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Mutwillige Ignoranz

Das Gesundheitsministerium und Minister Johannes Rauch wieder­holen beim Affenpocken-­Management alle Fehler von Corona

Wir haben eh nur so ca. 135 Fälle. Also, hatten wir noch gegen Ende Juli/Anfang August. Inzwischen sind wir bei ca. 200 (Redaktionsschluss der Lambda, also Mitte August). Nein, nicht Corona-Infektionen, die sind nicht plötzlich auf so niedrige Zahlen zurückgegangen, sondern die neu auftretenden Affenpocken. Womit offensichtlich ist, wie schnell sie sich verbreiten. Mit möglicherweise verheerenden Folgen, wenn man sich international umsieht: Die USA hatten Mitte Juni selbst noch landesweit rund 135 Fälle, also so wie wir vor kurzem, doch keine zwei Monate und mehrere tausend Fälle später haben mehrere Bundesstaaten den Notstand wegen der Affenpocken ausrufen müssen.

Man könnte daraus ja lernen, wenn man denn wollte. Gesundheitsminister Johannes Rauch aber meinte noch Anfang August, wir hätten eh so wenig Fälle in Österreich. Und von dieser mutwilligen Ignoranz ist das gesamte Affenpocken-Management des Gesundheitsministerium geprägt. Wir haben das enorme Glück, anders als bei Corona, dass es bereits einen gut wirksamen und erprobten Impfstoff gegen die Affenpocken gibt, nämlich den klassischen Pocken-Impfstoff. Also, wir könnten dieses Glück haben. Haben wir aber nicht. Denn das Gesundheitsministerium hat sich der gemeinsamen Beschaffung dieses Impfstoffs über die EU angeschlossen, wovon Österreich nur rund 4.400 Impfdosen bekommt. Davon können aber nur Labormitarbeiter*innen geimpft werden, die selbst mit dem Virus zu tun haben, und solche Personen, die selbst einen Risikokontakt mit einem bereits infizierten Menschen hatten (da wirkt der Impfstoff nämlich immer noch). Wer sich sonst impfen lassen will, etwa zur Vorsorge? Hat in Österreich Pech gehabt.

Dabei ist es nicht die Schuld von Rauch, dass Österreich zu wenig Impfstoff über die EU bekommt. Sehr wohl ist es aber seine Verantwortung, dass Österreich keinen zusätzlichen Impfstoff kauft. Deutschland hat etwa, zusätzlich zu seinem Kontingent aus der EU, 100.000 Impfdosen bestellt – im Verhältnis zur Bevölkerungszahl müssten das bei uns also etwas mehr als 10.000 sein. Mit anderen Worten: Wer sich schützen will, wird allein gelassen. Kein Wunder, dass in den Sozialen Medien immer häufiger Menschen posten, dass sie sich ihre Affenpocken-Impfung im Ausland geholt haben. Da fragt man sich, wozu Österreich überhaupt einen Gesundheitsminister braucht, wenn seine einzige Kompetenz darin besteht, die EU-Bestellung hier verteilen zu lassen.

Er schafft es ja noch nicht einmal, für ordentliche Aufklärung zu sorgen. Es gibt keine Informationskampagne des Ministeriums, die die Risikogruppen erreichen könnte. Die Informationsmaterialien, die es gibt, sind in medizinischer Fachsprache aufbereitet und – wieso sollte man auch aus Corona gelernt haben? – natürlich nur auf Deutsch vorhanden. Da ist es nur noch das sprichwörtliche Tüpfelchen auf dem i, dass Minister Rauch selbst falsche Eindrücke erweckt. Gegenüber dem „Standard“ sagte er, ein Teil dessen, was die Regierung gegen die Stigmatisierung von Affenpocken-Risikogruppen täte, wären „vorbeugende Impfungen“. Wobei ein*e durchschnittlich*e Leser*in natürlich von einer Schutzimpfung vor einem Risikokontakt ausgeht, nicht von einer bloßen Notfallmaßnahme danach, die mit Vorbeugung circa so viel zu tun hat wie die Pille danach mit Verhütung.

Apropos Stigmatisierung: Derzeit passieren die allermeisten Übertragungen von Affenpocken bei Männern, die Sex mit Männern haben. Allerdings ist das kein Grund für Heteros oder Frauen, sich in Sicherheit zu wiegen, denn die Infektion hat nichts mit sexueller Orientierung, Geschlecht oder Sexualpraktik zu tun, sondern bloß mit der Häufigkeit von Risikokontakten. Es handelt sich dabei auch nicht um eine ausschließlich sexuell übertragbare Krankheit, schon enger Körperkontakt beim Tanzen kann für eine Ansteckung reichen. Die Vermutung liegt also nahe, dass sie über kurz oder lang auch in der Mehrheitsbevölkerung grassieren wird. Wichtig ist jedenfalls: Wenn man Symptome hat, schnell zu einer ärztlichen Untersuchung! Von der Regierung haben wir bisher nichts zu erwarten. ♕

Von Moritz Yvon

HOSI Wien Vereinssekretär, früherer Obmann HOSI-Wien
Foto: Matt Observe