Die Anfänge
“Gleichgeschlechtliche Unzucht begünstigen” – Vereine, die das vermeintlich taten, waren nach Paragraph 221 StGB im Jahre 1979 noch verboten. Quasi in einem ersten Akt des Widerstands, auf den viele folgen sollten, wurde in diesem Jahr die HOSI Wien gegründet. Vier Jahre später wurde die sogenannte schwul-lesbische Jugendgruppe von jungen Aktivist*innen in die Wege geleitet. Weil man als queere*r Jugendliche*r an der Entdeckung und Entfaltung der Identität gehindert wurde und die eigene Jugend dadurch oft als mangelhaft empfunden wurde, beschlossen die Gründungsmitglieder einen Ort zu schaffen, an dem dies geschützter möglich sein sollte. Zu der Zeit gab es kaum Gelegenheiten andere queere junge Leute kennenzulernen, denn die wenigen bestehenden Szenelokale richteten sich an ein erwachsenes Publikum.
Der damalige Jugendabend
Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass die Jugendgruppe vom Grundverständnis der Gründer*innen nie abgegangen ist. Schon damals war der ebenfalls am Donnerstag stattfindende Jugendabend ein Schutzraum für junge queere Menschen. Neben der anonymen Beratung und Stärkung des queeren Selbstbewusstseins vor Ort wurden junge Menschen in ganz Österreich auch mittels Briefverkehrs und dem sogenannten “rosa Telefon” beim Coming-out unterstützt. Ab und zu haben sogar schutzsuchende Jugendliche, vor Allem aus den Bundesländern, im ehemaligen Vereinslokal in der Novaragasse übernachtet. Am Jugendabend wurde oft auch zusammen gekocht und gegessen – üblicherweise ein riesiger 10-Liter Topf Spaghetti. Es wurden Texte geschrieben und vorgelesen, und es wurde natürlich auch viel gefeiert, getanzt, geflirtet und so manche Liebesbeziehungen sind entstanden. Und das obwohl der damals geltende Paragraph 209 des StGB Beziehungen zwischen Männern, bei denen zum Beispiel einer 18 und der andere 17 war, verbot. Dieses sogenannte “Schutzalter,” welches natürlich nicht für Heten galt, wurde erst 2002 vom Verfassungsgerichtshof abgeschafft. Damals wurden am Jugendabend auch schon Travestieshows mit Lip Syncs veranstaltet, die wohl die Vorläuferinnen der heute jährlich an Halloween stattfindenden Drag Show darstellen.
HIV/AIDS
Die Aidskrise der 80er Jahre war ein tiefer Einschnitt für die LGBTQ-Communities weltweit, genauso in Wien. Die Jugendgruppe war besonders in den Jahren 1986 und 1987 durch zahlreiche HIV-positive Ergebnisse und anschließende Todesfälle von der Krise betroffen. Am Jugendabend wurde als Reaktion offen über HIV und AIDS gesprochen, es wurden Kondome verteilt und man versuchte sich so gut wie möglich gegenseitig zu unterstützen. Erst Anfang der 90er Jahre kam es langsam zu einer Besserung der Situation in Österreich, zu der die unermüdliche AIDS-Arbeit der HOSI Wien maßgeblich beigetragen hat.
Warme Woche
Die Jugendgruppe war aktiv beteiligt bei der Organisation und Durchführung der “Warmen Woche” im Juni 1984, deren Programm aus Gespräch(sversuch)en zwischen Eltern und schwul-lesbischen Jugendlichen, Podiumsdiskussionen, Filmscreenings, einem Grillfest und einer Lesung, das sich über zwei Wochen erstreckte. Die Warme Woche gilt als Vorgängerin der österreichischen Regenbogenparade. Am 23. Juni 1984 zog ein Demonstrationszug aus 300 mit Transparenten ausgestatteten Menschen von der Staatsoper über die vor Tourist*innen strotzende Kärntner Straße zum Heldenplatz. Helga Pankratz, Mitbegründerin der Jugendgruppe, berichtete in den Lambda Nachrichten, dass eine Gruppe von Punks, welche den Demo-Zug solidarisch von Anfang bis zum Ende begleitet hat, nachher in einen Streit mit der Polizei geraten ist. Dazu schreibt Helga: “verfolgung und willkür, denen eine nichtangepaßte gruppe der gesellschaft ausgesetzt ist, darf einer anderen nichtangepaßten gruppe nicht gleichgültig sein. in diesem sinne – zumindest für die jugendgruppe ‘schwul-lesbische solidarität mit punks!’”
Schwul-Lesbische Jugendgruppe
Die Jugendgruppe wurde direkt als Vereinigung zwischen Schwulen und Lesben gegründet. Helga Pankratz‘ Zitat lässt darauf schließen, dass der Jugendgruppe Solidarität nicht nur zwischen der Community und anderen marginalisierten Gruppen wichtig war, sondern auch mit mehrfachdiskriminierten Teilen der Community. So wurde bereits im Gründungsjahr 1983 in dem von der Jugendgruppe herausgegebenen “Jugend(ver)führer” der Mangel an Frauen am Jugendabend als Problem identifiziert und es wurde aktiv nach mehr queeren Frauen gesucht. Der heutige Jugendabend ist durchaus gemischt und junge queere Frauen, nicht-binäre und trans Jugendliche fühlen sich dort wohl aufgehoben. Obwohl damals nicht so genannt, waren trans Personen von Anfang an Teil der Jugendgruppe, mussten sich aber auch innerhalb der queeren Community mehr als so manch andere durchsetzen.
Verführung der Jugend
Die HOSI Wien wurde auf Basis des Paragraphen 220 des StGB, der die Werbung “für Unzucht mit Personen des gleichen Geschlechts oder mit Tieren” unter Strafe gestellt hat, von einem Schuldirektor angezeigt, weil sie die von der Jugendgruppe herausgegebenen Zeitschriften “TABU” und “Jugend(ver)führer” an Schulsprecher*innen in Wien, Niederösterreich und Burgenland in einem Rundschreiben mitgeschickt hatten. Am 20. März 1990 kam es daraufhin zu einer Gerichtsverhandlung, bei der Aktivist*innen gewalttätig von Justizbeamt*innen aus dem Gerichtssaal eskortiert wurden. Der Grund: Ein Aktivist warf als Reaktion auf das Fehlverhalten der zuständigen Richterin den Akt vom Richterinnentisch in eine Ecke des Verhandlungszimmers. Der Gerichtsprozess fiel im Endeffekt zu Gunsten der HOSI Wien aus.
40-jähriges Jubiläum
Die mittlerweile in “QYVIE“ – Queer Youth Vienna – umbenannte Jugendgruppe blickt 2023 auf ihre 40-jährige Geschichte zurück. Am 22 April fand eine Jubiläumsfeier mit Drag Show, musikalischem Liveact, DJs und einer Ausstellung statt. Besonders gefreut hat uns der Besuch von zwei Gründer*innen der Jugendgruppe, Doris Hauberger und Robert Eichhorn. Wir können uns auch mehr als glücklich darüber schätzen, dass Doris und Robert stolz auf die Arbeit des Jugendteams sind. Zur heutigen Jugendgruppe haben die beiden bei ihrer Rede am diesjährigen Helga-Pankratz-Fest folgende Worte übriggehabt: “Die Queer Youth Vienna bietet Unterstützung während des Coming-outs Jugendlicher, macht Mut durch Communitybuilding, bietet die Möglichkeit zur Vernetzung und versteht sich als aktivistische Jugendgruppe, die gegen jegliche Art von Diskriminierung auftritt. So ähnlich hätten wir es damals auch auf ein Flugblatt gedruckt und genau so beschreibt sich die Jugendgruppe heute. Kurz: eine Gruppe, die Vielfalt lebt.”
Ausblick
Trotz der zahlreichen Fortschritte, die den Aktivist*innen aus der Community zu verdanken sind, muss noch einiges getan werden, um der Gründungsidee der Jugendgruppe entsprechend jungen queeren Menschen eine sichere Entfaltung zu ermöglichen. So muss endlich ein Verbot der sogenannten Konversionstherapien und medizinisch nicht notwendiger Operationen an intergeschlechtlichen Minderjährigen umgesetzt werden. Es bedarf auch einen niederschwelligen und kostenfreien Zugang zu gesundheitlichen Angeboten wie Beratung, Therapie und PREP/PEP und ein Ende der Pathologisierung von trans und inter Personen. Dazu gehört natürlich auch die Selbstbestimmung von trans Personen. Ganz zentral ist auch eine Integration queerer Themen in der Schule sowie eine dazu fundierte Ausbildung der Lehrkräfte. Es braucht allgemein im Bereich queerer Jugendarbeit mehr Professionalisierung. Es kann nicht sein, wie es in der sogenannten Regenbogenhauptstadt Wien bisher großteils der Fall war, dass diese wichtige Arbeit wegen unzureichender Finanzierung ehrenamtlich gestemmt werden muss.
Vera Huber
Anto Marković