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Warum Sex und Statistik zu Missverständnissen führen können

Derzeit sorgt eine spezielle Virusinfektion für Aufmerksamkeit – die sogenannten Affenpocken, kurz MPX für „Monkeypox“. Sie werden vor allem mit MSM (Männer, die Sex mit Männern haben) in Verbindung gebracht. Das aktuelle Beispiel der MPX zeigt erneut auf, wie wichtig es ist, die Hintergründe für so einen Zusammenhang zu reflektieren, um schwerwiegenden Missverständnissen zu entgegnen.

MPX (Affenpocken) im Überblick

Seit dem Frühsommer häufen sich die Fälle von MPX auch in Österreich. Das Virus und die Erkrankung sind dabei nichts Neues. 1950 wurden die Viren (MPXV), die von Nagetieren auf andere Tiere und Menschen übertragen werden können, bei Affen nachgewiesen – daher auch der Name. Und 1970 wurden MPX erstmals bei Menschen diagnostiziert.

Neu ist jedoch, dass die Fälle außerhalb einer bestimmten Region auftreten. Bislang traten MPX nur in Mittel- und Westafrika auf und Fälle in anderen Ländern waren mit Reisen in dieses Gebiet assoziiert. Jetzt sieht man Übertragungen in ganz anderen Settings.

Bei einer MPXV- Infektion kommt es oft in der ersten Woche zu Fieber, Kopfschmerzen oder z. B. geschwollenen Lymphknoten. Da dies allgemeine Symptome einer ersten Immunreaktion sind, treten sie bei vielen Infektionen auf und können oft nicht zugeordnet werden. Typischer für MPX sind die danach auftretenden Pusteln bzw. Pocken – ebenfalls namensgebend. Diese flüssigkeitsgefüllten Pusteln können aufbrechen, offene Wunden bilden und sich entzünden. Oft haben sie einen weißlichen leicht erhabenen Rand, verkrusten und heilen nach ca. 3 Wochen ab. Auch hier sind durchaus Verwechslungen möglich, z. B. mit Herpes, Windpocken oder auch einer Syphilis.

Nicht zu verwechseln sind MPX mit den humanen „echten“ Pocken, die als äußerst gefährliche Infektion aus den letzten Jahrhunderten bekannt sind. Die Viren sind zwar miteinander verwandt, haben aber andere Auswirkungen auf den Menschen. Die oft tödlich verlaufenden echten Pocken gelten dank konsequenter Impfprogramme seit Ende der 70er-Jahre als ausgerottet. Die weltweiten Impfprogramme wurden daher Anfang der 80er-Jahre eingestellt. Doch etwas Gutes ist geblieben, denn der Pockenimpfstoff hat auch bei MPX eine schützende Wirkung.

Ganz einfach ist es mit der Impfung jedoch leider nicht: So ist z. B. noch nicht klar, ob ein Schutz bei Menschen besteht, die damals geimpft wurden. Immerhin ist das mindestens 40 Jahre her. Auch nach einer neuen Impfung ist die exakte Schutzwirkung nicht bekannt. Vermutlich liegt sie bei 80–85 % und auf jeden Fall hilft sie gegen schwere Verläufe. Daher sollte sie, den Impfempfehlungen folgend, grundsätzlich zur Verfügung gestellt und auch in Anspruch genommen werden.

Die gute Nachricht ist also: MPX sind keine unbekannte Infektionserkrankung, es gibt eine Impfung, die Infektion heilt selbstständig aus und sehr schwere Verläufe sind zum Glück selten.

Die schlechte Nachricht ist: Ein Impfschutz ist nicht überall gegeben, MPX können verwechselt und damit falsch behandelt werden, die Erkrankung kann sehr belastend sein und bis zum Ausheilen ist eine Isolation notwendig. Mehr als Grund genug, sich zu überlegen, welche Situationen ein Infektionsrisiko bergen und wer besonders aufmerksam gegenüber MPX sein sollte.

MPXV und sexuelle Übertragung

Insgesamt sind MPXV eher schwer zu übertragen. Denn es braucht einen sehr engen Kontakt zwischen Menschen. Übertragungen erfolgen bei direktem Körperkontakt, insbesondere bei Kontakt zu den infektiösen Hautläsionen, oder z. B. über gemeinsam verwendete Handtücher oder etwa Bettwäsche. MPXV sind also von den Infektionsrisiken her nicht mit anderen Erregern, wie etwa den Coronaviren, vergleichbar.

Eine besonders geeignete Situation für die Übertragung ist Sex. Wie bei anderen Infektionen auch ist hier weniger relevant, ob Sperma oder Vaginalflüssigkeit infektiös sein könnte. Die Übertragung erfolgt durch den engen und intensiven Körperkontakt. Dass der aktuelle Ausbruch maßgeblich durch sexuelle Übertragungen angetrieben wird, zeigt sich z. B. daran, dass die MPX-Pusteln oft im Genitalbereich auftreten. Ein anderer Nachweis für die sexuellen Übertragungen ist, dass MPX aktuell fast ausschließlich in einigen sexuellen Netzwerken auftreten, konkret innerhalb der Gruppe der MSM.

Sexuelle Übertragung und Statistik

Dass sexuell aktive MSM mit häufig wechselnden Sexualpartner*innen ein höheres Risiko für MPX haben, liegt an zwei recht profanen Gründen. Erstens am biologischen Fakt, dass Sex ein besonders effektiver Übertragungsweg für MPXV ist. Zweitens an einer statistischen Dynamik. Wenn es in einem Netzwerk bereits Infektionen gibt, dann besteht innerhalb dieser Gruppe logischerweise auch ein Risiko für Viruskontakt. Und je mehr Fälle es gibt, desto höher ist das statistische Risiko. Dazu kommt: Auch je mehr unterschiedliche Kontakte es innerhalb des Netzwerkes gibt, desto wahrscheinlicher ist ein Kontakt.

Zwei schwierige Missverständnisse

Die genannten Gründe beziehen sich ausschließlich auf Biologie und Statistik. Die Menschen als Einzelpersonen spielen hier keine Rolle. Es geht weder um individuelle sexuelle Praktiken und Vorlieben noch um eine sexuelle Orientierung oder geschlechtliche Identität. Und hier liegt das oft nervenaufreibende Missverständnis. Wird die Situation nicht logisch durchdacht, entsteht teils die Fehleinschätzung, dass Infektionen mit gleichgeschlechtlichem Sex zusammenhängen. Und das hat (mindestens) zwei schwerwiegende Konsequenzen. Zum einen werden MSM per se ausgegrenzt und diskriminiert, da sie angebliche Infektionsrisiken darstellen. Zum anderen verorten viele Menschen für sich selbst kein Risiko, da sie sich nicht zu den MSM zählen. Darin unterscheidet sich der aktuelle MPX-Ausbruch kaum von einigen anderen sexuell übertragbaren Infektionen.

Sexuell übertragbare Infektionen sollten alle interessieren

Sexuell übertragbare Infektionen sollten für alle sexuell aktiven Menschen ein Thema sein. Wichtig ist, sich anhand der biologischen Fakten (Art der Übertragung) und statistischen Fakten (bestehende Prävalenz, Anzahl der Kontakte) zu überlegen, ob Infektionsrisiken bestehen und worauf zu achten sein könnte. Das gilt für MPX genauso wie für HIV, Herpes, Syphilis, Tripper und einiges mehr.

Ein Beispiel, wie es gehen kann, ist die Schwelle Wien. Als sexpositiver Raum bietet die Schwelle die Möglichkeit, sich auf unterschiedlichsten Ebenen mit dem Thema Sexualität auseinanderzusetzen. Sie geht aber noch einen Schritt weiter und übernimmt Verantwortung in der Information ihrer Netzwerke über sexuell übertragbare Infektionen. Und so inkludiert sie auch dieses Jahr wieder im Rahmen ihres Festivals (www.schwelle-festival.com) einen Workshop zu Themen wie HIV, STIs, U=U, PrEP und Co. Alles Themen, die oftmals fälschlicherweise ausschließlich mit gleichgeschlechtlichem Sex unter Männern assoziiert werden.

Fazit

MPX zeigen wieder auf, wie schnell die Kombination aus Infektionen, Sex und Statistik zu Fehleinschätzungen führen kann. Dabei sind die realen Hintergründe für die Infektionsrisiken deutlich zu sehen. Und es ist auch deutlich zu sehen, was essenziell ist: nämlich die Menschen, die einem höheren Risiko ausgesetzt sind, adäquat zu informieren und ihnen alle verfügbaren Optionen anzubieten. ♕

Von Birgit Leichsenring

Mikrobiologin und biomed. Wissenschaftskommunikatorin (www.med-info.at)