Wenn eins zum anderen fĂŒhrt
Der Konsum von unterschiedlichsten Substanzen im sexuellen Kontext ist nichts neues und kommt in allen Bevölkerungsgruppen, soziodemographischen Schichten und Settings vor. HintergrĂŒnde, BeweggrĂŒnde, Formen und Dynamiken und damit auch potenzielle Auswirkungen können sich jedoch deutlich unterscheiden.
Ein spezieller Bereich von sexualisiertem Konsum ist Chemsex. Hier geht es laut derzeitiger Definition um ganz konkrete Substanzen beim Sex zwischen MĂ€nnern. Diese sogenannten Chems haben unter anderem luststeigernde, enthemmende und gleichzeitig schmerzstillende Wirkung und verĂ€ndern dementsprechend die SexualitĂ€t. Es kann zu anderen Praktiken, zu hĂ€rterem oder lĂ€ngerem Sex oder Sessions mit mehr Personen kommen, als im nĂŒchternen Zustand. Oft ist Chemsex daher mit Partys und Gruppen verbunden. Mitunter wird hier das reale Ausleben von Bildern und Phantasien ermöglicht, welche nicht selten durch Pornos geprĂ€gt sind. Pornos treten im Zusammenhang mit Chemsex aber auch ganz anders auf: Denn auch Einzelsessions werden hierzu gezĂ€hlt, also Substanzkonsum und Selbstbefriedigung in Kombination mit Pornos.
Auch abgesehen von solchen Definitionen sind Pornos und Chemsex nicht unerheblich miteinander verknĂŒpft und haben unter UmstĂ€nden Einfluss auf die (sexuelle) LebensqualitĂ€t von MĂ€nnern, die Sex mit MĂ€nnern haben.
âPornographie kann grundsĂ€tzlich ein gutes Instrument sein. Es ist halt wichtig zu reflektieren, was Pornographie ist: NĂ€mlich eine Fiktion und ein Spiel mit der Phantasie. Bei Comic-Filmen ist allen klar, dass hier keine RealitĂ€t gezeigt wird. Bei Pornos in Zusammenhang mit schwuler SexualitĂ€t und in Kombination mit Substanzen, kann diese klare Wahrnehmung aus diversen GrĂŒnden verschwimmen.â kommentiert Urs Gamsavar, Berater mit Schwerpunkt SexualitĂ€t und Sucht in der Berliner Gruppenpraxis ÂLust.Punkt.
Ein Grund hĂ€ngt schon mit dem Format der meisten Pornos zusammen. Es wird viel mit Schnitten im Film gearbeitet. Viele Bestandteile von SexualitĂ€t, wie etwa das Aufbauen von Erregung und Verlangen sind ausgeblendet und nicht sichtbar, ĂŒbrig bleibt eine stark gekĂŒrzte Version von SexualitĂ€t. Damit produzieren Pornos ein Bild von SexualitĂ€t, das von der RealitĂ€t abweicht. Gamsavar erklĂ€rt die Diskrepanz zwischen Bild und RealitĂ€t an einem Beispiel: âIch denke da sofort an weit verbreitete Narrative zur schwulen SexualitĂ€t, die auch durch Pornos gestaltet werden. Ein typisches Beispiel ist, wenn der Penis nicht ganz hart ist. Das ist vollkommen normal und gehört zu mĂ€nnlicher SexualitĂ€t dazu. Trotzdem wird dies oft sehr negativ und als Defizit empfunden. Durchaus nachvollziehbar, denn man hat ja im Porno gesehen, wie eine Erektion vermeintlich durchgehend auszusehen hat. Und bei anderen MĂ€nnern klappt es anscheinend auch. Hier lohnt sich zu hinterfragen, ob man nur eine gekĂŒrzte Version gesehen hat und ob Substanzen wie z.B. Viagra oder Kamagra im Spiel sein könnten.â
Potenzmittel wie Sildenafil und Co können tatsĂ€chlich eine hilfreiche UnterstĂŒtzung sein. Mittlerweile sind mehrere Substanzen dieser sogenannten PDE5-Inhibitoren erhĂ€ltlich. Sie fördern die GefĂ€Ăerweiterung, wodurch letztlich der Schwellkörper im Penis besser durchblutet und dadurch eine Erektion gefördert wird. Der Nachteil daran ist, dass durch den Effekt der GefĂ€Ăerweiterung der Blutdruck insgesamt sinkt und Kreislaufprobleme entstehen können. Das gilt nochmal mehr in Kombination mit Medikamenten, die den gleichen Effekt haben. Z.B. sollten Personen, die blutdrucksenkende Medikamente einnehmen, hier vorsichtig sein.
Aber auch andere Substanzen haben Auswirkungen. So sollte die Kombination mit Poppers eigentlich vermieden werden, da es durch den hier gelegentlich stĂ€rkeren Blutdruckabfall bis zum Kollaps bzw. zur Bewusstlosigkeit kommen kann. Dr. Michael ÂMeilinger, Internist, HIV-Behandler und Mitglied des österreichischen Chemsex-Netzwerkes, erklĂ€rt: âDrogenkonsum ohne Risiko gibt es natĂŒrlich nicht, Risiken minimieren geht teilweise. In Bezug auf Potenzmittel und Chems gilt, es ist auf jeden Fall besser mit einer geringen Dosis anzufangen und nicht zu schnell nachzulegen. Oft wird nĂ€mlich die Dauer einer Wirkung unterschĂ€tzt. Poppers wirken nur sehr kurz, man konsumiert also schnell erneut. Potenzmittel hingegen wirken wesentlich lĂ€nger. Da sollte man nicht drauf vergessen, dass die beiden Substanzen sich synergistisch verstĂ€rken.â
Neben Poppers gilt allgemein, dass sich Potenzmittel und Chems (GHB, Ketamin, Chrystal und Mephedron) gegenseitig verstĂ€rken. Das liegt daran, dass viele Substanzen in der Leber ĂŒber die gleichen Mechanismen und Enzyme abgebaut werden. Es entsteht quasi eine Konkurrenz um die Verstoffwechselung und letztlich werden beide Stoffe langsamer abgebaut. Besonders gefĂ€hrlich ist hier die Kombination aus Alkohol und GHB/GBL. Auch hier geht es um eine gegenseitige Hemmung im Abbau. Alkohol kann auf diese Weise zu einer lebensbedrohlichen Ăberdosierung von GHB/GBL fĂŒhren.
Von solchen Interaktionen der Substanzen untereinander abgesehen, können Chems auch indirekte Risiken bergen. Denn einer ihrer Effekte ist das Senken das Schmerzempfinden. ZusĂ€tzlich werden mitunter lokale AnĂ€sthetika eingesetzt, z.B. um Fisten zu erleichtern oder etwa den mechanischen Brechreiz beim Oralverkehr zu verringern. So kann auch hier eins zum anderen fĂŒhren. Und zwar in Form von Verletzungen, die nicht bemerkt werden und unter UmstĂ€nden nachhaltige gesundheitliche Probleme verursachen.
Langfristige Probleme sieht der Mediziner jedoch vor allem auf der psychischen Ebene:
âBei regelmĂ€Ăigem und hĂ€ufigem Konsum von Chems im sexuellen Kontext gibt es nicht selten Schwierigkeiten wieder eine erfĂŒllte SexualitĂ€t im nĂŒchternen Zustand zu erleben. Durch den hohen Level an Erregung und Reizen und der oft empfundenen Offenheit und Gelöstheit wĂ€hrend des Konsums entsteht eine Art Konditionierung. Nicht nur die Substanzen selbst, sondern auch das Setting von Chemsexparties oder die Planung von solchen, triggern sexuelle Lust. Ohne all das ist oftmals keine Erregung oder Geilheit mehr spĂŒrbar und auch eine Erektion fĂŒr manchen nicht mehr zu erreichen. Da können auch Potenzmittel nur bedingt helfen, es ist ein psychischer Effekt, der zu einem sehr hohen Leidensdruck fĂŒhren kann. Und ganz abgesehen von diesen lĂ€ngerfristigen psychischen Auswirkungen, ist man vom Porno-Ideal einer unzerstörbaren Erektion unter Chems trotz starker Erregung meist weit entfernt, da unter Metamphetaminen (zB Crystal Meth) und Mephedron eine Erektion oft kaum möglich ist. Hier kommen dann wiederum Potenzmittel zum Einsatz, die in Kombination mit den genannten Substanzen eben auch unerwĂŒnschte Auswirkungen haben können.â
Hier scheint sich also die berĂŒhmte Katze in den Schwanz zu beiĂen. Denn das eingangs erwĂ€hnte Bild schwuler SexualitĂ€t inkludiert Aussagen wie: âIch muss immer Lust haben. Ich muss immer geil sein.â Pornos geben dieses Bild besonders deutlich wieder. Der dadurch entstehende Performancedruck ist enorm. Urs Gamsavar bringt es auf den Punkt â Klar verleitet das dazu, dementsprechende Substanzen zu konsumieren. Weil es damit einfach leichter fĂ€llt, solchen Bildern irgendwie zu entsprechen. Und weil man mit den Substanzen potenzielle psychosomatische Effekte von Stress im Alltag vermeidet. Sex wird geplant am Punkt möglich, sozusagen unabhĂ€ngig vom sonstigen Leben. â
Potenzmittel und Chemsex bieten Optionen an. Vor allem Chems können aber eben umgekehrt auch zu EinbuĂen in der LebensqualitĂ€t fĂŒhren. Und um dann individuellen Stress ausklammern zu können, braucht es eventuell wieder mehr solcher Optionen. Denn am Punkt abliefern und immer gut sein können, sind Themen die allgegenwĂ€rtig sind. Selbstoptimierung und Selbstinszenierung nehmen in der heutigen Gesellschaft eine maĂgebliche Rolle ein.
Vielleicht könnte Selbstoptimierung manchmal mehr als aktives Loslösen von vermeintlichen Idealen und bestehenden Narrativen interpretiert werden. Und damit als Erleichterung fĂŒr eine SexualitĂ€t mit ganz individuellen Vorlieben und Optionen. Oder wie Urs Gamsavar formuliert: âChems können gut als Katalysator funktioniere. Aber es wĂ€re total schön, wenn die Menschen neugieriger wĂ€ren, jenseits von Substanzkonsum ihre eigene SexualitĂ€t selber zu entdecken und eine Leichtigkeit dabei zu spĂŒren. Es geht nicht immer um die Performance, es darf beim Sex auch mal herzhaft gelacht werden.â