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Ich bezeichne (mich), also bin ich?

Nun ist es in einer Lambda-Ausgabe mit dem Leitthema Queer Living – Queer Spaces natĂŒrlich nicht offensichtlich, warum ich mich entschieden habe als AufhĂ€nger fĂŒr die Nicht-binĂ€ren Nachrichten IdentitĂ€tsbezeichnungen zu nehmen. Ich möchte deshalb erklĂ€ren warum: Zu Queer Living passen IdentitĂ€tsbezeichnungen natĂŒrlich gut. IdentitĂ€t, in unserem Fall sowohl die der SexualitĂ€ten, als auch GeschlechtsidentitĂ€ten, ist Teil des queeren Lebens. Egal, ob ein* diese aktiv auslebt, oder sich ihrer nur bewusst ist. In beiden FĂ€llen entsteht der Wunsch fĂŒr viele, sich mit Gleichdenkenden und GleichfĂŒhlenden auszutauschen.

Dazu hilfreich sind Orte, also Queer Spaces. Ich meine damit nicht allein in der sinnlichen Welt vorhandene RĂ€ume, wie Bars, Clubs, CafĂ©s, sondern ebenso GedankenrĂ€ume. Sozusagen physische und psychische. Onlineangebote können sich manchmal wie reine GedankenrĂ€ume anfĂŒhlen, da ich einer Person im Normalfall beim Austausch nicht gegenĂŒbersitze, sie sind jedoch ebenso Teil beider Kategorien.

FĂŒr die meisten gibt es bei der Wahl dieser RĂ€ume eine Art Hierarchie. Wir können uns wohl auf eine Ă€hnliche Einteilung verstĂ€ndigen. Da wĂ€ren OnlinerĂ€ume aufgrund der starken Fixierung auf die visuelle Komponente wohl ganz weit unten. Aber sie haben einen Vorteil: Die Sozialen Medien und Dating-Plattformen bieten die Möglichkeit relativ anonym zu bleiben. Um die eigene SexualitĂ€t zu erkennen, hilft es, sich mit ÄhnlichfĂŒhlenden auszutauschen. Dazu sind dann Treffen in einschlĂ€gigen Bars nicht so attraktiv. Das Problem dabei ist nur, welche OnlinerĂ€ume suche ich denn auf, wenn ich noch gar nicht sicher bin, was meine IdentitĂ€t ist? Ich muss dazu herausfinden: Wie nennen sich denn die, die ihre GeschlechtsidentitĂ€t oder SexualitĂ€t schon erkannt haben, die auch jenes und solches wie ich empfinden?

Aus heutiger Sicht wĂ€re es fĂŒr mein Leben sicher mehr als zutrĂ€glich gewesen, den Begriff “nicht-binĂ€r” schon in meiner Kindheit kennengelernt zu haben. Ich wette, mir wĂ€ren einige negative GefĂŒhle erspart geblieben, hĂ€tte ich gewusst, dass auch andere Menschen sich in der einen oder anderen Weise nicht in die propagierte GeschlechterbinaritĂ€t einordnen können. Was ich kannte, waren schwule MĂ€nner. Die waren mehr schlecht als recht in den Medien portrĂ€tiert, trotzdem wusste ich es gibt sie, die sind vermeintlich anders als die zwanghaft auferlegte Norm. Anders als die Norm war ich auch, also habe ich sie aus der Ferne beobachtet, gierig alle Informationen aufgeschnappt, die in diese Richtung gingen. Einige dieser schwulen und scheinbar schwulen MĂ€nner hatten Ähnlichkeiten zu mir – was ihre biologischen Gegebenheiten, ihren sozialen Geschlechtsausdruck, ihr Liebesleben und ihr kontrĂ€res VerhĂ€ltnis zur gesellschaftlichen Erwartung an sie betraf. Auch einige von ihnen konnten sich mit den sozialen Rollenbildern von Mann und Frau nicht identifizieren, ihnen manchmal nicht einmal entsprechen, wenn sie wollten. Auch einige von ihnen hatten sexuelle und romantische GefĂŒhle, die sich nicht nur oder gar nicht auf Frauen bezogen. Und sie wurden bei der Geburt aufgrund biologischer Merkmale in die Kategorie Mann eingeteilt, so wie ich. Das muss es sein, ich bin ein schwuler Mann. Ähnlich ging es mir mit dem Begriff (trans) Frau. Die haben sich auch so gefĂŒhlt wie ich, aber es brauchte scheinbar viel mehr, um so eine zu werden. Es herrschte scheinbar der allgemeine Konsens, ohne weitreichende operative Eingriffe konnte ich keine Frau sein. Alle wĂŒrden mich selbst mit langen Haaren und als weiblich gelesene Kleidung noch immer als Jungen/Mann sehen. Und irgendwie fĂŒhlte sich die Bezeichnung Frau nicht richtig an. Genauso falsch wie das Wort Mann. Ich dachte mir: Komisch, da passe ich schon nicht in die eine Kategorie, und ebenso wenig in die andere, und es gibt ja bekanntlich nur zwei. Wahrscheinlich hat die Bezeichnung „schwul“ dann einfach mit mehr zu tun als der GeschlechtsidentitĂ€t, ich kann doch nicht die einzige Person sein, die sich genau so fĂŒhlt. Wenn MĂ€nner vom Mars kommen, und Frauen von der Venus, von welchem Planeten komme ich dann?

Ich fĂŒhlte mich wirklich wie von einem anderen Stern, der noch von niemandem entdeckt wurde, oder auf dem ĂŒberhaupt nur ich alleine geboren wurde und die Dinge nun mal anders laufen.

Ich kannte die Bezeichnung nicht-binĂ€r noch nicht, also gab es gar nicht die Option, das zu sein. WorĂŒber nicht gesprochen wird, das existiert anscheinend nur in meinem Kopf, ist ein GefĂŒhl, unbeschreiblich 
 vielleicht sogar eine Wahnvorstellung? Es gibt diesen einen Verschwörungstheoretiker, der im Dorf immer Leute auf der Straße belĂ€stigt, indem er ihnen von unbekannten Welten, geheimen PlĂ€nen der Regierung und einem unbekannten Tier, das nur er entdeckt hat, spricht. Über den machen sich die Leute lustig, sie wollen nicht er sein. Ebenso wenig wollte ich so eine Person sein, indem ich herumlaufe und Leuten davon erzĂ€hle, dass es scheinbar mehr als zwei Geschlechter geben muss, wenn ich selbst ja keinem davon angehöre, und ich existiere nun mal real.

Die logische Konsequenz daraus war, zu ignorieren, was sich in mir abspielte, und einen Teil davon unter dem Deckmantel der SexualitĂ€t nach außen zu tragen. Also warum weinst du, wenn dir die Haare abgeschnitten werden? Das hat mit dem Schwulsein zutun. Warum verstehst du nicht, was als mĂ€nnliche und weibliche Kleidung empfunden wird? Das hat mit dem Schwulsein zutun. Warum bist du so fasziniert von (binĂ€ren) trans Personen, wenn du selbst cis bist? Das hat auch mit dem Schwulsein zutun. HĂ€, aber das ergibt doch irgendwie keinen Sinn? Stimmt.

Ich habe sozusagen die SchlĂŒssel fĂŒr den schwulen Kulturraum ausgehĂ€ndigt bekommen, weil ich unter anderem an MĂ€nnern interessiert war und als Mann gelesen wurde. Diese SchlĂŒssel öffneten mir die TĂŒren zu schwulen Dating-Plattformen, schwulen Clubs, schwulen Freundesgruppen. Es hat sich wie der beste Kompromiss angefĂŒhlt, den ich kriegen konnte. Ich wĂŒrde weder mich selbst noch die schwulen RĂ€ume mit ihren Gepflogenheiten zu sehr hinterfragen, dafĂŒr durfte ich mitspielen. Gleichzeitig wurde ich weniger diskriminiert als in nicht-schwulen RĂ€umen. Wer hingegen diskriminiert wurde, sind die Menschen, die selbst nicht in diese schwule Welt hineinpassten. Das waren trans Personen, die zu weit in ihrer Transition vorangeschritten waren, Drags, sehr feminine cis MĂ€nner, sehr maskuline cis Frauen (die sich den Vorwurf der TĂ€uschung gefallen lassen mussten), aber natĂŒrlich auch andere marginalisierte Gruppen, wie Bisexuelle, Migras, Behinderte, etc.

Mein unausgesprochenes Fazit war: Allen, die eine binĂ€re Geschlechterordnung durch ihre Aussagen oder bloße Existenz zu hinterfragen schienen, wurden die SchlĂŒssel fĂŒr schwule SchutzrĂ€ume abgenommen. Sie wurden aus dem Pool fĂŒr mögliche Sexual- und Liebespartner*innen hinausgetrieben, dienten als Vorlage fĂŒr abschĂ€tzige Witze, wurden verbal und körperlich angegriffen. Ein beliebtes Partyspiel jener Zeit war “Twink oder Lesbe”, wo es den Teilnehmenden zur Aufgabe gemacht wurde am schnellsten zu erkennen, ob es sich bei einer Person mit Justin-Bieber-Frisur um einen jungen Typen zum Anflirten oder um eine “scheiß Lesbe” zum drĂŒber lustig machen handelte. Das waren die Kategorien, Mitspieler (Twink) oder Hochstaplerin (Butch). Ein Ă€hnliches komödiantisches Potential hatten die “falschen Frauen”. Es galt zu erraten, ob es sich bei einer feminin anmutenden Person entweder um einen “Eindringling” (hetero cis Frau, meistens eine Fag Hag), einen “frĂŒheren Mann” (trans Frau) oder eine “falsche Frau” (Drag Queen) handelte. Auch war klar, eine Fag Hag will niemand in der Bar haben, eine Drag Queen findet niemand attraktiv und eine trans Frau bemitleiden alle. Die Regeln wurden durch soziale Ächtung durchgesetzt. Wer eine Fag Hag mitnimmt, betreut sie. Dadurch ist jemanden kennenzulernen schonmal unmöglich, du bist sozusagen fĂŒr den Abend bereits verheiratet, wenn du schon unbedingt deine beste Freundin mitbringen musst. Wer eine Drag Queen interessant findet, ist nun Teil des Witzes und lacht nicht mehr ĂŒber ihn. Wer mit einer der trans Frauen befreundet war, musste Rede und Antwort stehen, wie so etwas denn passieren kann, wer so etwas fĂŒr sich wollen könnte und welche Operationen die Freundin schon hatte machen lassen 
 was also echt und was Betrug war.

Nun hat sich seit meiner Jugend glĂŒcklicherweise viel geĂ€ndert. Trotzdem bin ich noch nicht alt genug mitzuerleben, wie diese Traumata der einzelnen Regenbogen-Communities vollstĂ€ndig verheilt wĂ€ren. Mittlerweile sind soziale Medien Teil der Hauptquellen fĂŒr Informationen zu marginalisierte Gruppen, die oft nicht die Macht haben, an den klassischen Informationsquellen mitzuschreiben. Bei diesem vergesellschaftlichen Schreibprozess werden automatisch VernetzungsrĂ€ume fĂŒr einzelne Communities geschaffen, die einen Einfluss auf ihre Rezeption haben und ihre eigenen GefĂŒhle und Erfahrungen mit Ähnlichlebenden abgleichen können. Sie haben die Möglichkeit, den Raum des Austauschs in offline RĂ€ume wie Gruppentreffen, Vereine, etc. zu verlagern. Leider ist dort eine Ungleichverteilung der Möglichkeiten ganz deutlich zu sehen. Durch gesellschaftliche Strukturen hatten es vor allem schwule weiße cis MĂ€nner mit vielen Ressourcen leichter, sich gemeinschaftlich zu organisieren. Wir sehen die Auswirkungen davon in zahlreichen schwul ausgerichteten Vereinen, CafĂ©s, Bars, sogar Cruising PlĂ€tze in Parks, in BĂ€dern und Saunen, die Liste ist lang. Diese Orte sind aus den oben genannten GrĂŒnden sehr wichtig, als Möglichkeit sich auszutesten, auszutauschen, kurz als Schutzraum. Sie bieten fĂŒr sehr viele schwule Menschen den Startpunkt zu einem freieren Leben, in dem sie sich fĂŒr eine gewisse Zeit nicht verstecken mĂŒssen und etwas ĂŒber ihre kollektive schwule Kultur und Selbstliebe lernen. Diese RĂ€ume muss es geben, soll es geben.

Wie wir aktuell in Wien jedoch sehen, gibt es diese RĂ€ume in physischer Form fast ausschließlich fĂŒr den schwulen Dunstkreis. Selbst da könnten es natĂŒrlich mehr sein, aber fĂŒr alle, die nach den noch immer in den Köpfen verankerten schwulen Spielregeln nicht in diese RĂ€ume reinpassen, mĂŒssen aktiv RĂ€ume geschaffen werden. Mir fallen spontan sechs Bars mit einem schwulen Fokus ein und eine weitere, die sich an alle queeren Menschen richtet. Mir fĂ€llt daher auch genau eine Bar ein, in die ich in meiner beratenden Funktion auf RĂŒckfrage Nicht-schwule guten Gewissens hinschicken könnte. Neben den Bars gibt es glĂŒck­licherweise auch VereinsrĂ€ume wie die tĂŒrkis (trans) rosa (schwul) lila (lesbisch) Villa und das Gugg, als HOSI Wien Zentrum, die sich ebenso an fast alle bis alle queeren Menschen richten. Es muss nichtsdestotrotz ein aktives Anliegen aller sein, diese RĂ€ume fĂŒr zum Beispiel uns nicht-binĂ€re Personen zu schaffen. Einerseits können dafĂŒr mehr RĂ€ume geschaffen werden, online wie offline, andererseits dĂŒrfen wir es nicht akzeptieren, dass die bereits bestehenden RĂ€ume oft nicht fĂŒr uns sicher sind. Im Berlin der 1920er Jahre gab es allein ĂŒber 30 (!) Lesbenbars. Das ist hundert Jahre spĂ€ter wohl mehr als in ganz Europa. Wir dĂŒrfen dabei nie vergessen, es geht nicht immer nur nach vorne, nicht alles wird automatisch besser. Das sind die Ergebnisse der Verhaltensweisen und der Arbeit der queeren Community.

Dank Bewegungen wie der Me-too-Bewegung haben wir mittlerweile erkannt, dass zum Beispiel sexuelle BelĂ€stigung zwischen MĂ€nnern in schwulen RĂ€umen ein gesellschaftliches Problem ist, das eng mit der UnterdrĂŒckung aller nicht-MĂ€nner verbunden ist. Wir erkennen langsam, dass wir eine ganze Gruppe von queeren Menschen ausschließen, wenn unsere Lokale nicht rollstuhlsicher sind, dank den BemĂŒhungen der Behindertencommunity. Es gibt viele solcher Beispiele.

Wir sind alle Menschen mit unterschiedlichen WĂŒnschen und BedĂŒrfnissen, unterschiedlichen Eigenschaften und StĂ€rken. Lernen wir diese zu bezeichnen, schaffen wir bedĂŒrfnisorientierte RĂ€ume und lernen wir uns als gleichwertige Wesen zu behandeln. Wenn wir uns in RĂ€umen begegnen, die divers sind, lernen wir sowohl ĂŒber andere als auch ĂŒber uns selbst eine Menge. Erst der Kontakt zu anderen nicht-binĂ€ren Personen hat mich in meiner IdentitĂ€t gestĂ€rkt, es war toll in einer quasi schwulen Bar auch nicht-schwule Menschen kennenzulernen, die nicht nur zur Belustigung der anderen erwĂŒnscht waren. Da kommt noch viel Arbeit auf uns zu, aber auch so ein schönes Leben. Ich mein, stellt euch doch mal vor, wie es wĂ€re, ohne Angst zu leben!

*statt man. Der Ursprung des Wortes fußt in einer Zeit, in der propagiert wurde, dass alleine MĂ€nner fĂŒr Denkaufgaben und Verantwortung angelegt wĂ€ren, deshalb entwickelte sich das wort “man” nicht zufĂ€llig zum allgemeinen Begriff

Von Mo Blau

HOSI Wien transgender Referat, frĂŒher Coming-Out-Team
(Foto: © Marie Dvorzak)