Heirat, Haus, Kinder – der traditionelle Lebenstraum ist bis heute in den Köpfen der Menschen tief verankert. Für viele cis-hetero Menschen ist dieser Lebensweg auch der einzig ‘richtige‘, den es zu bestreben und erfüllen gilt. Auf langjährige Partnerschaften ohne Eheschließung, auf Menschen ohne Drang nach Eigenheim, und vor allem auf Menschen ohne Kinderwunsch wird herabgesehen, ihre Entscheidungen hinterfragt und missbilligt. Das Sich-Abgrenzen von bzw. Ablehnen der hetero-normativen Lebensgestaltung mit traditionellen Vor- und Rollenbildern ist allerdings schon seit vielen Jahrzehnten ein wichtiger Aspekt der queeren und feministischen Lebenskultur. Eine Partnerschaft soll meist keine Aufteilung in familienernährende*n Erwerbstätige*n und haustätiges Elternteil sein, und auch keine unausgewogenen Macht- bzw. Abhängigkeitsverhältnisse (z.B. finanziell) beinhalten.
Die heutige Gesellschaft ist zwar in vielen Teilen der Welt schon so weit kulturell emanzipiert, dass die individuelle Lebensgestaltung abseits der Tradition höchstens den Verlust sozialer (heteronormativer) Anerkennung mit sich zieht. Trotzdem ist der Kampf für die Akzeptanz von nicht-heteronormativer Lebensgestaltung und postmodernen Familien (z.B. Patchwork) noch lange nicht geschlagen.
Work, b*tch!
Die Emanzipation und der lange Kampf der queeren Community haben viel dazu beigetragen, dass heutzutage auch noch andere Menschen außer alten, weißen, cis-hetero Männern verantwortungsvolle Positionen übernehmen können. Ist ein ‚9-5 CEO-Job‘ aber überhaupt erstrebenswert für queere Menschen? Oft ist nämlich gesellschaftliches Bewusstsein (Social consciousness) mit zum Beispiel profitorientierten Unternehmenspositionen nur schwer zu vereinbaren. Außerdem zeigen Studien, dass queere Menschen eher zu sozialen und kreativen Berufen tendieren, was unter anderem daran liegt, dass in queerfreundlichen Berufen gearbeitet werden möchte.
Generell beginnt die berufliche Orientierungsphase meist zwischen 15 und 25 Jahren. Diese Zeit ist für viele queere Menschen auch eine Selbstfindungsphase, wo die eigene Geschlechtsidentität oder Sexualität hinterfragt und neu eingeordnet werden. Häufig werden in dieser Zeit auch erste Diskriminierungserfahrungen gemacht, was sich auf die weitere Lebensumfeldorientierung und Berufswahl auswirken kann. Kreative und soziale Berufsfelder sind tendenziell minderheitenfreundlicher – was sie somit attraktiv für queere Menschen macht. Womöglich wählen queere Menschen auch öfters soziale Berufe, weil sie eben schon mit Themen wie Ausgrenzung und sozialen Schwierigkeiten bekannt sind und viel Verständnis und Empathie dafür haben.
Wer also im Beruf dem weißen cis-hetero Mann möglichst aus dem Weg gehen möchte und Diversität am Arbeitsplatz sucht, wird sie eher im sozialen oder kreativen Bereich finden.
Kinderlos oder Kinderfrei
Familienorientierung ist kein universeller Traum, den sich jede*r zu erfüllen wünscht. Für vielen Menschen mit ausgeprägtem Kinderwunsch oder sogar elterlichen Pflichtgefühlen scheint allerdings ein Leben ohne Nachwuchs etwas ganz und gar Unmögliches zu sein. Dieses Unverständnis äußert sich oft in Missbilligung von Menschen ohne Kinderwunsch, da sie der Überzeugung sind, dass nur Kinder ein Leben erfüllen und ‚vervollständigen‘. Dabei sind es oft doch genau diese Menschen, die über ihre eigenen Kinder unglücklich und vollkommen ausgelaugt sind. Diese Art von Menschen, die sich über das Ende des friedlichen Single-Daseins, die Qual der Ehe und die Last durch Kinder beschweren. Treffen sie allerdings auf eine Person, welche sich andere Lebenswünsche erfüllt und Kinder hintenanstellt, oder gar auf sie verzichten möchte, wird die Stimmung sofort auf kinderliebender Familienmensch umgestellt. Etwas verpassen würde man. Nicht so egoistisch solle man sein. Die Meinung würde man mit dem Alter noch ändern.
Vor allem weiblich gelesene Menschen trifft diese Art des Hinterfragens oft. Egal ob Verwandte, Freunde oder Kolleg*innen, jede erwachsene weiblich gelesene Person wurde schon einmal über Ehe- und/oder Kinderwunsch ungewollt ausgefragt. Die übergriffigen Aussagen reichen von Kommentaren zu Egoismus und Karrieregeilheit bis hin zur ‚ablaufenden biologischen Uhr‘. Eine ‚Frau‘ scheint nur vollkommen zu sein und in der Gesellschaft Wert zu haben, wenn sie mindestens ein Kind in die Welt gesetzt hat.
Auf der anderen Seite gibt es auch queere Menschen mit sehnlichem Kinderwunsch. Erst seit Anfang der 1990-er Jahre können gleichgeschlechtliche Paare adoptieren und erst seit 2015 ist eine künstliche Befruchtung für queere Paare rechtlich zugelassen. Doch alleine die Aufhebung des Verbotes bedeutet nicht gleich einen ebenen Weg für queere Paare. Diskriminierung erfolgt in verschiedenen Formen – ein Beispiel aus Deutschland: Krankenkassen müssen die Kosten einer künstlichen Befruchtung bei gleichgeschlechtlichen Ehepaaren nicht tragen, da keine Spendersamen eines Dritten verwendet werden dürfen.
Kinder sind somit einerseits ein absolutes Privileg, andererseits definitiv kein Muss.
Forever alone
Keinen Kinderwunsch zu haben ist vor allem in der queeren Community keine Ungewöhnlichkeit. Im Gegensatz dazu steht der Wunsch nach Eheschließung und vor allem (langfristiger) Partnerschaft: Viele asexuelle und/oder aromatische Personen fühlen sich dem Druck der sexualisierten Gesellschaft ausgesetzt, eine Partnerschaft oder Ehe als Lebensziel haben zu müssen. Sie werden oft bemitleidet, infantilisiert, oder als asozial/gefühlslos/Roboter bezeichnet und vor einem einsamen Leben gewarnt, als wäre eine Partnerschaft die einzige menschliche Beziehung, die es gäbe. Selbst für queere Menschen ist es manchmal schwer zu verstehen, wenn der Wunsch nach tiefgründigen Freundschaften (zu Mensch sowie Haustier) wichtiger ist, als eine Partnerschaft je sein könnte.
Die Bedeutsamkeit von Freundschaft ist etwas, das jede*r für sich selbst entdecken muss. Gerade in Phasen des Lebens wie beispielsweise in der Pension, in der man nicht ständig von Menschen umgeben ist, ist es leicht, zu vereinsamen. Heutzutage entstehen immer mehr Vernetzungsmöglichkeiten für ältere queere Menschen, damit auch für sie ein Zugehörigkeitsgefühl und Raum für Akzeptanz geschaffen wird. Zum Beispiel treffen sich seit 2019 in einem Pensionist*innenklub in Mariahilf regelmäßig queere Senior*innen. Neben einem regelmäßigen Diskussions-Stammtisch gibt es auch Tango-Tanzkurse für gleichgeschlechtliche Paare – was will Mensch mehr?
Am Ende des Regenbogens
Letztendlich ist es das eigene Recht jedes einzelnen Menschen, zu entscheiden, wohin die Reise geht. Es ist natürlich auch für queere Personen völlig legitim, Eheschließung und Kinderwunsch anzustreben und zu erfüllen – es wurde ja schließlich lange genug dafür gekämpft, dass auch queere Menschen heiraten und Kinder adoptieren dürfen. Außer diesem traditionellen Zukunftsbild gibt es aber noch unzählig andere Möglichkeiten der Lebensgestaltung, die bis in das hohe Alter Freude und Glück bringen können. Dabei gilt das Motto ‚Wer wagt gewinnt‘ – Mut zum Brechen von traditionellen Lebensformen und Verwirklichung individueller Lebensziele – als Formel zum eigenen erfüllten ‚Happy Ever After‘.