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Die verinnerlichte Homophobie

Auf den ersten Blick mag es fragwürdig klingen: Diskriminierung in einer Community, die selbst zu einem hohen Maße in der nicht allzu weit entfernten Vergangenheit gesellschaftlich benachteiligt wurde und auch heutzutage noch in gewissen Weisen diskriminiert wird? Auch wenn wir über die letzten Jahrzehnte hinweg astronomische Schritte zur Gleichberechtigung von Menschen des LGBTIQ*-Spektrums geschafft haben, so wächst auch noch jetzt die jüngste Generation mit Diskriminierungserfahrungen.

Seien es Bio-Einträge wie „- no blacks – no asians“ auf Grindr, oder dass viele junge Männer in der Szene das Gefühl haben, sie müssten sich von Jungs distanzieren, die mit Selbstbewusstsein nicht den typisch-maskulinen Verhaltensmustern und Idealen entsprechen. „So ein Schwuler bin ich ja dann auch wieder nicht.“, oder Ähnliches, kann dabei schon einmal der Wortlaut sein. Ebenso häufig ist die Diskriminierung gegen HIV-positive Personen in der Community, auch wenn Bemühungen zur Aufklärungsarbeit in verschiedenen Szenen sehr präsent sind.

Warum sehen wir in der Community diese facettenreiche Vielzahl an Diskriminierungsfällen, oftmals einfach hingenommen oder unter den Teppich gekehrt?

Diskriminierung innerhalb der Community ist nichts Neues. Seien es die meist schwulen Türsteher von Gay Bars wie dem Stonewall Inn in den 60ern, die dafür sorgten, dass nicht-binäre Personen und People of Color oftmals draußen bleiben mussten. Oder die moralische Panik zu allem Nicht-heteronormativen während der AIDS-Krise in den 80ern, deren soziale Effekte man heutzutage noch spürt. Besonders nicht-binäre und trans* Personen hatten es außerhalb und innerhalb der Community nie leicht. Aktivistin für Homosexuelle- & Transgender-Rechte und eine der bekanntesten Persönlichkeiten des Stonewall Aufstands, Sylvia Rivera, beschrieb die persönlich erfahrene Situation als Trans-Frau mit den Worten: „Ich bin der Stereotyp der Homosexuellen Community für alle heterosexuellen Personen. Sie wollen, dass ihre Kinder nicht jemandem wie mir ausgesetzt sind. Sogar meine eigene Community, die Gay Community, möchte sich nicht mit Leuten wie mir herumtreiben. Du wirst von deinen eigenen Leuten geschlagen, und das schmerzt. Wir sind der letzte Abfall des Lebens.“

Wir sehen, wie bei vielen anderen sozial-benachteiligten Randgruppen, eine eigene Form von aggressiver Verhaltenskontrolle innerhalb der Community. Oftmals spaltet sich dabei die Gruppe in zwei oder mehrere Fraktionen, die auf verschiedene Art und Weise mit der gesellschaftlichen Mehrheit interagieren. Während beispielsweise die Einen versuchen sich stets diplomatisch zu verhalten und ihr Bestes tun, um der sozialen Norm zu entsprechen, stehen Andere mit Stolz zu ihrer Identität und versuchen diese nicht zu verstecken. Ein effektives Beispiel dafür ist die Perspektive zu Pride Paraden und deren Teilnehmer*innen. Es gibt genug Personen in unserer Community, denen Regenbogenparaden zu offen im Umgang mit Sexualität sind. Und auf der anderen Seite hat man Paraden-Teilnehmer*innen, die mit wehender Fahne lautstark zu sich selbst und ihrer Liebe stehen.

© Anna Shvets
© Anna Shvets

Die Stimme, die einem im Kopf sagt, dass das alles einem zu tuntig ist, oder, dass viele der Teilnehmer dort mit deren Verhalten zu schwul rüberkommen und dabei ein schlechtes öffentliches Bild kreieren, hat nicht selten den Ursprung in verinnerlichter Homophobie. Das heißt jetzt nicht, dass man plötzlich dabei ist, die versteckte Heterosexualität wiederzuentdecken. Verinnerlichte Homophobie entsteht meist aus lang andauernden negativen Aussagen zu homosexuellen Verhalten aus dem direkten Umfeld. Dabei kann es sich um den Einfluss der Familie, Mitschüler*innen, Arbeitskolleg*innen, Politiker*innen oder auch von fiktiven Charakteren im Fernsehen handeln. Auch wenn man es schafft sich mit oder ohne Coming-out von diesem Umfeld zu distanzieren, um ohne Sorge das eigene Leben leben zu können, so bleibt oft ein Funke der eingetrichterten Homophobie lange heiß. Das Beste, was man als Antwort dazu machen kann, ist Selbstreflexion über die eigenen Sichtweisen und Werte. Mit einem klaren Verständnis, woher die persönliche Perspektive kommt, kann man leichter bewusst verinnerlichte Vorurteile gegenüber allen Formen von Mensch fallen lassen.

Das zeigt unter anderem auch die enorme Wichtigkeit von Repräsentation in der medialen Welt auf. Die Präsenz oder nicht-Präsenz von LGBTIQ* Persönlichkeiten in den Medien, die wir konsumieren, trägt enorm zur Schaffung der persönlichen Sichtweise auf Sexualität bei. Dasselbe trifft ebenso bei der Repräsentation von Menschen mit verschiedenen ethnischen Herkünften in unserer multikulturellen Gesellschaft zu. Dabei kann der Effekt weit über simple Akzeptanz hinausgehen. Unsere eigenen Schönheitsideale entstehen zu einem großen Teil durch den Einfluss unseres Umfeldes. Irgendwo kommt ja letzten Endes auch unser Verständnis darüber, was wir an einer Person attraktiv finden, her. Darum ist es auch der Fall, dass Menschen, die von Haus aus in ihrem Leben international unterwegs sind und vermehrt mit Personen von allerhand Herkünften zu tun haben, öfter eine Anziehung zu Leuten einer anderen Ethnizität spüren, als Menschen, die meist kulturell unter sich bleiben (nach einer Studie von Tovee 2006). Aus diesem Grund hat man letztendlich nicht „Schuld“, wenn man eine gewisse Gruppe von Leuten attraktiver findet als eine andere. Für jede Person ist es die eigene Wahl, ob sie sich mit dem Wissen, dass ihr Schönheitsideal formbar ist, aktiv dran setzen möchte den eigenen Horizont zu erweitern, oder halt nicht. Beides ist ok. Es wird jedoch kritisch, wenn man beispielsweise ein virtuelles Aushängeschild aufhängt, das Personen aufgrund derer Herkunft exkludiert und dabei ein diskriminierendes Umfeld schafft. Es braucht oft nur eine Handvoll Stimmen, um den Anschein zu erwecken, dass Diskriminierung wieder salonfähig ist.

© Anna Shvets
© Anna Shvets

Im Grunde möchte ja keiner von uns wirklich das Gefühl haben unwillkommen und alleine zu sein. Wie wir mit unseren Mitmenschen umgehen, hat einiges mit uns selbst zu tun. Mehr als man meist glauben mag. Es schadet nie, einmal in sich selbst zu kehren, um den eigenen Charakter mit all den dazugehörigen Verhaltensmustern richtig zu verstehen.

Besonders als eine Community, die Inakzeptanz und Hass von außerhalb über Jahrhunderte hinweg ertragen musste und auch heute noch in gewissen Weisen darunter leidet, ergibt es Sinn zusammenzuhalten. Auch, wenn man gerade mal nicht auf den anderen steht.

Von Florian Niederseer

Florian Niederseer ist ein angehender Sozialhistoriker, Künstler und LGBTIQ*-Aktivist aus Österreich. Als Initiator hatte er 2021 die Pride Parade in seinem Heimatdorf Unken veranstaltet. Er lebt aktuell in Glasgow und arbeitet gemeinsam mit politischen Organisationen und NGOs zusammen, um in Bedrängnis geratenen Leuten in LGBTIA* Communities zu helfen. (Foto: © Stefania Calderara)