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Wien verliert einziges männliches Laufhaus

Wo kann männlichen Sexarbeitern noch Unterstützung angeboten werden?

An einem verschneiten Freitagabend war ich mit einem Streetworker unterwegs, um männlichen Sexarbeitern Unterstützung anzubieten. Ehrenamtlich und aus großem Interesse. Mein ehemaliger Mitbewohner war als Escort in der Sexarbeit tätig und seitdem sehe ich Sexarbeit definitiv mit anderen Augen. Ich bin überdies angehender Sozialarbeiter und strebe an, mal in der Gesundheitsförderung zu arbeiten. Dazu gehört unter anderem auch Sozialarbeit für Sexarbeit. Aus diesen Gründen habe ich mir mit einem Streetworker ausgemacht, gemeinsam mal Sexarbeit-Streetwork zu machen. Quasi als Tagespraktikum. Gibt es ein männliches Bordell in Wien?

Meines Wissens, ja – das Café Rüdiger. Zumindest dachte ich so. Das Hauptziel des Abends wäre eben dieses „Café“ gewesen, doch leider mussten der Streetworker und ich feststellen, dass das ­Rüdiger seit wenigen Monaten geschlossen ist. So standen wir vor geschlossenen Türen. Die Fassade des ehemaligen Laufhauses ist mittlerweile brüchig und mit Graffiti zugesprüht worden.

(Foto: Michael Stromenger)
(Foto: Michael Stromenger)

Sofort brachte mich dies zum Nachdenken, was mit den Sexarbeitern wohl passiert ist und wie sie jetzt zu ihrem Geld kommen. Die männlichen Sexarbeiter haben nämlich mit der Schließung des Rüdigers den einzigen offiziellen und sicheren Raum in Wien verloren, wo sie ihre Dienstleistungen (vor allem männlichen) Klienten anbieten konnten. Die Betonung liegt hier auf den Wörtern offiziell und sicher. Natürlich gibt es noch viele andere Räume; seien es Privaträume oder Räume im Internet. Räume, die nur sehr schwer von unterstützenden Streetworkern und Sozialarbeitenden erreicht werden können. Die Gefahren, die damit einhergehen, sind gravierend und umfassen nicht nur ein erhöhtes Risiko für sexuell übertragbare Infektionen, sondern auch für Missbrauch. Im Rüdiger hatten die Männer immerhin die Möglichkeit, sich unter der Einhaltung von gewissen Hygiene- und Sicherheitsstandards zu prostituieren. Sicherheitsstandards, die im Park, am Bahnhof oder in einer öffentlichen WC-Anlage nicht gegeben sind.

Das Suchen nach Sexarbeitern

Sozialarbeit für Sexarbeit gliedert sich in zwei große Bereiche. Dazu gehört einerseits die aufsuchende Sozialarbeit (Streetwork) und andererseits die Sozialberatung in diversen Einrichtungen. Dorthin kommen meist Sexarbeiter*innen auf Eigeninitiative. Viele Sexarbeiter*innen suchen jedoch Beratungsstellen nicht auf, arbeiten illegal und sind schwer zu erreichen. Angenommen, man möchte männliche Sexarbeiter finden, hat man zumindest in den Sommermonaten im Schweizer Garten im 3. Wiener Gemeindebezirk noch die besten Chancen. Doch während unserer kalten Winternacht konnten wir auch dort keine sozialarbeiterische Hilfeleistung anbieten.

Ohnehin wird die öffentliche Prostitution in Wien zu einem selteneren Anblick seit 2011 strenge Regeln für Straßenprostitution eingeführt wurden. Unter anderem wird damit die Anbahnung der Prostitution auf Straßen in Wohngebieten verboten. Eigentlich ist in Wien Straßenprostitution nur auf einzelnen Straßen in Liesing und in Floridsdorf möglich. Während also früher die Prostitution zum Straßenbild von gewissen Rotlichtvierteln dazu gehörte, haben sich Viertel wie beispielsweise der Spittelberg zu Bobogegenden mit teuren Bars & Restaurants verändert. Wo früher sexuelle Dienstleistungen angeboten wurden, kann heute Gemüse aus biologischem Anbau und Fairtrade-Kaffee gekauft werden. Natürlich freuen sich die meisten Anrainer*innen darüber, keine Sexarbeiter*innen mehr sehen zu müssen. Ich, als angehender Sozialarbeiter, bedaure jedoch, dass es immer schwieriger wird, Sexarbeiter*innen zu erreichen. Schließlich wird die Prostitution durch solche Regeln nicht weniger, sie verlagert sich nur in schwerer zugängliche Bereiche. Ich frage mich, wie sich die Sozialarbeit in diesem Feld weiterentwickeln wird. Auf jeden Fall braucht es meines Erachtens neue Methoden und Zugänge. Vielleicht muss ich mir als Sozialarbeiter mal ein berufliches Grindr-Profil erstellen.

Männliche Sexarbeiter in Szenelokalen

Nachdem wir im geschlossenen Rüdiger keine aufsuchende Sozialarbeit machen konnten, beschlossen wir zumindest einen Spritzer in einem queeren Lokal zu trinken. Vielleicht würden sich da noch interessante Einblicke ergeben. Und dem war auch so. Schon der erste Anblick ließ ein paar Vermutungen aufkommen. Mensch kann sich folgendes Bild vorstellen: überfülltes Lokal, so gut wie alle Männer sind schon etwas älter und zwischen ihnen sitzen vereinzelt ein paar sehr junge Männer, alle höchstens 25 Jahre alt. Einer tanzt und zieht kurz sein T-Shirt hoch. Er kassiert dabei beeindruckte Blicke. Der junge Mann scheint Spaß zu haben und bewusst damit umzugehen, was auch immer er hier heute Abend vorhat. Die anderen jungen Männer wirken eher etwas zurückhaltend, nahezu beschämt.

Prekär, aber nicht illegal?

„Gesetzlich ist das ja okay. Ich meine, wenn beide dem zustimmen und zu dem einen dann nach Hause gehen….“, kriege ich in einem Gespräch an dem Abend noch zu hören.

Ob es gesetzlich wirklich okay ist, zweifle ich an. Aber wen interessiert das schon? Wenn sich zwei Menschen untereinander etwas ausmachen, bekommt niemand was davon mit und niemand kann zur Verantwortung gezogen werden. Innerhalb der queeren Szene sind mehrere Adressen dafür berüchtigt, von Sexarbeitern aufgesucht zu werden. Die Betreiber*innen tolerieren dies eher als es zu unterstützen.

In erster Linie müsse man auch hinterfragen, ob das Prostitutionsgesetz nicht eine zu hohe Hürde darstellt. Laut Polizei sind nur etwa 70 männliche Sexarbeiter offiziell gemeldet. Die Dunkelziffer der illegalen Sexarbeiter wird aber auf ca. 700 geschätzt. Nur 10% aller Sexarbeiter sind also behördlich erfasst.

Nach allen Eindrücken, die ich aus den Gesprächen an diesem Abend bekam, bin ich mir sicher, dass es dringend einen neuen Raum für legale männliche Prostitution in Wien braucht. Doch leider sind die Hürden für ein Prostitutionslokal zu hoch und die Toleranz der Gesellschaft zu dem Thema niedrig. Vor allem in unserem heutigen Zeitalter müsste es dringend zu Änderungen kommen. Es braucht nicht nur neue Anlaufstellen für Sexarbeiter, sondern auch neue sozialarbeiterische Zugänge.

Michael Stromenger

Von Michael Stromenger

Sozialarbeiter in Wien