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Community & Politik

Belgrad EuroPride 2022

Interview mit Nikola Brklač vom Belgrade Pride Info Center

Am 17. September findet in Belgrad mit der EuroPride 2022 das erste LGBTIQ*-Großevent in einem südosteuropäischen Land statt (www.prajd.rs, Insta @BelgradePride). Wer die frisch gedruckte Lambda in den Händen hält, hat also gerade noch die Möglichkeit Reisepläne zu schmieden und solidarische Kontakte mit der serbischen LGBTIQ*-Community zu knüpfen. Vor Ort hat sich Paul Haller für die Lambda umgehört und ein Gespräch mit dem LGBTIQ*-Aktivisten und Koordinator des Belgrade Pride Info Center Nikola Brklač geführt.

Wo steht Serbien bei LGBTIQ*-Rechten? Erst 1995 wurden in Serbien gleichgeschlechtliche sexuelle Handlungen entkriminalisiert. Danach gab es mehrere Rückschläge für die queere Community: 2006 wurden beispielsweise gleichgeschlechtliche Ehen per Verfassung verboten und bei der Belgrad Pride 2010 kam es zu gewaltvollen Ausschreitungen und mehreren Verletzten. Erst letztes Jahr sagte Präsident Aleksandar Vučić, er würde gegen ein Gesetz zur Ehe-Öffnung ein Veto einlegen. Seine nationalistische Serbische Fortschrittspartei hat bei den Wahlen im April 2022 starke Verluste eingefahren, stellt mit rund 44 Prozent allerdings immer noch die stimmenstärkste Fraktion im Parlament. Die OSZE konstatierte Wahlmanipulation und Behinderung der Opposition im Vorfeld der Wahlen und auch Vorwürfe betreffend Manipulation von Medien gibt es zuhauf. All das hat auch Auswirkungen auf die LGBTIQ*-Community und die Arbeit von LGBTIQ*-Organisationen.

Betreffend LGBTIQ*-Rechte gab es in den letzten Jahren aber auch durchaus positive Nachrichten. ILGA Europe, der Dachverband von über 600 LGBTIQ*-Organisationen in Europa und Zentralasien, veröffentlicht jährlich die so genannte Rainbow Europe Map. Darin werden rechtliche Entwicklungen in 49 Staaten festgehalten. Serbien wird neben Griechenland, Lettland, Litauen, der Slowakei und Slowenien als eines jener Länder genannt, die 2021 legislative Fortschritte bei LGBTIQ*-Rechten machten. So sind seit letztem Jahr keine geschlechtsangleichenden Operationen mehr notwendig, um den Geschlechtseintrag ändern zu lassen, Hate Crimes werden gesetzlich als solche anerkannt und auch das serbische Anti-Diskriminierungsgesetz aus dem Jahr 2009 wurde 2021 erneut novelliert. Es soll Menschen vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung, der Geschlechtsidentität und nun auch aufgrund der Geschlechtsmerkmale schützen, unter anderem in den Bereichen Arbeit, Bildung, Gesundheit sowie beim Zugang zu Gütern und Dienstleistungen. Auf dem Papier ist es damit fortschrittlicher als das österreichische Anti-Diskriminierungsgesetz, wo der Diskriminierungsschutz aufgrund der sexuellen Orientierung außerhalb der Arbeitswelt noch fehlt. Der Europäische Dachverband von Inter*-Organisationen, OII Europe, führt das serbische Gesetz in der jährlichen „Good Practice Map“ gar als Positivbeispiel an, weil es mit dem Diskriminierungsgrund „Geschlechtsmerkmale“ intergeschlechtliche Menschen explizit inkludiert.

Im Herzen der Hauptstadt sorgt das Belgrade Pride Info Center seit einigen Jahren für mehr Sichtbarkeit der queeren Community. Dort arbeitet der 23-jährige Nikola Brklač gemeinsam mit der feministischen Politikwissenschaftlerin Dušanka Tomašević als Koordinator und betreibt unermüdlich Aufklärungsarbeit. Im Interview für die Lambda spricht er über die Situation der LGBTIQ*-Community in Serbien, die kommende EuroPride 2022 und darüber, warum Gesetze alleine nicht ausreichend schützen.

[Foto: zur Verfügung gestellt von Nikola Brkljač]
[Foto: zur Verfügung gestellt von Nikola Brkljač]

Nikola, du bist einer der beiden Koordinator*innen des Pride Info Center. Kannst du mir ein wenig über diesen Ort und deine Arbeit erzählen?

Nikola Brkljač: Das Pride Info Center wird als Projekt von den Civil Rights Defenders finanziert. Diese Organisation unterstützt die Arbeit zu diversen Bürgerrechtsfragen in mehreren Ländern. In Serbien konzentrieren sie sich hauptsächlich auf LGBTIQ*-Themen. Das Pride Info Center wurde erstmals 2017 eröffnet, allerdings an einem anderen Ort und damals nur während der sieben Tage der Pride Week. In dieser Woche besuchten rund 5.000 Menschen unser Community Center, weshalb die Organisation beschloss, es im darauffolgenden Jahr dauerhaft geöffnet zu lassen – und das ist es seitdem. Wir versuchen, es zu einem Gemeinschaftszentrum und einem sicheren Ort für LGBTIQ*-Menschen in Serbien zu machen, und wir veranstalten mindestens einmal im Monat Aktivitäten – von Workshops über Filmvorführungen bis hin zu Podiumsdiskussionen.

Das Pride Info Center ist für Passant*innen gut sichtbar und befindet sich in der Kralja Milana, einer der belebtesten Straßen Belgrads. Wie reagieren die Menschen darauf?

Einige der Reaktionen sind sehr positiv. Oft kommen Leute aus Belgrad oder anderen Teilen Serbiens in unser Zentrum und sind sehr überrascht – aber auf eine positive Art und Weise –, dass es so etwas in Serbien gibt. Ich bin wirklich froh, das zu sehen. Und das Pride Info Center befindet sich ja tatsächlich in einer der belebtesten und prominentesten Straßen Belgrads. Darüber sind viele Leute sehr begeistert – und auch unser Merch kommt gut an: Du kannst bei uns Tassen mit Pride-Logos, Flaggen und Aufkleber kaufen.

Wir haben aber auch sehr negative Reaktionen. Zum Beispiel wurde das Pride Info Center schon 14 Mal zur Zielscheibe von Vandalismus. Zum Glück geschieht das meistens nachts, wenn niemand hier ist, und es sind meistens Graffiti oder Aufkleber mit faschistischen Motiven. Im Februar dieses Jahres gab es einen Vorfall, als eine Person in das Pride Info Center kam und eine Tasse kaufen wollte. Wir kamen also ins Gespräch und erklärten ihm, worum es bei unserer Arbeit geht. Plötzlich fing er an mit Bechern um sich zu werfen und verletzte fast unsere Security-Person. Es gelang uns die Polizei zu rufen. Die Polizei erwischte ihn und erstattete Anzeige, aber er wurde schließlich freigelassen, ohne dass es eine Entschädigung für die von ihm zerstörten Sachen gab. Das war das erste Mal, dass überhaupt eine Art von Strafverfolgung stattfand, aber eben nicht bis ganz zum Schluss. Und das, obwohl wir Kameras und sogar Aufzeichnungen von dem Vandalismus haben. Das System unterstützt uns nicht in dem Maße, dass diese Art von Angriffen richtig verfolgt wird.

Würdest du Belgrad als einen sicheren Ort für LGBTIQ*-Menschen betrachten?

Ich würde immer noch nicht sagen, dass es sicher genug ist, um sich in der Öffentlichkeit zu küssen oder Händchen zu halten, was für mich eine ziemlich niederschmetternde Aussage ist. Ich würde jedoch sagen, dass sich die allgemeine Akzeptanz zumindest verbessert, aber immer noch nicht soweit, dass wir uns vollständig unterstützt fühlen. Ich denke, wir sind an einem Punkt angelangt, an dem es heißt: „Wir tolerieren euch.“ Damit sind wir zwar immer noch nicht an unserem Ziel angelangt, aber es ist auf jeden Fall besser, als wenn der Großteil der Öffentlichkeit aktiv gegen uns ist.

Die Dinge haben sich definitiv zum Positiven verändert, vor allem, wenn ich an die erste Pride in Belgrad im Jahr 2001 zurückdenke – sie ist als „blutige Pride“ (im Original: „bloody Pride“) in die Geschichte eingegangen. Damals gab es Hunderte von Teilnehmenden an der Pride-Parade, aber auch Tausende von gewalttätigen rechten Hooligans, die Teilnehmer*innen körperlich attackierten. Seit 2014 ist die Belgrade Pride ein sicherer Ort ohne größere Zwischenfälle. Das gibt mir das Gefühl, dass die gesellschaftliche Akzeptanz voranschreitet, aber nicht in dem Ausmaß, wie ich es mir als Aktivist und als in Serbien lebender schwuler Mann wünschen würde.

In Berichten über die rechtliche Situation werden Serbien große Fortschritte beim gesetzlichen Schutz der LGBTIQ*-Community attestiert. Das Gesetz über das Verbot von Diskriminierung gilt international als „Good Practice“-Beispiel für Antidiskriminierungsgesetzgebung. Wie nimmst du diese Entwicklungen wahr?

Ich habe alle Berichte gelesen, und auf dem Papier sieht das Gesetz natürlich toll aus. Aber es gibt auch große Probleme mit Behörden, die das Gesetz nicht auf Fälle anwenden, die eigentlich darunterfallen sollten. Nicht nur, wenn es um Diskriminierung geht, sondern auch bei Hasskriminalität. Das zeigt sich zum Beispiel in den Berichten über Hassverbrechen, die von der LGBTIQ*-Organisation Da se zna! veröffentlicht werden. Es werden viele Hassverbrechen gemeldet, aber sie werden nicht richtig verfolgt.

Wir haben also durchaus [gute] Gesetze. Was fehlt, ist die Umsetzung dieser Gesetze. Ein weiteres großes Problem ist die Situation von trans Personen, wenn es darum geht, medizinische Leistungen zu erhalten. So gibt es in Serbien derzeit nur eine einzige Ärztin, die eine Diagnose stellen kann, die erforderlich ist, um Hormone oder eine geschlechtsangleichende Operation bewilligt zu bekommen – wenn eine Person das möchte – oder um den Geschlechtseintrag ändern zu lassen. Für ein Land mit acht Millionen Einwohner*innen ist das wahnwitzig. Wenn es um die besonderen Bedürfnisse von trans Menschen geht, ist die Gesundheitsversorgung insgesamt sehr langsam und sehr ineffizient.

Es gibt zwar Fortschritte in der Gesetzgebung – zumindest auf dem Papier –, aber es gibt auch ein verfassungsrechtliches Verbot von gleichgeschlechtlichen Ehen. Ist das nicht widersprüchlich?

Das ist es. Und unsere Regierung ist widersprüchlich. Aber ja, unsere Verfassung definiert die Ehe als eine Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau. Derzeit wird intensiv an einem Gesetz gearbeitet, das gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften einführen soll. Der endgültige Entwurf wurde bereits vor den letzten Wahlen öffentlich diskutiert. Nach der Bildung der neuen Regierung, was im September passieren soll, soll über das Gesetz abgestimmt werden. Aber wir wissen immer noch nicht, ob es durchgeht. Viele Politiker*innen haben sich während des Wahlkampfs nicht als Unterstützer*innen gezeigt. Wir hoffen jedoch, dass der politische Prozess nach September fortgesetzt und das Gesetz verabschiedet wird.

[Grafik: Uroš Tanacković]
[Grafik: Uroš Tanacković]

Im September wird auch die erste EuroPride in Belgrad stattfinden.

Ja, und ich möchte die Menschen bitten, zur EuroPride zu kommen und Belgrade Pride auf jede erdenkliche Weise zu unterstützen. Es wird die erste EuroPride sein, die östlich von Wien stattfindet. (Lacht.) Und wir möchten, dass das übergreifende Thema dieser Pride die Solidarität mit LGBTIQ*-Menschen in den Balkanländern ist, die vielleicht noch nie eine derartige Veranstaltung in ihrer Stadt erlebt haben. Also, kommt im September zu uns und seid Teil der ersten EuroPride in Südosteuropa! ♕

Das Gespräch führte (und übersetzte) Paul Haller. Weitere Interviews mit ser­bischen LGBTIQ*-Aktivist*innen finden sich im Vorfeld der EuroPride 2022 auf OurBodies.at, dem 1. feministischen Gesundheitsmagazin im deutschsprachigen Raum. Darunter auch Interviews mit den trans und inter* Organisationen XY Spectrum und Collective Talas (Wave) TIGV.

Von Gastautor*in

Unter diesem Tag versammeln sich verschiedene Gastautor*innen der LAMBDA.