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30 Jahre Löwenherz

Sichtbarkeit ist das Erfolgsgeheimnis unserer Emanzipationsbewegung: Dem verschĂ€mten Verschweigen, Wegschauen und Verstecken setzen wir stolz unseren eigenen Lebensentwurf entgegen. Selbst bei der manifesten Verfolgung von Schwulen, Lesben, Transmenschen, queeren Lebensformen waren und sind die Verfolgten nur Mittel zum Zweck: Auch hier geht es vor allem um Auslöschung der Wahrnehmung und Erinnerung. In Andreas Brunners jĂŒngstem Werk „Als homosexuell verfolgt“ belegt gleich das erste abgedruckte Dokument mit dem Vermerk „ohne historischen Wert“ diese Zielsetzung: Keine Archivierung, keine Erinnerung, schon gar keine Aufarbeitung.

Sichtbarkeit ist ein Leitbegriff, der die Arbeit der Buchhandlung Löwenherz seit 30 Jahren bestimmt hat – und gleich im ersten Jahr auch Anlass fĂŒr Razzia, Beschlagnahme und Prozess gegen uns, denn bis 1996 (Löwenherz startete 1993) galt ein strafrechtlich bewehrtes Werbeverbot in Bezug auf HomosexualitĂ€t. Selbst das damals noch viel kleinere Sortiment stand natĂŒrlich in seinem Ansatz, schwule, lesbische, transidente Literatur sichtbar zu machen, hierzu im Widerspruch. Wir hatten GlĂŒck, die Sache verlief sich, doch ein gesundes Misstrauen gegenĂŒber der Mehrheitsgesellschaft ist uns geblieben.

Nicht zuletzt aufgrund dieser legalen Grauzone, in der sich die Idee von Löwenherz in der GrĂŒndungsphase bewegte, wurde die Buchhandlung zusammen mit dem benachbarten CafĂ© Berg in einer gemeinsamen Firma und mithilfe eines Privatkredits eröffnet. Leo Kellermann vereinte Idee und Antrieb, eine Buchhandlung, wie es sie schon in anderen GroßstĂ€dten gab, auch in Wien zu etablieren. JĂŒrgen Ostler und Andreas Brunner suchten das erste Sortiment aus, kauften ein und machten den 1. Juli 1993 zusammen mit dem CafĂ© Berg zu einem Wendepunkt der lesbisch-schwulen Geschichte Wiens: Zum ersten Mal gab es einen Ort, der offen und tagsĂŒber völlig selbstverstĂ€ndlich schwul bzw. lesbisch war.

Lesbisch, schwul, trans, bi, inter, queer: Löwenherz ist seit 30 Jahren ein Ort, an dem dieses Leben stattfindet. Von der Eröffnung an (streng genommen schon in der Vorbereitungszeit) gab es Lesungen, VortrĂ€ge und Diskussionsveranstaltungen, und es sind viele Formate hinzugekommen. Online-Veranstaltungen, Videos, die wöchentliche Radiosendung „Berggasse 8“ und der gleichnamige Podcast, der wöchentlich BĂŒcher bespricht.

Veit Georg Schmidt und JĂŒrgen Ostler (Foto: Löwenherz)
Veit Georg Schmidt und JĂŒrgen Ostler (Foto: Löwenherz)

Viele dieser VerĂ€nderungen sind natĂŒrlich durch das Internet gekommen, ein Medium, das es bei GrĂŒndung der Buchhandlung noch gar nicht gab. Aber das war schon immer (und das bleibt hoffentlich auch so) etwas, was uns bei Löwenherz viel Spaß gemacht hat: Neues zu entdecken, auszuprobieren und zu entwickeln. Auch unser regelmĂ€ĂŸig erscheinender gedruckter Katalog ist so nicht allein geblieben, auf www.loewenherz.at gibt es einen komplett hauseigen programmierten Webshop mit vielen Features, die kaum eine andere Buchhandels-Website bietet, wie neben unserer eigenen Kategorisierung eine eigene, selbst entwickelte (lesbisch-schwul-queere) Verschlagwortung, ein Affiliate-System, Einbindung externer Medien und v.a.m.

Sichtbarmachen hĂ€ngt fĂŒr Löwenherz auch immer eng mit Schönheit und Freude zusammen. Und darum haben wir auch den Laden vor kurzem komplett renoviert und um etwa ein Viertel vergrĂ¶ĂŸert. Alles ist jetzt aus Massivholz, die neuen Regale haben schicke SchiebewĂ€nde, auf denen ausgewĂ€hlte Titel prĂ€sentiert werden, der Kassenbereich zeigt die Verbindung von Laden und Internet und die neue Leseecke ist ein richtiger Hingucker. Der Raum ist großzĂŒgiger, bietet zugleich Platz fĂŒr mehr BĂŒcher und bei Veranstaltungen ist nicht nur die Technik leichter einsatzbereit, es finden auch mehr GĂ€ste Platz als zuvor.

Finanziell mitermöglicht wurde dieser Umbau durch einen Preis: Löwenherz wurde 2020 zur „Buchhandlung des Jahres“ gekĂŒrt – und auch diese Ehrung durch das Staatssekretariat fĂŒr Kunst und Kultur zeigt eine wichtige VerĂ€nderung fĂŒr Löwenherz: Die Wahrnehmung außerhalb der Community. Löwenherz ist die kompetente Anlaufstelle geworden, KindergĂ€rten und Schulen schĂ€tzen unsere Expertise ebenso wie Museen und Unternehmen. Daran war in der Anfangszeit gar nicht zu denken.

Diese neue Sichtbarkeit von Löwenherz hĂ€ngt viel mit den zahlreichen AktivitĂ€ten der Buchhandlung und ihrer BuchhĂ€ndler zusammen, die sie außerhalb der vier WĂ€nde des Ladens entfalten. Nicht nur Regenbogenparade und Regenbogenball wurden ja von Löwenherz mitangestoßen (die erste Parade hat die Infrastruktur der Buchhandlung zum OrganisationsbĂŒro verwandelt), viele Szeneinitiativen und Vereine sind von Löwenherz gefördert und begleitet worden. Und mit der monatlichen Queerfilmnacht und dem jĂ€hrlichen Queerfilmfestival im September betreut Löwenherz mittlerweile eine weitere wichtigen kulturelle Community-Eventreihe.

Sichtbarkeit ist aber kein reines Schneller-Höher-Weiter – etwas sichtbar zu machen heißt auch, etwas auszuwĂ€hlen, es zum Besonderen zu machen, ihm Relevanz zu verleihen. Das war in den ersten Jahren von Löwenherz vor allem eine Sache der Beschaffung: Bei uns gab es die BĂŒcher, die anderswo nicht findbar waren, hĂ€ufig genug, weil andere Buchhandlungen sich weigerten, so etwas AnrĂŒchiges zu besorgen. (Nebenbei fĂŒhrte das ĂŒbrigens dazu, dass wir Spezialisten fĂŒr die Beschaffung von BĂŒchern geworden sind, bei denen sich auch erfahrene BuchhĂ€ndlerinnen und BuchhĂ€ndler schwer tun, und so greifen mittlerweile auch andere Buchhandlungen fĂŒr ihre komplizierten Titel gern auf unsere Erfahrung zurĂŒck und bestellen ĂŒber uns.)

In den letzten Jahren erleben wir eine BlĂŒte der schwulen, lesbischen, queeren Literatur, Romane wie SachbĂŒcher greifen transidentes Leben aus eigener Perspektive auf; wir können also eine ungeahnte Vielfalt anbieten und unsere Aufgabe ist immer mehr die geworden, von der wir anfangs nur trĂ€umen konnten, nĂ€mlich: Herausfinden, welches Buch fĂŒr die jeweilige Kundin, den jeweiligen Kunden gerade passend sein könnte. Denn wir sind ĂŒberzeugt: Das Buch, das alle gelesen haben mĂŒssen, gibt es nicht, Interessen sind vielfĂ€ltig, mitunter unvereinbar und es macht Spaß, sich auf Tageslaunen beim BeratungsgesprĂ€ch einzulassen.

Und hier heißt Sichtbarmachen auch: Einordnen, was ist authentisch, was ist große Kunst, was ist EntspannungslektĂŒre und was ist seichte Unterhaltung, womöglich auch aus rein kommerzieller Absicht auf den Markt geworfen. Und gerade die gegenwĂ€rtige Popularisierung queerer Themen bei großen Verlagen, Filmstudios und kĂŒnstlerischer Events wirft immer hĂ€ufiger die Frage auf: Hat das eigentlich noch mit uns zu tun, oder sind wir Schwule, Lesben, queere Menschen nur noch Staffage, so austauschbar wie das verschollene Kind im viktorianischen Roman oder das Pferd in der Jugendliteratur der letzten Jahrzehnte. Dabei geht es uns gar nicht darum auszusortieren – welche BĂŒcher ihre Berechtigung haben, das entscheiden Leserinnen und Leser selbst. Unsere Aufgabe ist es, beim AuswĂ€hlen helfen zu können und beim EinschĂ€tzen zu unterstĂŒtzen.

Wenn uns nach 30 Jahren eines gewiss erscheint, dann ist es dies: Zusammen mit unseren Kundinnen und Kunden, Freundinnen und Freunden werden wir immer wieder neu herausfinden, was wichtig, was schön, was bereichernd und was einfach nur entspannend ist. Viele unserer aufregendsten Titel-Entdeckungen verdanken wir ja direkt oder indirekt GesprĂ€chen im Laden und darum ist die Buchhandlung Löwenherz auch so etwas wie ein Katalysator dafĂŒr, was ein schwules, lesbisches, transidentes, intergeschlechtliches, queeres Buch ausmacht – auch in den kommenden 30 Jahren.

Veit Georg Schmidt
Buchhandlung Löwenherz

Von Gastautor*in

Unter diesem Tag versammeln sich verschiedene Gastautor*innen der LAMBDA.