Tatsächlich ein höheres Risiko?
Laut Statistik von UNAIDS, dem gemeinsamen Programm der Vereinten Nationen gegen HIV/Aids, leben derzeit ca. 39 Millionen Menschen weltweit mit HIV. Das entspricht knapp 0,5 % der Weltbevölkerung. Hier sieht man allerdings enorme regionale Unterschiede: In manchen Ländern ist die HIV-Prävalenz um ein Vielfaches höher, in Österreich und Deutschland mit ca. 0,1 % deutlich niedriger.
Doch nicht nur geografisch, auch in Bezug auf unterschiedliche Bevölkerungsgruppen gibt es große Unterschiede; so wird z. B. für die Gruppe der Männer, die Sex mit Männern haben, eine globale Prävalenz von 7,7 % angegeben. Und für trans*idente Menschen wurde die HIV-Prävalenz weltweit gesehen mit 10,3 % noch höher eingeschätzt. Wie kann man sich das erklären und stimmt das auch für Österreich?
Dr. Florian Breitenecker ist HIV-Experte in Wien und betreut in seiner allgemeinmedizinischen Teampraxis auch viele trans*idente Patient*innen.
BL: Laut UNAIDS-Zahlen lebt statistisch gesehen jede zehnte trans*idente Person mit HIV. Siehst du das bei dir in der Ordination auch?
FB: Hier muss man erst mal grundsätzlich festhalten, dass diese Zahlen schwierig zu schätzen sind. Und da es sich um globale Daten handelt, gibt es regional wirklich massive Unterschiede. Man kann also solche Zahlen sicherlich nicht auf Österreich umlegen. In einer großen Umfrage in Deutschland z. B. gaben über 2.300 trans*idente Menschen ihren HIV-Status an und es ergab sich eine HIV-Prävalenz von 0,7 %. Das ist also wesentlich weniger, als in der UNAIDS-Statistik berechnet wurde. Aber trotzdem im Vergleich zur Gesamtbevölkerung durchaus erhöht. Ich denke, damit könnte die Situation in Österreich ganz gut vergleichbar sein.
BL: Wie erklärst du die höheren HIV-Zahlen in der Trans*Community?
FB: Menschen der Trans*Community sind vulnerabler gegenüber sexuell übertragbaren Infektionen (STIs) und damit auch HIV. Diese Vulnerabilität hängt mit sehr vielen Aspekten zusammen, die teils ineinandergreifen, z. B. mit Minoritäten-Stress, mit Ausgrenzung und Diskriminierung. Oder z. B. mit körperlicher und/oder sexueller Gewalt. Oder z. B., dass es vergleichsweise schwieriger sein kann, gewünschtes sexuelles Verhalten und auch Safer Sex mit Sexualpartner*innen zu verhandeln. Genauso spielt es eine Rolle, wie gut Angebote im Gesundheitsbereich in Anspruch genommen werden können. Dazu gehört Beratung ebenso wie Testung und Therapie von STIs. Tatsächlich meiden nonbinäre Menschen oft den Gesundheitsbereich, weil sie bereits schlechte Erfahrungen gemacht haben, oder von solchen Erfahrungen ausgehen. Das ist leider auch bei uns in Österreich der Fall.
BL: Das sind einige Beispiele für psychosoziale und gesellschaftliche Faktoren. Gibt es auch biologische Hintergründe?
FB: Die gibt es zwar auch, allerdings nicht mit Daten belegbar. Und im Vergleich spielen sie sicher eine untergeordnete Rolle. Es ist z. B. zu vermuten, dass eine Neovagina (Vagina einer trans Frau, durch geschlechtsangleichende Operation, Anm. d. Red.) leichter verletzlich ist, da sie nicht die gleiche Feuchtigkeit hat wie die Schleimhaut einer Cisvagina (Vagina einer nicht-trans Frau, Anm. d. Red.). Das kann auch bei Trans*Männern mit Vagina eine Rolle spielen, da Testosteron zum Austrocknen der Schleimhaut führen kann. Beides erhöht in Folge das HIV-Risiko.
BL: Gibt es Unterschiede in Diagnostik oder Therapie einer STI?
FB: Nein. Für ein komplettes STI-Screening wird bei allen Patient*innen eine Blutprobe zum Test auf HIV, Hepatitis und Syphilis genommen. Für die Chlamydien- und Tripper-Diagnostik wird bei allen ein Rachen- und ein Analabstrich gemacht. Und zusätzlich kommt hier bei Menschen mit Vagina ein Vaginalabstrich und bei Menschen mit Penis noch eine Harnprobe dazu, da spielt trans oder cis gar keine Rolle. Und für eine potenzielle Therapie bei positivem Befund auch nicht.
BL: Das nonbinäre Spektrum ist bekanntlich wunderbar divers. Wenn wir mal nur Trans*Frauen und Trans*Männer betrachten, siehst du einen Unterschied in Bezug auf HIV?
FB: Ja, den gibt es, und man sieht auch in Studien, dass Trans*Frauen einem höheren HIV-Risiko ausgesetzt sind bzw. die Prävalenz in dieser Gruppe höher ist. Das liegt z. B. daran, dass sie (statistisch gesehen, das muss nicht auf individuelle Lebenssituationen zutreffen) im Vergleich zu Trans*Männern häufiger psychischer, physischer und sexueller Gewalt ausgesetzt sind, häufiger in der Sexarbeit tätig sind oder z. B. Analverkehr eine größere Rolle in der Sexualität spielt. Und Analverkehr birgt halt in Bezug auf HIV das höchste Risiko.
BL: Wie sieht es denn hier mit Schutz vor HIV durch PrEP aus? Ist PrEP auch für Trans*Personen geeignet?
FB: Auf jeden Fall! Für alle Menschen kann die richtig angewendete PrEP mit dementsprechender medizinischer Begleitung eine ausgezeichnete Schutzoption sein, ganz unabhängig von der geschlechtlichen Identität oder z. B. einer Transition oder Hormontherapie. Wenn, je nach individuellem Risiko, eine PrEP sinnvoll erscheint, ist hier eigentlich nur die Art der PrEP-Einnahme zu besprechen. Personen, die ausschließlich Analverkehr praktizieren, können auch eine anlassbezogene PrEP einsetzen, da sich die PrEP-Medikamente in der Analschleimhaut schneller anreichern. Für alle anderen gilt: Die durchgehende PrEP ermöglicht hocheffektiven Schutz vor HIV.
BL: Was würdest du dir für die Trans*Community hier in Österreich wünschen?
FB: Ich würde mir tatsächlich oft wünschen, dass wesentlich mehr Respekt und Akzeptanz und Toleranz in den Gesundheitsbereichen gelebt würden bzw. selbstverständlich wären. Immer wieder berichten mir Patient*innen von Situationen, in denen sie respektlos behandelt werden, etwa wenn die Bitte um eine adäquate Anrede schlichtweg missachtet wird. Selbst die Ablehnung von medizinischen Behandlungen ist Realität. Und hier schließt sich der Kreis zu deiner Frage anfangs: kein Wunder also, wenn mit solchen Erfahrungen die Menschen Kontakt zum Gesundheitsbereich meiden, wie z. B. für STI-Screenings.
BL: Wie könnte man mehr Angebote mit einem respektvollen Umgang erreichen?
FB: Es ist durchaus mit dem HIV-Bereich vergleichbar. Vieles hängt mit Unwissenheit zusammen. Das gesamte Fachgebiet der Trans*Medizin müsste mehr Aufmerksamkeit bekommen, es bräuchte für alle Bereiche im Gesundheitssystem mehr Information und Fortbildungen und Interesse. Dann wäre es auch viel einfacher, für Menschen aus der Trans*Community mehr Angebote aufzubauen.