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Queere Astrologie

Ein Ersatz für die Religion?

Laut einem Artikel im New Yorker ist Astrologie so beliebt wie seit den 1970er-Jahren nicht mehr. Astrologie ist momentan wieder gefragt, das zeigen unter anderem auch Tiktok-Trends. Gerade in der LGBTIQ+-Gemeinschaft scheint die Astrologie besonderen Anklang zu finden. So gibt es zum Beispiel spezifisch queere Horoskope und die Bewegung der queeren Astrologie.

Astrologie hat, obwohl sie als Wissenschaft zusammen mit der Astronomie entstand, heutzutage nichts mehr mit wissenschaftlichen Methoden zu tun. Dass Geburtstag, -ort oder -zeit einen Zusammenhang mit bestimmten Charaktereigenschaften (wie jenen der Sternzeichen) aufweist, wurde in verschiedenen Studien untersucht und konnte nicht bestätigt werden. Genauso steht es mit dem Einfluss der Sterne und Planeten auf die Erde.

Daher ist der aktuelle Trend zumindest überraschend. Bedenklich ist es gerade dann, wenn Menschen in Orientierungslosigkeit Gewissheit in der Astrologie suchen. Obwohl meist keine konkreten Aussagen gemacht werden, gibt es sogar Internetseiten, die manche Geburtshoroskope mit bestimmten sexuellen Orientierungen in Verbindung setzen.

Warum interessieren sich queere Menschen also so sehr für Astrologie?

Möglicherweise hängt das große Interesse an Astrologie mit dem Rückgang der Bedeutung der Kirche zusammen. Gerade queere Menschen, die in religiösen Institutionen oft Diskriminierung erfahren, haben dort weniger die Möglichkeit Spiritualität auszuleben. Könnte es also sein, dass sie sich stattdessen der Astrologie zuwenden, die dem Universum ebenfalls Sinnhaftigkeit und Bedeutung zuspricht, jedoch nicht so konservativ und patriarchal geprägt ist?

Um dies zu beantworten, muss geklärt werden, ob es so etwas wie ein Bedürfnis nach Spiritualität überhaupt gibt und welche Funktionen Religion und Spiritualität für Menschen und die Gesellschaft haben. Evolutionstechnisch gesehen gibt es verschiedene Theorien, die die Existenz von Religion und Spiritualität erklären.

Kognitive Revolution: Religion als Mittel für eine geregelte Gesellschaft

Ein Erklärungsansatz führt das Aufkommen von Religion auf die kognitive Revolution zurück, einer Zeit von ungefähr 700.000 vor Christus, in der die Menschen in immer komplexeren sozialen Strukturen zusammenlebten. Religion könnte als Mittel für Zusammenhalt und Orientierung in der Gemeinschaft gedient haben. Der Glaube an etwas Größeres schaffte gemeinsame Werte und Rituale, und auch eine moralische Grundlage. Die Vorstellung eines allmächtigen Gottes, der alles sieht und Sünden bestraft, war von Nutzen, um die Gesellschaft intakt zu erhalten und geregeltes Sozialverhalten zu ermöglichen.

Allerdings führte diese Moralvorstellung nicht nur zu erwünschtem Sozialverhalten, sondern unter anderem auch zu Diskriminierung von queeren Menschen. Auch heutzutage werden beispielsweise Homophobie und Hass gegenüber der LGBTIQ+-Gemeinschaft immer noch mit Bibelzitaten gerechtfertigt.

Obwohl Astrologie als Wissenschaft entstand, könnte sie heutzutage ähnliche Funktionen wie die der Religion erfüllen. Die Identifikation mit den Sternzeichen, die Interpretation der Sterne und Planeten und der Glaube, dass das Universum Einfluss auf die Menschen nimmt, kann Orientierung und Sinn schaffen. Es kann auch zum Gemeinschaftsgefühl beitragen, wenn sich Menschen treffen, die an das Gleiche glauben. Es gibt zwar keine organisierten Treffen wie Gottesdienste, aber gemeinschaftliche Aktivitäten sind durchaus möglich. Astrologie beschäftigt sich auch durch die Analyse von Beziehungen oder Freundschaften mit der Gemeinschaft. Im Gegensatz zu den meisten Religionen gibt es jedoch keine organisierte Institution und dementsprechend keine Hierarchien, diskriminierenden Regeln oder Ausschlusskriterien.

Wenn Astrologie ähnliche Funktionen wie Religion erfüllt, jedoch niemanden diskriminierend ausschließt, bietet diese Theorie eine Erklärung für die Zuwendung queerer Menschen zur Astrologie. Sie geht allerdings nicht auf ein mögliches, individuelles Bedürfnis nach Spiritualität ein.

Psychologische Tendenzen zur Spiritualität

Ein anderer Ansatz geht davon aus, dass Spiritualität in gewisser Weise angeboren ist, und untersucht verschiedene Konzepte, die spirituelles Verhalten erklären.

Beispielsweise geht es bei der sogenannte „Theory of mind“ um die Fähigkeit von Menschen zu verstehen, dass andere Menschen denken, und sich in sie hineinzuversetzen. Diese Fähigkeit entwickeln Kinder tatsächlich erst mit vier Jahren. Sie kann mit Hilfe von Gehirn-Scans deutlich gemacht werden und ist grundlegend für menschliche Interaktion. Eine Erweiterung dieses Konzepts ist die „Existential theory of mind“. Diese beschreibt, dass Menschen nicht nur anderen Menschen, sondern auch Tieren und Dingen oder eben übernatürlichen Kräften, wie Göttern, den Sternen oder dem Universum selbstbestimmtes Denken zuweisen können. Ohne diese Fähigkeit wäre der Glaube an eine höhere Macht nicht möglich und dies erklärt außerdem, warum in der Bibel zum Beispiel Gott, selbst nicht menschlich, häufig menschliche Verhaltenszüge wie Emotionen zeigt und nach ihnen handelt.

Ein weiteres Phänomen ist das theologische Begründen, also wenn Menschen für Dinge oder Erfahrungen übernatürliche Erklärungen finden. Wissenschaftler*innen vermuten, dass dies aus der menschlichen Tendenz, die Welt als sinnhaft, selbstbestimmt und geplant wahrzunehmen, resultiert. Schon Kinder möchten intuitiv wohl Dingen und Ereignissen eine Funktion oder einen Sinn zuordnen. Zum Beispiel gibt es eine Studie, die zeigt, dass Kinder auch bei natürlichen Vorkommnissen wie dem Wetter Erklärungen bevorzugen, die dem Wetter einen Sinn zuordnen, wie zum Beispiel: Die Wolken sind zum Regnen da.

Religion oder andere Arten der Spiritualität können also dazu dienen, den Ereignissen im Leben und der Welt um einen herum einen Sinn zu geben, was auch erklärt, warum Menschen gerade im Umgang mit dem Tod oder in ungewissen Lebensumständen zu Spiritualität neigen. Da queere Menschen in religiösem Umfeld häufig nicht willkommen sind, finden sie möglicherweise ihren Platz in der Astrologie.

Queere Astrologie

Doch auch die Astrologie ist nicht frei von patriarchalen Vorstellungen, denn die Interpretation der Sternzeichen ist geschlechterspezifisch. Das bedeutet zum einen, dass eine Hälfte der Sternzeichen weiblich und die andere männlich ist. Luft und Feuerzeichen, zum Beispiel Löwe und Steinbock, sind männlich. Wasser und Erdzeichen dagegen, zum Beispiel Krebs oder Stier, sind weiblich. Das Geschlecht eines Sternzeichens ist wiederum mit bestimmten Charaktereigenschaften verbunden. So sind weibliche Sternzeichen eher intuitiv, sorgfältig, emotional und kreativ, während männliche Sternzeichen voller Tatendrang, Durchsetzungsvermögen und Selbstbewusstsein sind.

Zum anderen beeinflusst das Geschlecht einer Person auch die Interpretation dessen Sternzeichens. Es gibt also Unterschiede zwischen einem Krebsmann und einer Krebsfrau. Aber was, wenn man sich weder als Mann noch als Frau identifiziert? Diese Unterscheidungen schließen also Personen aus, die nicht in das binäre Geschlechterkonzept passen. Außerdem sind die zugeschriebenen Charaktereigenschaften generalisierend und verstärken Stereotypen.

Deswegen gibt es eine Bewegung, das Lesen der Sternzeichen geschlechtsneutraler zu gestalten. Die Queere Astrologie zum Beispiel orientiert sich an der Queer-Theorie, welche die Heteronormativität, also dass Heterosexualität und stereotypische Geschlechterrollen als Normalität in einer Gesellschaft gelten, infrage stellt. Für die Astrologie bedeutet das ebenfalls, die geschlechterspezifischen Beschreibungen kritisch zu hinterfragen und das Geburtshoroskop individuell und unabhängig vom Geschlecht zu interpretieren.

Ob Spiritualität nun aus der kognitiven Revolution entstand oder angeboren ist, bleibt offen. Beide Theorien zeigen jedoch, dass Religion und Astrologie ähnliche Funktionen erfüllen können, was gerade für Menschen der LGBTIQ+-Gemeinschaft, die nicht Teil der konservativen und religiösen Institutionen sein wollen oder dort nicht willkommen sind, wichtig ist.

Von Chiara Beier

studiert Psychologie