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Satire

Fummel & Taliban

Tja, wir haben das Gefummle halt in den Genen: Als in Amerika und Frankreich gegen die da oben revoltiert wurde, waren wir da unten in den versteckten Bars und Tavernen leider nicht mitgemeint. (Blieb auch so, bis wir 1969 in der Christopher Street Rabatz machten.) Sexuelle Minderheiten wurden damals Subkultur, denn die Homosexualität war illegal und produzierte Männer mit Kleidern, Unterröcken, Masken und sogar Make-up bei den nächtlichen Begegnungen.

Irgendwie war das noch ganz ok: Wir identifizierten uns und einander nur durch eine bestimmte Kleiderordnung, als Grenzüberschreitung, als eine Art stiller Kampf gegen die Repressionen.

Aber heute? Heute treibt es uns im Internet und auf der Pride gerade NICHT herum, weil wir Grenzen überschreiten wollen, sondern weil wir sie immer noch enger ziehen wollen: Fummel, Boa, Lack und Leder – und erst die unsäglichen Leiberln! Diese LEIBERLN! Mit Aufdruck, einer peinlicher als der andere. Jedes verschwitzte Feinripperl überm Wamperl ein STATEMENT, eins überflüssiger als das andere, mit dem wir uns definieren, also abgrenzen. Ein einziger Jammer.

Kleider machen Leute, sagen Leute, die Kleider machen.

Wenn die Kleidung so genau bestimmen soll, wer wir sind, dann sind wir mitten im Mittelalter: Niemand konnte damals einfach tragen, was man wollte. Kleidung zementierte die soziale Ordnung – und das brutal: Frauen dürfen weder Arme noch Beine nackt zeigen und ob der Mantelpelz vom Maulwurf, Biber, Wiesel, Fuchs oder Hermelin stammt, ist auf die Borste genau vorgeschrieben; Londons Huren müssen eine gelbe Haube tragen, Leprakranke Umhänge und Glöckchen.

Moment – da war doch noch was: Gelber Judenstern, Rosa Winkel und Schwarzer Winkel im KZ: Prima. Dorthin wollen wir also zurück; was scheren uns Aufklärung, Emanzipation und Menschenrechte.

Damals waren´s Kirche und Adel, die einschränkten, was die Leute anziehen dürfen. Heute machen wir uns das selbst, und das freiwillig. Sowas nennt man Fortschritt.

Was uns halt so beim Fortschreiten umtreibt: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Und vor allem: Was ziehe ich dazu an?

„Stilvolle Sichtbarkeit!“ ziehen wir dazu an, was sonst? Und woher kriegen wir stilvolle Sichtbarkeit? Von einem der großen Fetzenhändler im Internet natürlich, der seine Leiberln („Organic Shirt ´liebs´“) um 34,90 Schnäppchen-Euro anbietet. „Finde dein Lieblings-Statement“, werden wir dort aufgefordert, denn Queer kauft ja nicht mehr Kleidung, sondern Statements.

Und wer´s nicht so hat mit der stilvollen Sicherheit und noch mehr Verarsche braucht, der wird motiviert durch „Deine Bestellung spendet! 1 EURO pro Kauf an die Aktion 100% Mensch“. Klar doch! Machen wir! Gutherz geht immer. Also schauen wir gleich auf die Website von 100% Mensch, was die so machen – doch die ist „leider dzt. gestört“, aber immerhin ihr „Spendenportal“ ist sperrangelweit offen.

„Du willst ein Zeichen setzen für mehr Toleranz? Dann bist du hier genau richtig. Du wirst Teil einer großartigen Vision!“ („Vision“ steht auch für „Halluzination, Einbildung, Sinnestäuschung“, aber das nur nebenbei.) „Lasst uns JETZT gemeinsam Gutes tun!“

Lambda fängt hier damit an, Gutes zu tun und nimmt dabei Maß an unseren Geschlechtsteilen und an den Taliban:

Die Talibanmode versucht ja, Geschlechtsteile wie Brüste, Hoden und Geweih zu verbergen.

Unsere Mode versucht das Gegenteil. Was haltet ihr davon: Wir sollten unsere Fuzos und Freibäder den Taliban überlassen. ♕

Von Andrea Francesconi

Lambda Autor, Satire