Safe Spaces anstatt „back into the closet“
Die Generation an LGBTIQA-Personen, welche in den nächsten Jahren pflegebedürftig werden, bringt von beschwerlichen Umständen geprägte Lebensgeschichten mit sich.
Häufiger noch als ihre heterosexuellen, endo- und cisgeschlechtlichen Gleichaltrigen leiden queere Senior*innen unter sozialer Isolation und Einsamkeit. Gleichzeitig hält die Aussicht auf ein Leben im Altenheim für viele von ihnen Ängste bereit.
Wer pflegt mich, wenn ich keine Nachkommen habe? Wer redet mit mir, wenn mein*e Partner*in verstorben ist? Wie bewältige ich sicher meinen Alltag mit fortschreitenden körperlichen Einschränkungen? Das sind Fragen, die für die meisten alternden Menschen irgendwann relevant werden. Für LGBTIQA-Personen besteht noch eine zusätzliche Bürde: ein System, das ihre Existenz nicht vorsieht.
Queere Senior*innen tragen komplexe Biografien mit sich herum, die stark von denen heterosexueller Senior*innen abweichen. Sie haben ihre Identität noch zu einer Zeit der Illegalisierung und Pathologisierung gelebt und haben aufgrund von sowohl sozialer als auch institutioneller Diskriminierung ihre Queerness großteils im Verborgenen halten und sich ihre Sichtbarkeit hart erkämpfen müssen. Für sie war die Wahrscheinlichkeit, dass ein Outing zu einer traumatischen Erfahrung wird, besonders hoch.
Da Heterosexualität als der selbstverständliche Standard angenommen wird, bedeutet eine Unterbringung im Altenheim für queere Personen entweder zurück „in the closet“ oder, sich einem weiteren Outing zu stellen.
Doch auch heute gibt es gibt keine Garantie dafür, dass sie sowohl vonseiten der Pflege als auch der Mitbewohner*innen nicht auch im Altenheim auf homo- und transphobe Reaktionen stoßen. Die Einschränkungen des Alterns machen besonders vulnerabel, so kann die Angst vor Diskriminierung zusätzliche Belastung darstellen, der sich viele nicht aussetzen können oder wollen.
Durch diese Unsichtbarkeit werden die Chancen auf eine ganzheitliche Pflege, die ihren Bedürfnissen gerecht wird, gering.
Besonders trans und inter Personen haben oft ein konfliktbehaftetes Verhältnis zu medizinischem Fachpersonal, da ihre Körper in der Regel von der Medizin pathologisiert und als defizitär behandelt werden. Die Pflege queerer Menschen erfordert unter anderem Wissen bezüglich Hormonbehandlungen und Variationen in der geschlechtlichen Anatomie und auch einen sensiblen Umgang mit mentalen Leiden, da lebenslange Diskriminierung oder das Geheimhalten der eigenen Identität die Wahrscheinlichkeit erhöht, psychisch zu erkranken.
Zurzeit kann man nicht davon ausgehen, dass Pflegepersonal auf diese individuellen Anforderungen und Biografien der LGBTIQA-Senior*innen vorbereitet ist.
Das alleine ist zwar kein Grund, für rein queere Altenpflegeeinrichtungen zu plädieren, vielmehr sollte das Personal jeglicher Pflegeeinrichtungen mit den speziellen Bedürfnissen dieser Personen vertraut sein. Viele queere Menschen würden trotzdem von einer Umgebung profitieren, in der sie nicht aus der Norm fallen und die auf ihre Lebensumstände sensibilisiert ist.
Mit fortschreitendem Alter wird es durch körperliche oder geistige Einschränkungen immer schwerer, ein soziales Umfeld aufrechtzuerhalten. Dazu kommt, dass Queers aus dieser Generation oft keine Nachkommen haben, die sich um sie kümmern und ihnen Gesellschaft leisten.
Besonders wenn man von gesellschaftlichen Beziehungs- und Geschlechternormen abweicht, ist der Austausch mit einer Community von Gleichgesinnten wichtig für das psychische Wohlbefinden. Genau deshalb könnten rein queere Alten- und Pflegeeinrichtungen die Lebensqualität ihrer Bewohner*innen verbessern.
Derartige Betreuungs- und Wohnkonzepte sind freilich nicht für alle. Für viele würde das Konzept einer „Ghettoisierung“ gleichkommen. So bevorzugen manche queere Senior*innen aus verschiedensten Gründen gemischte Pflegeeinrichtungen. Es geht also darum, die Möglichkeit für jene zu schaffen, die von solch einer Umgebung profitieren würden. Weiters ist zu betonen, dass es immer nur den Versuch eines Safe Spaces, nie aber die Garantie dafür geben kann. Auch die LGBTIQA-Community in sich ist eine heterogene Gruppe – nicht umsonst besteht das Akronym aus so vielen Buchstaben – deren Zugehörigkeit nicht automatisch Verständnis für alle Identitäten bedeutet.
Altenheime speziell für LGBTIQA-Senior*innen gibt es beispielsweise in den Niederlanden, Dänemark oder den USA. So auch in der spanischen Hauptstadt Madrid. Letzteres hebt sich im Gegensatz zu den anderen dadurch hervor, dass es staatlich finanziert und somit gratis ist. Österreich verfügt zwar über queere Wohngemeinschaften für ältere Menschen, von staatlicher Seite finden sich jedoch weder Pflegeheime noch einzelne Stationen innerhalb von Altenheimen, die auf queere Bedürfnisse spezialisiert sind.
Eine ganzheitliche Pflege sollte nicht den Wohlhabenden unserer Community vorbehalten, sondern für alle, die sie benötigen, frei zugänglich sein.