Über die Entwicklung der HOSI Wien in trans Themen
Einen Artikel für eine Lambda-Ausgabe mit einem transgender Schwerpunkt zu schreiben ist nicht ganz einfach. Denn die Lambda ist nicht nur eine von mehreren LGBTIQ-Zeitschriften (übrigens die älteste erscheinende im deutschsprachigen Raum), sondern vor allem die Zeitschrift der HOSI Wien. Damit steht dieser Text nicht im luftleeren Raum, ganz im Gegenteil: Er steht im Kontext der Vereinsgeschichte und muss sich dieser stellen.
Denn die HOSI Wien setzte sich lange Zeit nicht in relevantem Ausmaß für transgender Menschen ein und hatte infolgedessen noch lange danach keinen besonders guten Ruf in diesem Teil der Community. Das war teilweise begründet, teilweise vielleicht auch etwas voreilig, doch wie das nun einmal so ist, wenn sich etwas einmal verbreitet hat, wird das ein-, zweimal Gehörte schnell zum vielfach Weitererzählten. Aber wie war es wirklich?
Nun, wie so oft ist es etwas komplexer, als dass es sich auf eine einfache Formel bringen ließe. Zunächst ist da die historische Tatsache, dass die HOSI Wien 1979 von schwulen cisgender Männern gegründet wurde, Lesben kamen erst zwei Jahre später dazu. In den 1980ern war der Kampf um Akzeptanz und Gleichberechtigung noch schwerer als heute, und er begann mit dem Ringen um Selbst-Akzeptanz. Der HOSI Wien war vor allem letztere immer ein zentrales Anliegen (deswegen sind bei uns auch die Community-Arbeit und die Arbeit als Interessenvertretung nicht getrennt, wie das etwa in LGBTIQ-Organisationen in anderen Ländern der Fall ist). Sie nannte sich selbstbewusst “Homosexuelle Initiative (HOSI) Wien – 1. Lesben- und Schwulenverband Österreichs“, bis heute ist das der vollständige Vereinsname. Zugegeben, man könnte trotz seiner Geschichtsträchtigkeit über ein Update nachdenken.
Die Lesbengruppe öffnete sich bereits 1984 für trans Frauen.
O. k., die HOSI war also ein Zwei-Geschlechter-Verein, der sich einfach nicht besonders für andere Teile der Community interessierte? Ein Eindruck, den man leicht bekommen könnte. Weniger bekannt ist, dass die Lesbengruppe der HOSI Wien bereits 1984 als erste Lesbengruppe in Europa beschlossen hat, sich für trans Frauen zu öffnen. Auch gab es immer wieder Zusammenarbeit mit der trans Community, die sich in den folgenden Jahren selbst zu organisieren begann.
Es war übrigens auf den ausdrücklichen Wunsch der Selbstvertretungsorganisationen von trans Personen, dass die HOSI Wien sich zu deren Themen lange Zeit zurückhielt: Erstens leisteten sie bereits die konkrete Arbeit, zweitens hatten sie die Kompetenz und wir nicht, und drittens konnte so über lange Jahre hinweg verhindert werden, dass die Anliegen von transgender Menschen gegen jene von Lesben, Schwulen oder Bisexuellen ausgespielt werden würden (da man dann als Interessenvertretung schlicht nicht zuständig war und nicht in die Zwickmühle eines Abtausches gebracht werden konnte).
So gab es über viele Jahre hinweg übersichtlich getrennte Bereiche in der Community. Wo man nicht zuständig ist, baut man keine Kompetenz auf, und wo keine Kompetenz ist, ist man nicht zuständig. Außerdem gingen ohnehin trans Menschen zu trans Organisationen und Lesben, Schwule und Bisexuelle zu den ihren. Man sah sich bei Demos wie der Regenbogenparade oder Veranstaltungen wie dem Regenbogenball, aber sonst war eine gewisse wohlwollende Ignoranz verbreitet. Bis die Welt begann, etwas komplizierter zu werden. Intergeschlechtlichkeit wurde zunehmend thematisiert und mit VIMÖ eine eigene Interessenvertretung gegründet. Mit neuen Überlegungen in der Genderforschung und der Queer Theory wurden allzu simple Vorstellungen von ausschließlich zwei Geschlechtern hinterfragt. Das verlief nicht ganz konfliktfrei, auch nicht in der HOSI Wien, wie Lambda-Leser:innen der mittleren 2010er-Jahre wissen.
Trans und intergeschlechtliche Menschen wurden Teil der HOSI und veränderten sie.
Gleichzeitig passierte etwas, das man als die “normative Macht des Faktischen“ bezeichnen könnte: Es kamen einfach immer mehr transgender, vereinzelt auch intergeschlechtliche Jugendliche in die Jugendgruppe der HOSI Wien. Denn auch diese war, obwohl sie lange nur wenig fachliche Unterstützung beim Thema bieten konnte, immer offen für alle, die sich der LGBTIQ-Community zugehörig fühlen. Sie bot und bietet einen offenen Rahmen, in dem man ohne große Hemmschwelle andere kennenlernen kann, meist ohne Programm und einfach in freundschaftlicher Atmosphäre. So wurden aus jungen trans und intergeschlechtlichen Menschen im Lauf der Jahre auch trans und intergeschlechtliche Aktivist:innen und Mitglieder der HOSI Wien.
Diese forderten irgendwann, in ihrem Verein aktiv für trans und intergeschlechtliche Anliegen arbeiten zu können. Dem wurde nicht immer von allen mit Wohlwollen begegnet, Veränderungen gingen nur zäh voran. Der Wunsch danach blieb jedoch, und so kam es schließlich bei der Generalversammlung 2018 dazu, dass die Mitglieder diese Frage entschieden – und zwar eindeutig, nämlich mit rund 80 Prozent für eine Reform der HOSI Wien. Sie bestätigten diesen Kurs dann 2019 mit einer umfassenden Statutenreform, die die vollständige Öffnung für transgender und intergeschlechtliche Anliegen und die Wahrnehmung der Verantwortung als Interessenvertretung brachte. Bei letzterem stimmen wir uns bis heute möglichst eng mit den Selbstvertretungsorganisationen in der trans und intergeschlechtlichen Community ab.
Wir sind diesen Weg konsequent weitergegangen und heute ist völlig unzweifelhaft, dass trans und intergeschlechtliche Menschen zur HOSI Wien gehören und diese an ihrer Seite steht. Als etwa im Juni von der ÖVP ein Verbot von Konversionstherapien ventiliert wurde, das nur für die “Heilung“ der sexuellen Orientierung, nicht aber der Geschlechtsidentität gelten sollte, haben wir noch am selben Tag dagegen Stellung bezogen. Unsere Obfrau Ann-Sophie Otte sagte zu den Medien: “Dass ausgerechnet trans und intergeschlechtliche Menschen nicht vor Quacksalbern und Pseudotherapien geschützt werden sollen, ist völlig unverständlich. Was will die ÖVP denn damit sagen? Dass es nicht so schlimm ist, wenn trans und intergeschlechtliche Menschen in Depression und schlimmstenfalls Suizid getrieben werden, aber bei anderen schon? Das wollen wir doch nicht hoffen.“ Das ist es, was gelebte Solidarität innerhalb der gesamten LGBTIQ-Community bedeutet: Sich nicht gegeneinander ausspielen lassen. Nicht für den eigenen Vorteil andere vor den Bus werfen.
Gesellschaftlicher Fortschritt ist kein Kuchen, bei dem man um das größte Stück rauft.
Denn eines muss uns klar sein: Wenn Rechte oder religiöse Fundis heute behaupten, das mit den Schwulen und Lesben könne man ja noch tolerieren, aber diese trans Sache ginge zu weit, dann ist das meist keine redlich gezogene Grenze ihres ethischen Empfindens, sondern ein bloßes Zugeständnis an den Zeitgeist. Sie wissen, dass sie heute mit Homo-Hass nicht mehr mehrheitsfähig sind. Das ist aber keine echte Akzeptanz von Menschen, die anders sind. Man sieht es am Hass, den die religiöse Rechte in den USA gegen Drag Queens schürt und diese in immer mehr Bundesstaaten zu verbieten versucht. Im April haben Rechtsextreme versucht, den Hass nach Österreich zu importieren, als es in der Villa eine Kinderbuchlesung gab, gegen die sie demonstrierten. (Womit sie übrigens erbärmlich gescheitert sind, die Gegenkundgebung der Community war um ein Vielfaches größer und übertönte ihren Hass.) Letztlich meinen sie immer dasselbe: Alles, was nicht ihrem Modell von Vater-Mutter-Kind entspricht, wollen sie nicht.
Unsere Bewegung hatte noch nie Erfolg, wenn wir uns angepasst haben. Wie schon Johanna Dohnal so richtig gesagt hat: “Aus taktischen Gründen leisezutreten, hat sich noch immer als Fehler erwiesen.“ Egal, ob wir selbst im Fummel rumlaufen oder nicht, ob wir cis- oder transgender sind, ob wir in bürgerlichen Berufen arbeiten oder in der Kunstszene: Respekt für Andere und Menschenrechte sind unteilbar. Gesellschaftlicher Fortschritt ist kein Kuchen, bei dem man um das größte Stück rauft, sondern eine empfindliche Pflanze, die aktive Pflege braucht. Sie wächst in alle Richtungen, von den Wurzeln bis zu den Blüten, oder sie geht ein.