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„Nicht sonderlich besonders“

Egal ob innerhalb oder außerhalb der LGBTIQ*-Community, immer wieder interessieren sich Menschen für meine nicht-binäre Geschlechtsidentität. Viele wollen wissen, wie es sich anfühlt, weder Mann noch Frau zu sein, scheitern jedoch an ihrer Vorstellungskraft. Aber auch ich scheitere oft daran, es ihnen verständlich zu erklären. 

Als ich einmal beim Arzt für eine Untersuchung war, kam die Assistentin im Smalltalk auf mein für Männer untypisches Erscheinungsbild zu sprechen. Da ich mich in der Situation sicher fühlte, erzählte ich ihr von meiner nicht-binären Geschlechtsidentität. Die Assistentin fragte mich, wie sich das anfühle, nicht-binär zu sein. Damit war ich in dem Moment selbst überfragt und in meiner ersten Reaktion meinte ich nur: „Nicht sonderlich besonders.“ Tatsächlich fühlt sich nicht-binär zu sein für mich einfach ganz normal an; so normal, dass es das Gefühl nicht wert ist, darüber zu sprechen. Doch in diesem Moment wurde mir bewusst, wie schwer es ist, diese von mir gefühlte Normalität in Worte zu fassen und anderen verständlich zu machen. 

Es ist beruhigend, dass es binären Personen nicht per se leichter fällt, ihre Geschlechtsidentität akkurat zu beschreiben. Als ich mit einem Freund neulich in der Innenstadt Abendessen war, fragte ich ihn, einen cis Mann, was es für ihn bedeute, ein Mann zu sein. Seine ersten Assoziationen, bezogen auf körperliche Merkmale, verwirrten mich etwas. Sollten ihm aufgrund eines medizinischen Notfalls die Hoden entnommen werden, wäre er ja deshalb nicht weniger ein Mann. Das ist eine Selbstverständlichkeit, an die er im ersten Moment nicht gedacht hatte. Also versuchte er es mit gesellschaftlichen Rollenbildern und klischeehaftem Verhalten. Doch noch bevor er den Satz zu Ende gesprochen hatte, ruderte er wieder zurück. Ich versuchte es dann auf anderem Wege und fragte ihn, ob er jemals daran gezweifelt habe, ein Mann zu sein. Seine Antwort kam prompt und bestimmt: „Nein.“ Er hatte immer die Sicherheit gefühlt, dem männlichen Geschlecht anzugehören. Woher diese Sicherheit kam, konnte er mir allerdings auch nicht verraten. Das Gefühl sei einfach da. 

Je mehr ich über meine eigene Geschlechtsidentität reflektiere, desto weiter gehe ich in meinen Erinnerungen in die Vergangenheit. Eine zentrale Erinnerung führt mich an den Beginn meiner Pubertät. Geschlechterunterschiede wurden immer deutlicher und von vielen meiner Schulkolleg*innen gerne hervorgehoben. Es entstand ein Zugehörigkeitsgefühl zu oder eine Abgrenzung von anderen Personen nur aufgrund des Geschlechts. Das Geschlecht entwickelte sich von einer kaum beachteten biologischen Tatsache zu einem zentralen Punkt ihrer Identität. Es bildeten sich zwei stereotype Gruppen mit „den Buben“ und „den Mädchen“. Ihre jeweiligen Mitglieder waren stolz darauf, Teil dieser Gruppe zu sein. Nur ich gehörte keiner dieser Gruppen an. Mir fehlte dafür ein zentraler Aspekt: Ich spürte diese Verbundenheit, diese Zugehörigkeit rein aufgrund des Geschlechts nicht. 

Wie das Beispiel mit meinem Freund zeigt, ist es bereits für binäre Personen schwer, das eigene Geschlecht zu beschreiben. Es ist davon auszugehen, dass deshalb das geschlechtliche Selbstverständnis jeder Person ein anderes ist. Folglich kann auch ich auf die Frage, wie sich Nicht-Binarität anfühlt, keine allgemein gültige Antwort geben. Im Gegenteil: dass ich mit meinem männlichen Vornamen zufrieden bin, ist nur ein Beweis dafür, dass mein Konzept dieses Geschlechts von anderen nicht-binären Personen in meinem Umfeld abweicht.  

Laut meiner Definition bedeutet nicht-binär zu sein ein fehlendes Zugehörigkeitsgefühl zu einem der binären Geschlechter, das scheinbar so viele andere Personen haben. Ich kann mich anderen Menschen durchaus verbunden fühlen, jedoch braucht es dafür mehr als nur ein bestimmtes Geschlecht. Doch auch unter nicht-binären Menschen gibt es keine einheitliche Definition. Jede Person empfindet das eigene Geschlecht anders als andere Menschen, sowohl in der nicht-binären Community als auch bei binären Personen.  

Nicht-binär zu sein bedeutet, Geschlecht zu hinterfragen. Es gibt kulturelle Praktiken, die als männlich oder weiblich angesehen werden. Auch binäre Personen können aus diesem Rollenbild ausbrechen, ohne als nicht-binär zu gelten. Nicht-Binarität ist ein Gefühl bezogen auf die Geschlechtszugehörigkeit. Für mich ist mein Erscheinungsbild Teil meiner Transition. Meine langen Haare, mein Kleidungsstil und mein Make-Up habe ich, um mich von meinem biologischen Geschlecht abzugrenzen. Doch das alleine macht mich nicht nicht-binär. Meine Nicht-Binarität ist ein Gefühl, mein Auftreten ist nur ein Ausdruck dessen. 

Wie fühlt sich meine Nicht-Binarität nun also an? Ich würde sagen, so wie sich eine Frau selbstverständlich als Frau und ein Mann, ohne es begründen zu können, als Mann fühlt, so fühle ich mich nicht-binär. Wenn ich behaupte, ich bin nicht-binär, dann habe ich nicht das Gefühl, gelogen zu haben. Für mich fühlt es sich so richtig an.

Matthias Aufschnaiter 
Mitglied Transgenderreferat
HOSI Wien  

Von Gastautor*in

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