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Atheismus und Queer-Sein

Atheist*Innen sind eine Minderheit. Im Jahr 2018 waren beispielsweise etwa nur 4 % der in Österreich lebenden Menschen überzeugte Atheisten, das entsprach zu diesem Zeitpunkt lediglich 352.800 Personen. Atheisten glauben, wie den meisten bekannt sein wird, nicht an eine oder mehrere Gottheiten oder sonstige höhere Kräfte, die unsere Welt beeinflussen. Etwas davon abgespalten existieren auch noch Agnostiker*Innen, die zwar nicht explizit an eine höhere Macht glauben, deren Existenz aber auch nicht ausschließen.

Diverse Religionen prägten essenziell unsere Welt und machten und machen sie zu dem Ort, der sie heute ist. In einigen Ländern ist Religion auch heute noch ein fester Bestandteil der Gesetzeslage und -bildung. Oft lässt sich leider beobachten, dass Religion auch als Grund herangezogen wird, um Queerfeindlichkeit zu rechtfertigen. Auch wenn wir in Österreich schon deutlich weiter und toleranter in dieser Hinsicht sind als in manch anderen Ländern, kann noch lange nicht davon die Rede sein, dass religiöse Ansichten, v. a. überwiegend christliche, als Anhaltspunkt oder treibende Kraft bei Themen der Politik oder lauten Stimmen der Öffentlichkeit nicht mehr benutzt werden.

Es muss wirklich schlimm sein, wenn man Teil einer Religionsgemeinschaft ist und diese sich gegen die eigene Lebensweise stellt und teils aufs Schärfste verurteilt. Es rutscht aber in wahrlich irrsinnige Dimensionen ab, wenn Hass verbreitet wird wegen etwas, an das man selbst nicht mal im Entferntesten glaubt.

Queere Atheist*Innen sehen sich oft damit konfrontiert, dass jemand anderes über sie anhand von Werten urteilt, die absolut nichts mit ihnen zu tun haben und die sie nicht teilen. Eine ähnliche Diskussion ist die Debatte über die Freiheit einer gebärfähigen Person, inwieweit sie das Recht auf eine Abtreibung habe sollte, die sich gerade in den U.S.A. in den letzten Monaten sehr hochschaukelte. Dann heißt es von vielen Seiten, dass es in den Augen der eigenen Religion verboten oder unrecht wäre; was aber hat das jemand anders zu interessieren? Religion ist Privatsache und niemand sollte das Recht haben über eine andere Person zu urteilen, oder gar zu bestimmen, auf Grundlage der eigenen individuellen Glaubenswahl.

Warum also soll ich nicht sein dürfen, wer und wie ich bin, nur weil es jemand anders nicht ins Weltbild passt? Es wird schließlich immer irgendwo irgendjemanden geben, in dessen Augen ich mein Leben nicht richtig führe.

Ein guter Leitsatz, an dem sich die Menschen, meiner Ansicht nach, orientieren sollten ist: „Glaube und lebe wie du möchtest, solange du andere damit nicht in ihrem Leben einschränkst.“ Es gibt etliche Religionen auf dieser Welt, dennoch ist jedem und jeder die eigene Religion die einzig wahre. Was macht es denn wahrscheinlicher, dass der christliche Gott realer ist als etwa der im muslimischen Glauben? Wer bestimmt, welche die einzig wahre Religion ist? Richtig: Niemand! Oder wie ich es als überzeugter Atheist betrachte: Es gibt gar keine. Auch das ist natürlich nur meine persönliche Ansicht, und ich störe mich nicht daran, dass andere meine Sichtweise nicht teilen. Allerdings möchte ich auch nicht, dass andere mich dafür verurteilen, nicht ihrem Glauben zu folgen oder mich nicht an ihre vermeintlichen Verhaltensregeln zu halten.

Hierzu ein kleiner persönlicher Exkurs:

Ich lebe in einer ländlichen Gegend und letztes Jahr besuchte ich mit meiner Freundin ein Feuerwehrfest in einem Dorf. Wir wollten einen netten Abend verbringen, gingen Hand in Hand umher und sahen uns die verschiedenen Verkaufsstände an. Es dauerte nicht lange, da wurde eine Gruppe junger Burschen auf uns aufmerksam, die ich auf zehn bis zwölf Jahre geschätzt hätte. Sie gingen einige Meter hinter uns her und lachten immer wieder. Etwas später kamen sie dann mit Wasserpistolen und liefen uns nach, während sie uns nass machten. Als wir sie dann zur Rede stellten, antwortete ein Junge, dass das, was wir da täten, abnormal und ekelhaft sei; wir müssten zu Gott oder Allah finden und damit aufhören. Nachdem er davongelaufen war, sprach uns ein älterer Herr an und fragte, was wir von dem Jungen gewollt hätten. Wir erklärten die Situation und er zuckte lediglich mit den Schultern; das Verhalten sei schließlich verständlich, wie er sagte.

Gerade am Land ist Religion oftmals ein noch größerer Bestandteil des täglichen Lebens als in einer größeren Stadt. Die Zeit scheint in manchen Gemeinden gar wie stehengeblieben zu sein. Sonntags ist die Messe in der katholischen Dorfkirche, die jedes noch so kleine Dorf hat, für viele ein Muss und wenn es vermeintliche Fehltritte von jemandem gibt, werden diese beim Pfarrkaffee besprochen – natürlich wird aber nicht gelästert! Jeder ist sich selbst der Nächste. Nächstenliebe gehört schließlich zu den christlichen Gepflogenheiten dazu.

Braucht es aber denn wirklich eine Gottheit, damit man mit Empathie und Nächstenliebe durchs Leben geht? Gab es denn keine guten Eigenschaften in den Menschen, bevor die heutigen großen Religionen aufblühten? Ich finde es eher erschreckend und traurig, wenn ein Mensch so wenig Eigenverantwortung oder Moral hat, sodass er blind einem Buch vertraut (oder vertrauen muss), um ihn zu leiten.

Religion ist ein Thema, mit dem ich mich immer wieder auseinandersetze. Mittlerweile umgebe ich mich fast ausschließlich mit Menschen, die meine Grundwerte weitgehend teilen – auch unter ihnen sind teils sehr strenggläubige Personen. Sie sind die lebenden Beweise dafür, dass nicht die Religion der Grund für Hass ist, sondern das Individuum, das die Religion als Grund missbraucht. Gerade im Falle eines christlichen Menschen ist die Doppelmoral oft kaum zu übertreffen; ist es nicht eines der zehn Gebote, den Namen des eigenen Gottes nicht zu missbrauchen? Sündigen dann nicht eigentlich alle, die die Bibel und den vermeintlichen Willen ihres Gottes dazu benutzen, um in seinem Namen solches Handeln zu rechtfertigen? Sind sie in den Augen ihres Gottes dann nicht eigentlich genauso sündhaft in ihrem Verhalten, wie queere Menschen angeblich mit ihrem Lebensstil?

Woran machen Christ*Innen denn überhaupt fest, welche Bibelteile sie jetzt ganz genau übernehmen sollten, und welche eigentlich nicht mehr dem Geist der Zeit entsprechen? Queerfeindliche Passagen eignen sich selbstverständlich ausgezeichnet für engstirnige Argumente gegen die Community, wie sieht es denn mit ebenso zeitgemäßen Zeilen über Sklaverei aus? Ist es nach wie vor in Ordnung Sklaven zu halten? In den Augen dieser Menschen: Wer weiß? Ihr moralischer Kompass scheint ja dem gleichen Buch zu entspringen.

Dieser Beitrag liest sich sehr religionskritisch – das ist mir bewusst. Deshalb möchte ich zum Schluss nochmal betonen, dass jede Glaubensrichtung prinzipiell vollkommen in Ordnung und zu akzeptieren ist, solange sie dieses Recht auch allen anderen zugesteht. Hass ist keine Meinung. Jede Person hat ein Recht darauf zu sein, wer sie ist und zu glauben oder nicht zu glauben, woran auch immer sie möchte.

Chrissy

Von Gastautor*in

Unter diesem Tag versammeln sich verschiedene Gastautor*innen der Lambda.