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Buntes Montenegro

In der vorletzten Oktoberwoche verwandelte sich Podgorica, die Hauptstadt des kleinen südeuropäischen Küstenstaates Montenegro, in eine bunte Stadt. Gleichzeitig fand nicht nur die Regenbogenparade, sondern auch die internationale IGLYO Konferenz statt. IGLYO steht für „International Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Queer & Intersex Youth and Student Organisation“ und beschäftigt sich mit dem Empowerment und Schutz junger queerer Personen. Darüber hinaus macht IGLYO u.a. auch politische Arbeit, wie z.B. das Erheben von wichtigen Studien zur Lebenssituation queerer Schüler*innen. Die jährlich stattfindende IGLYO-Konferenz stellt die weltweit größte Vernetzungsmöglichkeit für queere Jugendarbeit dar. Über 70 queere Aktivistinnen aus verschiedenen (hauptsächlich europäischen) Ländern konnten sich heuer in Montenegro vernetzen. Ich hatte die Ehre, die HOSI Wien bei der Konferenz vertreten zu dürfen und viele internationale Aktivist*innen kennenzulernen. Am Samstag, dem 21.10., gingen wir – die Konferenz-Teilnehmenden – dann gemeinsam zur Montenegro Pride

Ablauf der Montenegro Pride

Es war ein nahezu durchwegs verregneter Tag, allerdings machte der Regen genau während der Pride eine Pause und zwischendurch kämpfte sich sogar ein bisschen Sonne durch. Es fehlte wenig für einen echten Regenbogen. Immerhin konnten die Montenegriner*innen dennoch viele Regenbogen auf den Transparenten sowie auf den Gesichtern der Menschen sehen.

Die Teilnehmenden versammelten sich auf einem großen Platz in der Innenstadt. Aktivist*innen von Queer Montenegro (Pride-Veranstalterin) sowie Asocijacija Spektra (die einzige Organisation für die Rechte von Trans* und Inter* Personen in Montenegro) haben mehrere Reden gehalten. Danach marschierten etwa 1000 Teilnehmer*innen, begleitet von Musik und guter Laune, in und durch die Straßen von Podgorica.

Der Paradenzug verlief erstaunlich friedlich und ohne Gegendemo. Die Gesichtsausdrücke fremder Menschen waren gemischt: Teilweise irritiert, aber auch solidarisch lächelnd. Nach einer knappen Stunde endete die Pride wieder am Ausgangsplatz. Dort wurde noch kurz getanzt, ehe sich die Menschenmenge wieder recht schnell auflöste.

10 Jahre Pride: Neue Errungenschaften und Herausforderungen

Heuer feierte die Montenegro Pride ihr 10-jähriges Jubiläum. Die allererste Pride mit etwa 120 Teilnehmenden fand 2013 in der Küstenstadt Budva statt. 400 Polizist*innen mussten damals die wenigen Teilnehmenden vor vielen Hooligans schützen. Im selben Jahr fand auch die erste Pride in der Hauptstadt Podgorica statt: Mit 150 Teilnehmenden, zehnmal so vielen Gegendemonstrierenden und 60 Verletzten. Heute trauen sich wesentlich mehr Menschen zur Montenegro Pride. Die gesellschaftliche Toleranz dürfte sich seither verbessert haben. Es gibt heute keine großen Gegendemos mehr und in der Nacht des Pride-Tages wurde sogar eine große Autobrücke über den Fluss Morača in Regenbogenfarben beleuchtet. Auch die rechtliche Situation hat sich stark verbessert: Vor zwei Jahren wurde im Parlament ein Gesetz zugunsten gleichgeschlechtlicher Partnerschaften beschlossen und die Hauptstadt hat mit Marica Vlahović sogar so etwas wie eine LGBTIQ* Stadträtin.  

Mit solchen starken Zeichen positioniert sich das kleine Montenegro definitiv als eines der queer-freundlichsten Länder im konservativen Südosteuropa. Das liegt aber an keinem Wunder, sondern ist hauptsächlich ein Verdienst der beeindruckend engagierten montenegrinischen Aktivist*innen, denn die allermeisten Errungenschaften sind erst auf deren Druck passiert. Nichtsdestotrotz wäre es illusorisch zu behaupten, dass die Situation in Montenegro rosig ist. Laut Umfragen findet schließlich jede*r zweite Bewohner*in, dass Homosexualität eine Gefahr für die Gesellschaft darstellt und der Staat Homosexuelle unterdrücken sollte. Obwohl die Legislatur in Montenegro erstaunlich progressiv ist, darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die montenegrinische Gesellschaft noch immer sehr von konservativen, queer-feindlichen Meinungen geprägt ist. Viele queere Personen trauen sich daher nicht, zur Pride oder anderen LGBTIQ*-Angeboten zu kommen. Und viele, die den Mut dazu finden, versuchen dann eher „unsichtbar“ zu sein. So ist es früher auch dem Aktivisten Aleksa Radonjić gegangen, der seit mehreren Jahren an der Organisation der Pride mitbeteiligt ist. Bei seiner ersten Pride war er noch bemüht, möglichst nicht aufzufallen. Heuer aber hielt er furchtlos und souverän eine Rede am Podium.

Aleksas Rede während der Montenegro Pride 2023
Aleksas Rede während der Montenegro Pride 2023

Interview mit dem Aktivisten Aleksa von der Asosacija Spektra

 “I think working for Spektra and activism, is something that came with my identity. We have to work for our rights because no one else will.”

MS: Kannst du mir etwas über deine Geschichte als queerer Aktivist erzählen?

AR: Als ich 17 war, schloss ich mich der queeren Community in Montenegro an. Ich suchte nach Menschen, die sich so fühlten wie ich. Zu derselben Zeit wurde die Asosacija Spektra ins Leben gerufen – dort wurden Selbsthilfegruppen für intersex, trans* und genderdiverse Personen angeboten. So habe ich auch zum ersten Mal trans* Personen und meine jetzigen Kolleg*innen kennengelernt. Schnell wurde ich zu einem Aktivisten und begann Workshops zu organisieren sowie mich an der Organisation der Montenegro Pride zu beteiligen. Seit 2018 bin ich im Organisationsvorstand unserer Pride. Aktuell lebe ich in Ljubljana, da ich in Slowenien studiere, aber ich kämpfe nach wie vor für Menschenrechte in Montenegro.

MS: Wie würdest du die diesjährige Pride mit deiner ersten Pride 2018 vergleichen?

AR: Damals versuchte ich noch unsichtbar zu sein. Dieses Jahr war ich hingegen sehr sichtbar, als ich am Podium sprach. Die Pride war dieses Jahr ähnlich gut besucht wie damals. Und es sind viele Menschen da, wenn wir die Größe von Montenegro bedenken. Ich sehe auch viele „straight allies“ und nicht-queere Organisationen, die bei der Pride mitmarschieren. Die Menschen beginnen zu verstehen, dass die Pride wirklich für alle da ist.

MS: Was sind die zentralen Forderungen der montenegrinischen Aktivist*innen von der Regierung?

AR: Erstens soll das Gesetz für gleichgeschlechtliche Partnerschaften umgesetzt werden. Das Gesetz wurde zwar schon beschlossen, in der Praxis jedoch nicht ausreichend umgesetzt. Zweitens sollen marginalisierte queere Personen vor Hass und Gewalt besser geschützt werden. Hasskriminalität wird hierzulande nicht ausreichend strafrechtlich verfolgt. Und drittens fordern wir ein Selbstbestimmungsrecht für trans* Personen.

MS: Wie lange dauert es, bis beschlossene Gesetze tatsächlich umgesetzt werden?

AR: Montenegro hat zwar im Vergleich progressive Gesetze, aber sie werden oft nicht implementiert. Also müssen wir dafür kämpfen. Es fühlt sich für mich wie ein niemals-endender Kampf an, denn unsere Regierung ist sehr passiv. Wir machen schließlich alles für sie… Wir formulieren sogar die konkreten Gesetzesbeschlüsse und sie müssten eigentlich nur unterschreiben. Wir stellen also nicht nur Forderungen, sondern versuchen, den Parlamentarier*innen die besten Vorschläge und Lösungen zu präsentieren.

MS: Danke für das Gespräch!

Von Michael Stromenger

Sozialarbeiter in Wien