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Gewalt gegen Trans Personen

Zurzeit verbreiten sich nicht nur im Inland, sondern auch europaweit zunehmend transfeindliche politische Stimmungen. Beispielsweise forderte letzten Frühling die FPÖ ein Verbot von off-label Pubertätsblocker für transident empfindende Jugendliche und in unserem Nachbarland Slowakei wird möglicherweise bald ein Gesetz erlassen, welches die rechtliche Transition de facto verunmöglichen würde. Es ist zu befürchten, dass durch die Politik geförderte transnegative Stimmungen auch zu einem Anstieg von Gewalttaten gegenüber trans* Personen führen könnten. Allerdings ist Gewalt gegen trans* Personen kein neues Thema, wie das vorliegende Interview von Michael Stromenger mit Mag. Johannes Wahala, dem Leiter der COURAGE Beratungsstellen, veranschaulicht. Michael Stromenger hat sich mit dem Gründer der ersten professionellen LGBTIQ* Beratungsstelle in Österreich getroffen, um ihn zu seinen subjektiven Eindrücken aus seiner Tätigkeit als langjähriger COURAGE Leiter, Psychotherapeut und Berater von queeren Klient*innen, zu befragen.

MS: Kommt es häufig vor, dass trans*ident empfindende Klient*innen, die in die Beratungsstelle kommen, körperliche, sexuelle und/oder psychische Gewalterfahrungen erlebt haben?

JW: Ja, allerdings haben alle unsere Berater*innen die Erfahrung, dass trans* Frauen im Vergleich zu trans* Männern in einem wesentlich höheren Ausmaß von physischer, sexualisierter und psychischer Gewalt betroffen sind.

MS: Warum ist das so?

JW: Offenbar akzeptiert unsere von hegemonialer Männlichkeit geprägte Gesellschaft mehr, dass „frau zum Mann wird, als dass man zur Frau wird“. Die Täter sind in der Regel cis Männer, die nicht verstehen können, wie ein Mann zur Frau werden kann.

Bereits vor 25 Jahren, als wir mit unserer Beratungstätigkeit begonnen haben, hatten wir fast nur erwachsene trans* Frauen als Klient*innen, die noch keine Transition machen konnten und sehr darunter litten. Du musst dir vorstellen, das waren damals noch die 90er Jahre, wo das Thema noch sehr tabuisiert wurde. Eine unserer ersten Klient*innen war eine 50-jährige Taxifahrerin, im Erscheinungsbild ein „typischer glatzköpfiger Wiener“, der* zum Weinen begonnen hat, als er* gesagt hat: „Ich weiß seit über 40 Jahren, dass ich eine Frau bin“. Heute haben wir das Glück, dass wir schon in einem sehr frühen Alter mit Pubertätsblocker anfangen können. Denn das Schlimmste für trans* Frauen sind irreversible Veränderungen wie der Stimmbruch, durch Testosteron ausgeprägte Gesichtszüge und die Bartbehaarung. Trans* Frauen, die eine späte Transition hatten, werden auch häufiger Opfer von Gewalt und sie müssen sich sehr permanent für ihre trans* Identität rechtfertigen. Frauen, die jung genug ihre Transition haben, entwickeln sich körperlich femininer und sind dann nicht mehr so sehr von Ausgrenzungen betroffen. Auch deswegen ist es mir ein Anliegen, dass die Transition möglichst früh in die Wege geleitet werden kann.

MS: Welche Unterschiede nimmst du bei Gewalterfahrungen zwischen trans* Frauen und trans* Männern wahr?

JW: Trans* Frauen erleben viel mehr Gewalt und Diskriminierung. Sie sind z. B. stärker von Arbeitslosigkeit und Wohnungslosigkeit betroffen. Ich kenne kaum einen trans* Mann, der obdachlos ist, aber viele spät transitionierte trans* Frauen, die infolge häuslicher Gewalt wohnungslos geworden sind. Sie sind auch von familiärer Gewalt stärker betroffen. Sie bekommen etwa ihre Mutterrolle abgesprochen, da ihnen vorgeworfen wird, die Kinder zu irritieren. Auch sexualisierte Gewalt ist ein Thema, vor allem in der Sexarbeit. Meine Erfahrung ist: Wenn trans* Männer in die Sexarbeit gehen, machen sie das meistens bewusst und selbstbestimmt. Im Gegensatz zu trans* Frauen werden sie weniger oft dazu getrieben und erleben seltener sexualisierte Gewalt.

MS: Wie geht ihr damit um, wenn im Rahmen der Beratung Gewalterfahrungen geschildert werden? Welche Unterstützung bekommen eure Klient*innen?

JW: Sie bekommen professionelle Beratung und, wenn nötig, auch psychotherapeutische Begleitung. Auch die sozialarbeiterische Beratung spielt eine wichtige Rolle, wenn Personen ihre Arbeit oder Wohnung verloren haben und soziale Isolation erfahren. Diese Menschen brauchen einen Safe Space und Begegnungsräume, die wir ihnen geben können. Es gibt bei uns etwa eine begleitete Selbsthilfegruppe, die hauptsächlich von trans* Frauen in Anspruch genommen wird. Bei akuten Krisen bieten wir auch Kriseninterventionen an. Wir haben auch das Angebot der kostenlosen Rechtsberatung, etwa wenn es um Gewalterfahrungen oder Kinderbesuchsrecht geht.

MS: Bei dem Stichwort „Rechtsberatung“ fällt mir ein: Ist auch die Prozessbegleitung bei einer Anzeige gegen gewalttätige Straftäter*innen Teil der Arbeit der Berater*innen?

JW: Im Rahmen der juristischen Rechtsberatung von Dr. Helmut Graupner ist das möglich. Wir sind außerdem auch gerade dabei, einen Vertrag mit dem Justiz- und Innenministerium in die Wege zu leiten, damit auch unsere anderen Berater*innen, also die Psychotherapeut*innen und Sozialarbeiter*innen, eine Prozessbegleitung machen dürfen. Abgesehen von trans* Frauen haben wir ja nämlich auch viele homosexuelle Männer, die wiederum mehr von Gewalt betroffen sind als homosexuelle Frauen.

MS: Ich glaube, dass das sozialpsychologisch gesehen nicht verwunderlich ist. Die Verstöße gegen die männliche Rolle werden von der Gesellschaft intensiver und negativer wahrgenommen.

JW: Natürlich.

MS: Kennst du Erfahrungsberichte, wie es Gewaltopfern mit der Anzeige bei der Polizei ergangen ist?

JW: Unsere Klient*innen schildern u. a., dass sie von Beamten nicht ernst genommen wurden oder diskriminierende Erfahrungen wie abwertende Äußerungen erfahren haben. Deswegen ist uns eine gute Zusammenarbeit mit der WASt (Wiener Antidiskriminierungsstelle) und LGBTIQ*-Kontaktpersonen bei der Polizei sehr wichtig. Nichtsdestotrotz haben viele trans* Personen große Angst vor der Exekutive, nachdem sie physische oder sexuelle Gewalt erlebt haben. Wir versuchen sie dennoch dabei zu unterstützen, eine Anzeige zu machen, haben aber gleichzeitig auch großen Respekt vor ihrer Angst.

MS: Hast du den Eindruck, dass die Gewalt gegenüber trans* Personen in den letzten Jahren gestiegen ist?

JW: Das ist keine einfache Frage … Ich glaube, dass die Anfeindungen, die während der Trump Ära entstanden sind, zunehmend auch zu uns über den Atlantik kommen. Ich habe den Eindruck, dass wir zunehmend in einer „Retraditionalisierungsphase“ ankommen, die mitbestimmt ist durch Rechtskonservative, Rechtsradikale sowie christlich-fundamentalistische Kreise, die zunehmend an Macht gewinnen. Diese Retraditionalisierung spiegelt sich auch in der Politik wider. Das merkst du schon, wenn du die Zeitung liest und Aussagen siehst, wie „man müsse sich wieder den normal Denkenden zuwenden, der normal denkenden Mehrheit“. Auch die COURAGE wird im Parlament permanent angegriffen, von einer Gemeinderätin wurde ich etwa schon als Mr. Genderwahn tituliert. Und es wird auch zunehmend gegen Transgeschlechtlichkeit politisch gehetzt – das macht mir schon große Angst. Und was mir besonders im Herzen weh tut, ist, dass auch zum Teil Feminist*innen, die sogenannten Terfs (trans-exclusionary radical feminism, Trans-ausschließender Radikalfeminismus, Anm. d. Red.), Gewalt gegenüber trans* Personen anrichten.

MS: Es wird leider zunehmend zum Trend, gegen trans* Personen zu hetzen. Zum Schluss möchte ich daher noch fragen, welche Angebote es seitens der COURAGE gibt, um Gewaltprävention zu fördern bzw. um über das Thema „Trans“ aufzuklären?

JW: Wir machen sehr intensive Aufklärungs- und Bildungsarbeit. In Zusammenarbeit mit der Stadt Wien haben wir auch die Queer Sex Ed-Workshops ins Leben gerufen. Unsere Berater*innen gehen in Schulen, um Workshops zu halten oder die Schulklassen kommen zu uns ins Queere Kompetenzzentrum, welches wir vor kurzem eröffnet haben. Darüber hinaus haben wir auch Gruppenangebote.

MS: Alles klar, danke für das Gespräch!

Von Michael Stromenger

Sozialarbeiter in Wien