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Body-Shaming

Zu feminin, zu dick, zu alt, zu wenig Muskeln

Wer keinen „perfekten“ Körper hat, wird auf schwulen Dating-Plattformen oft schnell aussortiert

„Mit Schwuchtel meine ich ja nicht dich.“ – „Wer von beiden ist die Frau?“ Diese und andere homofeindlichen Bemerkungen hat der junge schwule Mann Julius Thesing oft gehört. Er hat daher mit „You don’t look gay“ ein sehr persönliches Buch über queerfeindliche Diskriminierung im Alltagsleben geschrieben. „Ich will kein Mitleid haben, ich will beschreiben, sensibel machen“, so Thesing. Als er sich einmal in einen Zug setzte, dauerte es nur 23 Sekunden bis er den ersten Schwulenwitz hörte. Wobei Homofeindlichkeit nicht nur von heterosexuellen Menschen ausgeübt wird. Thesing beschreibt in dem Buch auch, wie manche Schwule andere Schwule ausgrenzen. Dies passiert unter anderem auf Online-Plattformen wie PlanetRomeo oder Grindr. „Das Internet ist für viele ein Raum, in dem man endlich mal sagen kann, was man sonst nicht sagen würde“, schreibt Thesing. Auf schwulen Dating-Apps zählt in erster Linie das Aussehen, wobei ein bestimmter Männertyp (jung, sportlich, durchtrainiert, mit Six-Pack) besonders hoch im Kurs steht. Natürlich soll sich jede Person seine Sexpartner*innen aussuchen können. Entscheidend dabei ist jedoch, wie wir miteinander umgehen. Auf Dating-Apps gehen einige schwule Männer „mit dem verbalen Holzhammer“ vor, schreibt Tesing. „Anstand, Moral und Menschenrechte zählen da nur in gewissem Maße“. In einem Internet-Profil heißt es beispielsweise: „Keine Tucken. Keine Fetten. Keine Asiaten. Sorry, nicht böse gemeint, aber ist nicht mein Typ“. Ein anderer Mann will „keine Femininen und keine Schwarzen“. Thesing stellt sich die Frage, wie dies bei den Betroffenen ankommt: „Wie muss sich das für die Menschen anfühlen, die schon von der heteronormativen Gesellschaft nicht akzeptiert werden, wenn sie innerhalb der eigenen Community ausgegrenzt und diskriminiert werden?“

Warum dürfen Männer nicht feminin sein?

Von schwulen Männern hat Thesing oft den Satz gehört: „Du siehst gar nicht schwul aus.“ Gleich danach folgte die Erklärung, das sei ja durchaus positiv gemeint. Denn er wirke ja nicht feminin oder tuntig. Doch warum dürfen Männer nicht feminin sein? Thesing ist über diese Diskriminierung verärgert: „Klar, Arschlöcher gibt es überall und toxische Männlichkeit macht auch vor Homosexuellen nicht automatisch Halt.“ Traurig sei es dennoch, „dass diese Arschlöcher die Orte infiltrieren, die als Safe Space herhalten könnten“.

Auch in meiner psychotherapeutischen Praxis beobachte ich, dass psychische Beschwerden aufgrund von Bodyshaming zunehmen. Unter Bodyshaming verstehen wir die Diskriminierung, Demütigung und Beleidigung von Menschen aufgrund des äußeren Erscheinungsbildes. Meiner Ansicht nach sind in diesem Zusammenhang verschiedene Aspekte zu beachten:

Rassismus unter Schwulen

Bodyshaming hat nicht selten mit Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu tun: Wenn jemand in einem Internet-Profil „keine Asiaten, keine Schwarzen oder keine Araber“ schreibt, ist das Rassismus. Viele schwule Dating-Apps hatten lange Zeit sogar Ethnien-Filter, mit denen bestimmte Menschengruppen aussortiert werden konnten. Einige Anbieter haben diese mit der „Black Lives Matter“-Bewegung zum Glück abgeschafft. Bei der im deutschsprachigen Raum beliebten Plattform PlanetRomeo existieren solche Filter leider noch immer. In der schwulen Community sind es meistens weiße Cis-Männer, die andere Männer ausschließen. Dabei handelt es sich um kein Randphänomen. In Großbritannien hat das „Gay Men’s Sexual Health Charity“ dazu 850 schwule Männer befragt. Demnach machten 81 Prozent der Männer aus Südostasien und 75 Prozent der schwarzen Männer in der schwulen Szene Erfahrungen mit Rassismus. Immer wieder ist von weißen Cis-Männern die Rechtfertigung zu hören, dass sie nicht rassistisch seien, sondern nur auf einen bestimmten „Typ“ stehen. Doch solche Menschen sollten sich klar machen, dass sie nicht einen bestimmten „Typ“, sondern Vorurteile haben. Wobei Rassismus kein schwulenspezifisches Phänomen ist. So kam der Bericht über „Race and Attraction“ der heterosexuellen Plattform OKcupid zum Ergebnis, dass asiatische Männer und schwarze Frauen die wenigsten Anfragen bekommen.

Selbstoptimierung und Perfektion

Ein idealisiertes Körperbild: Ein großes Problem sind idealisierte Körpervorstellungen. In meine psychotherapeutische Praxis kommen Menschen, die depressiv und mit ihrem Aussehen unzufrieden sind. Sie versuchen alles, um einen bestimmten Traumkörper zu erreichen. Dies passt zur neoliberalen Effizienz- und Leistungsgesellschaft, in der ein Drang zur Selbstoptimierung und zur Perfektion bestimmt. Das Motto lautet: Arbeite an dir, verbessere dein Aussehen, erst dann bist du erfolgreich, erst dann hast du es verdient, begehrt und geliebt zu werden. Ein übertriebener Körperkult kann jedoch zu psychischen Beschwerden wie Depressionen, Essstörungen und Angstsymptomen führen. Weil es dazu im deutschsprachigen Raum wenig Untersuchungen gibt, muss auf englischsprachiges Material verwiesen werden. In einer Umfrage des schwulen britischen Magazins Attitude kam heraus, dass 84 Prozent der queeren Männer sich unter Druck gesetzt fühlen, einen „schönen“ Körper zu haben. Eine von Psycholog*innen in den USA durchgeführte Studie ergab, dass ein Drittel der 215 befragten schwulen Männer wegen ihres Gewichts diskriminiert worden sind. Einem Marktforschungsinstitut in den USA zufolge sind schwule Männer jene Bevölkerungsgruppe, die am meisten Geld für Fitness ausgibt. Im „International Journal of Eating Disorders“ wurde eine Studie veröffentlicht, wonach zwei Drittel der untersuchten Männer, die an einer Essstörung litten, schwul waren.

Streben nach dem vermeintlichen Traumkörper

Das Streben nach dem vermeintlichen „Traumkörper“ verwundert nicht. Denn schwule Bars, Lokale, Clubbings, Internet-Plattformen werben im Regelfall mit durchtrainierten Männern. Doch die Fixierung auf ein solches Männerbild ist nicht nur patriarchal geprägt, sondern auch toxisch. Warum ist der Optimierungsdruck bei homosexuellen Männern tendenziell stärker ausgeprägt als bei heterosexuellen Männern? Eine mögliche Erklärung liefert der US-Psychologe Alan Downs in seinem Buch „The Velvet Rage“. Seinen Worten zufolge gibt es bei schwulen Männern so etwas wie eine „unerreichbare Perfektion“. Downs vermutet, dass sie damit frühere Erfahrungen der Ablehnung ausgleichen möchten. Mit dem Wunsch, besser und schöner zu werden, wollen sie sich im Nachhinein Liebe und Anerkennung verdienen. Besonders absurd ist es, wenn in schwulen Dating-Plattformen oft zu lesen ist: „Heterolike only“ oder „Straight Acting“. Hier werden Männer als (Sex-)Partner gesucht, die von ihrem Aussehen, Auftreten und Benehmen wie Heteros (möglichst männlich, aber wenig feminin oder tuntig) sein sollen. Ernsthaft? Da setzen wir uns jedes Jahr in einer bunten Regenbogenparade für die sexuelle Vielfalt und die Gleichberechtigung von LGBTIQ*-Menschen ein, während gleichzeitig manche Schwule lieber einem heteronormativem Ideal nachstreben.

Die Vielfalt leben

Wie kann hier ein Umdenken gelingen? Indem wir offener, bunter und toleranter in unserem Handeln, Auftreten und Einstellungen werden. Daher sollten wir uns fragen: Wie können wir in der LGBTIQ*-Community noch vielfältiger werden? Wie können wir gemeinsam gegen Rassismus auftreten? Welche Angebote haben wir beispielsweise für queere Menschen mit einer Behinderung? Wie können wir das Leben von alternden queeren Menschen fördern?

Von Christian Höller

Christian Höller ist Psychotherapeut und hat eine Praxis in Wien.