Von den Utopien, mit denen wir in die heurige Pride-Saison starten, und wieso diese vielleicht schon bald realer sein könnten, als wir uns das jetzt noch vorstellen können
Utopien, um die es in dieser Ausgabe der Lambda geht, sind ein zweischneidiges Schwert. Sie können in Katastrophen mit Millionen von Toten enden, wie etwa die Vision einer klassenlosen Gesellschaft im ehemaligen kommunistischen Block. Sie können aber auch Menschen zum Träumen bringen und ihnen die Kraft geben, ihr Leben und die Welt um uns herum zu verbessern. Die LGBTIQ-Bewegung ist von einer solchen Utopie getragen.
Diese Utopie ist in Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte bereits zusammengefasst: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ Das haben die frühen LGBTIQ-Aktivist*innen wörtlich genommen. Gerade weil wir uns in unserem Mensch-Sein nicht von der Mehrheitsgesellschaft unterscheiden, stehen uns die gleichen Rechte wie allen anderen zu.
Und weil wir gleich sind, hat es unsere politische Bewegung auch nicht bei der Entkriminalisierung bewenden lassen. Wir wollten immer schon mehr: „gleich an Würde und Rechten“ sein. Deswegen haben wir die Öffnung der Ehe gefordert. Deswegen haben wir das Recht auf Familienplanung gefordert. Deswegen fordern wir heute den gleichen Schutz vor Diskriminierung auch aus Gründen der sexuellen Orientierung – wie es ihn ja schon aus Gründen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts oder der Behinderung bereits gibt. Dabei wollen wir Gleichbehandlung, keine Extrawürste. Der Schutz vor Diskriminierung ist ja nur nötig, um nicht aktiv schlechter behandelt zu werden als alle anderen.
Letztlich läuft es immer darauf hinaus: Es sollte egal sein, wen man liebt oder welche Geschlechtsidentität ein Mensch hat. Das ist die Utopie der LGBTIQ-Bewegung, das ist die Utopie von Pride und die Utopie der HOSI Wien: Eine Welt, in der es ebenso selbstverständlich ist, lesbisch, schwul, bisexuell, transgender, intergeschlechtlich oder queer zu sein, wie es selbstverständlich ist, Linkshänder*in zu sein. In der kein LGBTIQ-Jugendliche*r Angst haben muss, deswegen gemobbt oder gar von der Familie verstoßen zu werden. Eine Welt, in der Büroangestellte genauso selbstverständlich ein Foto vom*von der Partner*in am Arbeitsplatz haben können wie Heteros und eine Welt, in der nach dem Coming-out von einem transgender Menschen der für das Umfeld neue Vorname genauso schnell und selbstverständlich übernommen wird wie der neue Nachname so vieler Frauen (und seltener Männer) nach einer Hochzeit. Eine Welt, in der die körperliche Unversehrtheit intergeschlechtlicher Kinder unter dem Schutz des Gesetzes steht, in der Genitalverstümmelung an ihnen also genauso geahndet wird wie jene an Mädchen.
Ist das alles utopisch? Im Gegenteil. Es wäre naiv zu glauben, dass die Gesellschaft sich nicht verändern könnte. Oder nicht vielmehr von uns selbst laufend verändert würde. Wie ja schon in den vergangenen etwas mehr als 50 Jahren seit den Stonewall Riots, die der Beginn der modernen LGBTIQ-Bewegung waren. Damals, also 1969, wurde Homosexualität in Österreich, wie in den meisten anderen Ländern, strafrechtlich verfolgt. Das bedeutete zerstörte Existenzen für jene, die erwischt wurden – aber auch ein Leben in Angst, Scham, Selbstverleugnung und Erpressbarkeit für die anderen. Diejenigen, die den Mut hatten, die Gleichheit an Würde und Rechten laut einzufordern, waren bei weitem die Minderheit. Und obwohl sie nicht einmal in unserer eigenen Community die Mehrheit waren, haben wir in nicht einmal einem Menschenalter Dinge erreicht, die damals unvorstellbar waren, von der völligen Abschaffung aller strafrechtlichen Verbote bis hin zur Öffnung der Ehe und dem Adoptionsrecht.
Utopien können schnell auch zur neuen Realität werden, wenn man sich entschieden und konsequent dafür einsetzt. Packen wir’s an!
Happy Pride!