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Recht Schwerpunkt

Nichtbinarität und Personenstand

Wie weit ist der gerichtliche Weg zur Anerkennung?

Der heutige Beitrag versucht, einen Ăśberblick ĂĽber den Stand von Gerichtsverfahren rund um die personenstandsrechtliche Anerkennung von nichtbinären Personen zu geben. Es geht um Menschen, die einen anderen als „männlich“ oder „weiblich“ lautenden Geschlechtseintrag in ihren Dokumenten erzielen möchten und die sich weder mit dem einen oder anderen binären Geschlecht identifizieren – dies unabhängig von in der Regel eindeutigen binären biologischen Geschlechtsmerkmalen.  

(Zur Abgrenzung: Es geht nicht um Personen, die auf Grund ihrer Transidentität ausgehend vom ursprĂĽnglichen biologischen Geschlecht den jeweils anderen binären Geschlechtseintrag (also „männlich“ oder „weiblich“) anstreben und oftmals mit medizinischen Eingriffen bewusst ihr biologisches Geschlecht angleichen wollen (binäre Transpersonen). Auch geht es nicht um Personen, die bei Geburt biologische Merkmale beider Geschlechter, bzw. Variationen der Geschlechtsmerkmale, aufweisen (intergeschlechtliche Personen).)  

Bereits 2018 hat der Verfassungsgerichtshof (VfGH) in einem fĂĽr die betreffenden Personengruppe relevanten Erkenntnis entschieden, dass der Staat nicht verpflichtet ist, das Geschlecht ĂĽberhaupt zu registrieren. Wenn doch, mĂĽssen es individuelle Merkmale und nicht körperliche sein, anhand derer die staatliche Registrierung erfolgt. Fremdbestimmte Geschlechtszuweisungen muss man nicht akzeptieren. Insofern sind auch nichtbinäre Geschlechtsidentitäten zu dokumentieren. Alle selbstbestimmten Bezeichnungen – mit Bezug zur Realität – sind möglich. Mit Verweis auf eine Stellungnahme der Bioethikkommission werden die Begriffe „divers“, „inter“ und „offen“ vorgeschlagen (VfGH 15.6.2018, G 77/2018). Jedenfalls kämen somit abseits von „männlich“ und „weiblich“ die Eintragungen „divers“ und „offen“ (durchaus aber auch andere) fĂĽr nichtbinäre Personen als brauchbare Begriffe in Betracht. 

Dem VfGH-Erkenntnis eigentlich völlig widersprechend und daher rechtswidrig hatte der damalige Innenminister Herbert Kickl, FPĂ–, die fĂĽr die FĂĽhrung des Personenstandregisters zuständigen Standesämter mit (nicht aber die Gerichte im Beschwerdeweg bindenden) internem Erlass angewiesen, Anträgen auf Geschlechtseintragungen, die anders als „männlich“ oder „weiblich“ lauten, nur stattzugeben, wenn die Person biologisch intergeschlechtlich ist. Demnach also gerade nicht, wenn „lediglich“ die Geschlechtsidentität der:des Antragsstellerin:Antragsstellers eine nichtbinäre ist. Im Ăśbrigen lieĂź Kickl den Kanon der Eintragungsbegriffe auf „divers“ beschränken (später erst zumindest ergänzend um „inter¹“). Das greift aber natĂĽrlich viel zu kurz und ignoriert bewusst das VfGH-Erkenntnis.  

Wie wehrt man sich als nichtbinäre Person gegen die rechtswidrige Verwaltungspraxis? Betroffene versuchen erstmal beim jeweiligen örtlichen Standesamt den gewĂĽnschten Geschlechtseintrag zu erwirken. Das gelingt in aller Regel nicht. Vielleicht besteht rein praktisch die Chance, wenn man auf eine:n ungeschulte:n Beamten:Beamtin trifft, gerade am Standesamt viel los ist, alle nötigen Unterlagen sogleich vorlegt und der Antrag sodann „aus ZeitsparungsgrĂĽnden durchgewunken“ wird. Davon ist aber nicht auszugehen. Gut vorbereitet beim Standesamt zu erscheinen schadet dennoch nicht.  

Das Standesamt wird also in aller Regel einen abweisenden Bescheid erlassen. Gegen diesen ist eine Beschwerde an das örtlich zuständige Landesverwaltungsgericht zu erheben. Im Beschwerdeverfahren kann auf die eingangs beschriebene klare Judikatur des VfGH verwiesen werden. So lange der Erlass des Innenministeriums besteht, scheint der Beschwerdeweg der vielversprechendste, aber auch zeitlich aufwendigste zu sein, das Ziel zu erreichen.  

Im kĂĽrzlich entschiedenen nicht rechtskräftigen Fall „Pepper Gray“ hat das Landesverwaltungsgericht Wien zu Gunsten der beschwerdefĂĽhrenden Partei entschieden (VG Wien 22.03.2023). In diesem Verfahren konnte sogar die gänzliche Streichung des Geschlechtseintrags ĂĽberhaupt erzielt werden. Davor hatte das Landesverwaltungsgericht Wien in einem anderen Verfahren den Eintrag „nicht-binär“ zugelassen (VG 20.2.2023). Mit Redaktionsschluss der Lambda ist der Stand, dass keines der Beschwerdeverfahren (es sind weit mehr als die beiden genannten bei Gericht anhängig), auch wenn diese vor dem Landesverwaltungsgericht schon positiv entschieden wurden, rechtskräftig geworden ist. Das heiĂźt, dass die Republik die Rechtsmittelverfahren beim Verwaltungsgerichtshof einschlägt. Allerdings haben bereits einige wenige Antragsteller:innen von den Standesämtern (obwohl ihre Beschwerdeverfahren in letzter Instanz eben noch nicht rechtskräftig sind) geänderte Dokumente mit den gewĂĽnschten Geschlechtseintragungen erhalten, die im Falle einer negativen rechtskräftigen Entscheidung ihre GĂĽltigkeit verlieren wĂĽrden.  Mehrere Verfahren werden durch den Verein VENIB – Verein Nicht-Binär, [email protected] – begleitet und unterstĂĽtzt. Die UnterstĂĽtzungskampagne läuft unter dem Slogan „Genderklage“. In den oben genannten Verfahren jedenfalls vertritt Rechtsanwalt Dr. Helmut Graupner die BeschwerdefĂĽhrer:innen vor Gericht. 

Die Verfahren vor den Standesämtern und Verwaltungsgerichten dauern derzeit lange. Vermutlich liegt es daran, dass Standesämter und Verwaltungsgerichte wissen, dass vor dem Verwaltungsgerichtshof Verfahren zu den gefragten Personenstandsänderungen anhängig sind, die dieselben Rechtsfragen betreffen. Insofern werden wohl die Ausgänge der letztinstanzlichen Verfahren abgewartet, weil sie richtungsweisend sind. 

Womöglich kann ein Weg, den nichtbinäre Personen gehen könnten, um eine antragsgemäße Eintragung zu erwirken, folgender experimenteller Weg sein: Sowohl das Hormon Testosteron als auch das Hormon Ă–strogen sind bei biologischen Männern sowie bei biologische Frauen Teil des Hormonhaushalts. Dem biologischen Geschlecht entsprechend verfĂĽgt der männliche Körper jedoch bei weitem ĂĽber mehr Testosteron als Ă–strogen; bei Frauen ist es umgekehrt. Da der Hormonhaushalt jedoch individuell unterschiedlich ist, könnten sich die Werte „zufällig“ auĂźerhalb der medizinischen Norm befinden. Mit Hilfe eines endokrinologisches Gutachtens (Gutachten zum Hormonhaushalt) könnte vor der Behörde diesfalls versucht werden zu argumentieren, man sei biologisch weder eindeutig Mann noch Frau (auch wenn biologisch kein sichtbarer Anhaltspunkt dafĂĽr bestĂĽnde). So könnte man in der Logik des Kickl-Erlasses, der ja rein auf das biologische Geschlecht abstellt, (solange dieser ĂĽberhaupt noch aufrecht bleibt), als nichtbinäre Person die Geschlechtseintragung „divers“ erwirken. Ob dieser Weg aber wirklich gelingen kann, ist sehr fraglich. 

Abschließend sei darauf hingewiesen, dass die Anerkennung jeglicher Geschlechtseinträge abseits der binären weltweit gesehen überhaupt noch nicht fortgeschritten ist. Aus dem österreichischen angepassten Reisedokument heraus ist für jedermann sehr gut ersichtlich, dass eine Person eben nicht „männlich“ oder „weiblich“ ist. Die dadurch sich im internationalen Reiseverkehr in LGBTIQ*-feindliche Staaten ergebenden Risiken liegen auf der Hand.

¹ Erst nachdem eine inter Person sich gerichtlich gegen ihren negativen Bescheid gewehrt hatte und die Eintragung des durch sie gewünschten Begriffs erreichen konnte. Es zeugt von einem sehr eigenartigen Sachverstand, wenn der Erlass einerseits nur für intergeschlechtlichen Personen die Eintragung abseits von „männlich“ und „weiblich“ vorsieht, andererseits dabei nicht den Begriff „inter“ zuließ.

Von GĂĽnther Menacher

Jurist mit Schwerpunkt Wohn- und Immobilienrecht
(Foto: © mb_artsss)