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Kultur

Was das Leben wert ist

Berlinale 2023

Die Berlinale brillierte mit spannenden Geschichten um queere Persönlichkeiten.

Drei ganz unterschiedliche und beeindruckende Filme des PANORAMA-Programms, die ich im Vorfeld der Berlinale besprechen möchte, sind „Sisi und Ich“, „Motstandaren“ und „Kokomo City“, wobei mein Text aus redaktionellen und drucktechnischen Gründen erst im Nachgang des Festivals erscheint. Weitere Filme sowie die noch anstehenden Preisverleihungen werden dann in der zweiten Ausgabe der Lambda, also im Sommerheft, erörtert.

Sisi und Ich
Sisi und Ich

In „Sisi und Ich“ von Frauke Finsterwalder geht es natürlich um die Kaiserin von Österreich. Erwartet man allerdings romantisch angehauchten Kostümkitsch, wird man enttäuscht oder ist sogar erleichtert, je nachdem wie man zur allseits üblichen Verherrlichung Elisabeths steht. In diesem Streifen geht es nämlich ganz anders zu, da das Spektakel aus der Perspektive der ersten Hofdame, Irma Gräfin von Sztáray, gespielt von Sandra Hüller, erzählt wird, die ihrerseits nicht ganz ohne ist. Sie will sich aus den einengenden Klauen ihrer Mutter und nicht zuletzt vom Heiratsdruck befreien, heuert entsprechend als Gefolgschaftsmitglied der exzentrischen Elisabeth an, die gekonnt von Susanne Wolff verkörpert wird und einiges von der sie umgebenden Gesellschaft verlangt. Irma scheint das erst mal alles so gar nicht zu erfüllen, sie wiegt zu viel für den Bulimiegeschmack der Kaiserin, trägt die falsche Kleidung und ist zu spießig. Doch dann lernt Elisabeth die totale Hingabe der Gräfin schätzen, auch wenn sie diese wohl niemals als ebenbürtige Geliebte akzeptieren würde. Aber ganz so weit soll es natürlich sowieso nicht kommen, das weiß man ja, wenn man die Geschichte der sagenumwobenen Aristokratin verfolgt. Und ganz so gradlinig ergeben wie die Gräfin zuerst erscheint, ist diese dann auch nicht. Eifersucht hat eben noch die treueste Seele auf fragwürdige Pfade gelenkt. So oder so, ein psychologisch hochinteressanter Film – Kinostart: 31. März 2023 –, der es in sich hat und in dem Sandra Hüller mit ihrer unnachahmlich drastischen Art mit präsenter Körperlichkeit brilliert.

In dem schwedischen Film „Motstandaren“ („Opponent“) von Milad Alami geht es auch um Homosexualität, die der Protagonist meint, verstecken zu müssen, nur spielt die Story heute, und der Mann ist mit Frau und Kindern aus dem Iran geflohen, was das Ganze ebenso kompliziert macht, wie das Schicksal der Kaiserin am österreichischen Hof vor über 100 Jahren. Da der Geflüchtete, herausragend dargestellt von Payman Maadi, der hier im Mittelpunkt steht, seinen Lebensunterhalt als Wrestler verdient, ist zudem soviel kameranahe Körperlichkeit im Blickfeld der Zuschauer*innen, wie im Spiel um die sportbesessene Kaiserin. In „Kokomo City“ von D. Smith dagegen, die bisher in der Musikindustrie von sich Reden gemacht hat, erscheinen die US-amerikanischen trans* Protagonistinnen Daniella Carter, Koko Da Doll, Liyah Mitchell und Dominique Silver zunächst viel freier und offener, während sie von ihren Erlebnissen im Sexarbeiter*innenmilieu berichten. Doch im Laufe der toll erzählten und mit umwerfenden Musiksounds unterlegten Dokumentation wird klar, wie sie von der Gewalt in ihren Lebensläufen, Familien und Umwelten geprägt sind. Trotz allem lassen sie sich ihren Lebensmut und ihre Lebenslust nicht nehmen.

Von Anette Stührmann

Freie Journalistin und Autorin