranstaltungen teilnehmen, nur weil dort der nichtssagende Satz „Für alle Körper offen“ steht.
Was macht eine Veranstaltung zu einem Ort für alle Körper? Wurden Bedürfnisse mit Betroffenen vorab besprochen und erfragt? Ist der Ort barrierefrei bzw. barrierearm? Welche Barrieren gibt es, z.B. sind vorhandene Sitzgelegenheiten für alle Körperformen geeignet? Während einer Veranstaltung am Boden sitzen zu müssen ist keine Veranstaltung, die für alle Körper und Bedürfnisse offen ist. Sind Kleiderordnungen, wie zum Beispiel auf Bällen, tatsächlich inklusiv? Mehrgewichtige Personen finden nicht mal eben ein passendes Kleid oder Hosenanzug von der Stange, von Ressourcen und finanziellen Mitteln mal ganz abgesehen.
Es ist längst an der Zeit, dass queere Veranstaltungen & Räume sich nicht nur an den Wörtern inklusiv und divers bedienen, weil es gerade hip und cool ist. Es ist an der Zeit, sich ernsthaft mit dem Thema auseinanderzusetzen, Konzepte im Austausch mit Expert*innen und betroffenen Personen zu erarbeiten, um Räume für möglichst alle Körper zu öffnen. Eventuell müssen Veranstalter*innen sich eingestehen, dass manche Veranstaltungen aus welchen Gründen auch immer nicht inklusiv und divers sind. Sollte dies der Fall sein, sollten diese Informationen vorab klar und transparent kommuniziert werden.
Es ist mir wichtig zu betonen, dass es vereinzelt Veranstaltungen gibt, die ernsthaft daran arbeiten den Ansprüchen von Inklusion und Diversität gerecht zu werden.
Die zweite Ebene ist die persönliche. Dabei möchte ich Ina Holub (Fatacceptance Aktivistin) aus meiner Podcastfolge („a fat queer feminist“) vom 21.März 2024 zitieren:
„Dann finden halt alle Queers „The Gossip“ und „Beth Ditto“ supercool, aber ich sag‘s jetzt ganz plakativ: Mit ihr schlafen oder zusammen sein, that‘s another story.“
Ein meiner Meinung nach sehr treffender Satz, der das Phänomen Fatshaming exzellent beschreibt. Ich möchte in Bezug auf Dating und soziale Beziehungen mit mehrgewichtigen Beziehungen darauf aufmerksam machen, dass wir uns alle selbst hinterfragen müssen. Sätze wie „Ich finde das eben wirklich nicht schön, sondern eklig.“ sind diskriminierend und fettfeindlich. Wenn wir uns darauf einigen, dass unsere Gesellschaft ein Konstrukt ist, dann sind auch Schönheitsideale von eben dieser ein Konstrukt und vielleicht etwas, das wir nur gelernt haben schön oder gut zu finden. Als weiblich gelesene Personen sind wir Bewertungen unseres Körpers ständig und überall ausgesetzt, leider auch ganz massiv in unseren queeren Communities.
Wir müssen uns deshalb auch auf individueller Ebene die Frage stellen, wie wir Orte und Räume für alle Körper schaffen können. Wir sind geprägt von heteronormativen und patriarchalen Strukturen, in diesen sozialisiert und tragen alle verschiedenste Vorurteile in uns.
Als queere Community, die den Anspruch hat, inklusiv zu sein, müssen wir versuchen unsere „Überheblichkeit der Diversität“ abzulegen. Ein reflektierter Umgang mit Diversität und Inklusion sollte unser gelebter Alltag sein, vor allem als marginalisierte Personengruppe, die Teil davon ist.
Alle Körper, egal woher sie kommen, welche Form oder Größe diese haben, müssen ein sichtbarer und repräsentierter Teil unserer Community werden. Um gemeinsam stark, geeint und nachhaltig gegen Diskriminierung und für eine offene, selbstbestimmte Welt für alle kämpfen zu können.
Abschließend ist es mir wichtig zu sagen:
Lasst uns einander jetzt, in Zeiten von Rückschlägen und dem Erstarken der rechten Kräfte in Österreich, Europa und auf der ganzen Welt, nicht spalten. Lasst uns gemeinsam und füreinander einstehen, Seite an Seite, in all unserer Vielfalt – mit unseren unterschiedlichen Körpern und Identitäten. Queere Rechte sind Menschenrechte und haben einen MEHRwert für ALLE.
Text von von Yvonne Laussermayer, Aktivist*in und Podcaster*in