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Ein Blick zurück macht Mut für bevorstehende Kämpfe

Geht es den älteren unter den Leser:innen auch so, dass Ihr Euch manchmal denkt: Da schau her, da gibt es junge Aktivist:innen, die noch nicht einmal geboren waren, als ich jung war und mich erstmals in die Szene begab – und schließlich Teil der (damals) lesbischen/lesbisch-feministischen und/oder schwulen Bewegung wurde? Also vor 30, 40 oder sogar 50 Jahren?

Mir geht das mittlerweile sehr oft so, manchmal amüsiert es mich (dass ich schon „so alt“ bin), manchmal denk ich mir: schaut doch bitte ein bissl in die Vergangenheit, wenn Ihr heute Forderungen stellt – und nehmt die Erfahrungen von „damals“ mit in die Jetztzeit und in die Zukunft. Denn diese werdet zweifellos Ihr – und nicht mehr meine Generation – gestalten.

Ich will jetzt sicherlich nicht wie die Oma klingen, die meint „damals war alles besser“ – keine Angst! Aber manchmal denk ich mir, und sag es auch: Teils ähnliche, teils andere Kämpfe haben wir damals auch ausgefochten, wir hier in Österreich/Europa, aber auch in anderen Teilen der Welt. Und es wurden Dinge erreicht – hier und in anderen Teilen der Welt – die heute entweder als selbstverständlich gelten oder wieder in Gefahr sind.

Wie etwa das Abtreibungsrecht in den USA, das wahrscheinlich Ende Juni vom Obersten Gerichtshof aufgehoben werden wird. Die berühmte Entscheidung im Verfahren Roe gegen Wade traf der US Supreme Court im Jänner 1973. Als ich dann, gerade 16-jährig, das Schuljahr 1973/74 in der sehr ländlichen Kleinstadt Boone, Iowa, im Mittelwesten der USA verbrachte, lernten wir in der Schule darüber. An meinem Gymnasium im 2. Wiener Gemeindebezirk hörte ich ein Jahr später, in meinem Maturajahr 1974/75, nichts darüber, dass dieses Selbstbestimmungsrecht für Frauen damals auch schon in Österreich beschlossen worden war: Immer mehr Feministinnen hatten es aufs Tapet gebracht, und am 1. Jänner 1975 trat die Fristenlösung, mit Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs innerhalb der ersten drei Monate, in Kraft. Die Rede von Anneliese Albrecht (SPÖ) im Jänner 1974 vor Beschluss im Nationalrat gegen die Stimmen von ÖVP und FPÖ kann online abgerufen werden: https://www.mediathek.at/atom/157C5275-352-00031-00001118-157BA436

Es haben damals und heute immer viele lesbische und auch bisexuelle Frauen für dieses wichtige Selbstbestimmungsrecht mitgekämpft. Schließlich geht es, so wie auch zum Thema sexuelle Orientierung oder Geschlechtsidentität, um unser Leben und unsere Körper – und das Auflehnen gegen patriarchale Geschlechternormen und Familienkonzepte.

Was auch immer wieder aufkommt ist die Forderung, eine neue Weltfrauenkonferenz ins Leben zu rufen. Nach Konferenzen in Mexiko-Stadt 1975, Kopenhagen 1980 und Nairobi 1985, fand die letzte im September 1995 in Beijing, Volksrepublik China statt, mit einem heute immer noch nicht überall erfüllten Aktionsprogramm (https://www.un.org/depts/german/conf/beijing/anh_2.html#top)

Mittlerweile ist auch das schon mehr als 25 Jahre her. Ich war selbst nicht dabei, organisierte jedoch von Wien aus einige Medienberichte über die österreichische NGO-Delegation, von denen einige gemeinsam mit anderen Feministinnen mit der Transsibirischen Eisenbahn bis Beijing fuhren – organisiert von WILPF, der Internationalen Frauenliga für Frieden und Freiheit. Deren österreichische Sektion wurde übrigens 2021 neu gegründet.

Erst zwei Jahre zuvor – bei der UNO-Menschenrechtskonferenz in Wien in der UNO-City im Juni 1993 waren erstmals(!) auf UNO-Ebene Frauenrechte als Menschenrechte festgeschrieben worden. Damals gab es ein informelles Treffen von lesbischen Frauen im Rahmen des NGO-Forums sowie einen Informationstisch, und beim Tribunal gegen Gewalt gegen Frauen sprach die damalige Generalsekretärin der ILGA (International Gay and Lesbian Association) Rebeca Sevilla gegen das „Leben in einer sexuellen Diktatur“, da es nur ein Modell für Frauen gäbe, nämlich Ehe und Mutterschaft. Und sie forderte das Recht für Lesben, „in Würde leben zu können, frei in unseren Familien, mit unseren Söhnen und Töchtern, und uns als Lesben organisieren zu können“.

Aber lesbische Sichtbarkeit im Plenum einer dieser großen UNO-Konferenzen, vor den Vertreterinnen und Vertretern der Regierungen, wo die wichtigen Entscheidungen getroffen werden? 1995, in Beijing, sollte das endlich gelingen: Im im Lockdown 2020 von der südafrikanischen Filmemacherin und Aktivistin Beverly Ditsie produzierten Film „Lesbians Free Everyone“ erzählen Aktivistinnen aus allen Teilen der Welt über die Begegnungen im Lesben-Zelt des NGO-Forums, die für viele wie ein „Heimkommen“ waren. Außerdem weckte der Name des Zeltes die Neugier von zahlreichen Besucherinnen des Forums: Sie wollten mehr herausfinden darüber, was denn „Lesbisch-Sein“ überhaupt bedeutet. Und es gelang den Aktivistinnen, über Lobbying beim Sekretariat der Regierungskonferenz einen Rede-„Slot“ von 5 Minuten im Plenum zu ergattern!

Am 13. September 1995 war es dann so weit: Zum ersten Mal in der Geschichte der Vereinten Nationen und der großen UNO-Konferenzen würden Lesben im Zentrum des Geschehens SICHTBAR sein. Kurze Zeit prangte ein Transparent mit den Worten „Lesbian Rights are Women’s Rights“ von der Besucher:innen-Tribüne, und dann ging Beverley Ditsie zum Redepult. Im Namen zahlreicher weltweiter LGBTI-Organisationen drängte die Aktivistin die anwesenden Regierungen „dass diese Konferenz eine für ALLE Frauen werden muss, egal welcher sexuellen Orientierung. Denn Lesbenrechte sind Frauenrechte und Frauenrechte sind universelle, unveräußerliche und unteilbare Menschenrechte!“ Und sie appellierte eindringlich an die Anwesenden: „Entfernen Sie die eckigen Klammern rund um den Begriff der ‚sexuellen Orientierung‘ aus dem Text des Aktionsprogramms!“ Es sei so ein emotionaler Moment gewesen, erzählt die mexikanische Wissenschafterin Gloria Careaga im Film. Die thailändische Aktivistin Anjana Tang Suvarnanda meint dazu: „Wir sind jahrhundertelang auf die Seite geschoben worden, zum Schweigen angehalten und zum Schweigen gebracht worden. Aber da endlich: Es gibt uns, klar und stolz und mit deutlichen Worten!“ Und Rebeca Sevilla fügt hinzu: „Es war ein Lehrstück für die Welt: Wir sind überall!“ Der Mär, Lesbisch-Sein würde aus dem Westen importiert, wurde in Beijing vor den versammelten Regierungen ein Ende gesetzt. Die Grünen Andersrum planen, den Film im Herbst in Wien zu zeigen. Zur Einstimmung finden sich auf Youtube Teaser und eine Podiumsdiskussion – schaut es euch an!

Premiere von „Lesbians free everyone“ (Foto: Ditsie Media)

Auch wenn damals, 1995, jene Stelle „… because of such factors as their race, language, ethnicity, culture, religion, [sexual orientation,] disability, socio economic class …” nicht einfach die eckigen Klammern verlor, sondern stattdessen „[sexual orientation,]“ gestrichen wurde, gelangten doch zahlreiche andere gute Formulierungen, z.B. über sexuelle Rechte, in das Aktionsprogramm. So heißt es in Kapitel IV „Strategische Ziele und Maßnahmen“, Punkt 96: Die Menschenrechte der Frau umfassen auch ihr Recht, frei von Zwang, Diskriminierung und Gewalt über Angelegenheiten im Zusammenhang mit ihrer Sexualität, einschließlich der sexuellen und reproduktiven Gesundheit, bestimmen und frei und eigenverantwortlich entscheiden zu können.

Hand aufs Herz: An der Wichtigkeit dieses Textes hat sich bis heute nichts geändert – und noch mehr: Er würde es heute nicht mehr in ein Dokument der Vereinten Nationen schaffen. Allzu viele Anti-Gender-Ideolog:innen in Regierungen, Parteien, Religionen, Medien und insgesamt in der Gesellschaft wollen uns Frauen, in allen Teilen der Welt, wieder zu „Kinder, Küche, Kirche“ drängen und die LGBTIQ-Community zurück aus der Öffentlichkeit in die eigenen vier Wände verbannen, uns wieder unsichtbar machen. Deshalb halte ich das Ansinnen auf eine neue UNO-Frauenrechtskonferenz für kontraproduktiv. Wichtiger ist es, das damals – vor mittlerweile 27 Jahren – Vereinbarte umzusetzen – und uns NICHT zurückdrängen zu lassen „into the closet“.

Von Ulrike Lunacek

Mag.ª Ulrike Lunacek ist langjährige Bundes- und Europapolitikerin der Grünen und seit ihrem Rückzug aus der Politik im Mai 2020 als Autorin, Referentin und Moderatorin tätig und in einigen Organisationen der Zivilgesellschaft aktiv.