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Editorial

Wir haben’s euch doch gesagt

Putins Überfall auf die Ukraine folgt völlig logisch seinem Kampf gegen Freiheit und Demokratie in Russland

Ich wollte es mir ja eigentlich verkneifen, aber es ist eine der wenigen Genugtuungen, wenn unsere Anliegen über Jahre hinweg von Politker*innen aller Parteien ignoriert werden, deshalb muss es jetzt raus: Wir haben’s euch doch gesagt. Die LGBTIQ-Bewegung hat schon früh gewusst, dass der russische Diktator Wladimir Putin ein brutales Regime errichtet und immer neue Feindbilder brauchen wird. Als Russland nämlich 2013, also schon vor neun Jahren, ein Gesetz erlassen hat, das „Werbung für nicht traditionelle sexuelle Beziehungen“ – also: freie Meinungsäußerung und Aufklärungsarbeit für LGBTIQ-Menschen – in der gesamten Russischen Föderation verboten hat, haben wir in halb Europa dagegen demonstriert.

Als Putin 2014 dann nach Österreich gekommen ist, hat sich das offizielle Österreich bei ihm angebiedert, während unsere Community weiter demonstriert hat. Im Demo-Aufruf der HOSI Wien hieß es damals: „Putin ist kein lupenreiner Demokrat, sondern ein lupenreiner Diktator und Kriegstreiber, der in Russland eine unerträgliche Menschenrechtspolitik verfolgt, die Presse-, Meinungs- und Versammlungsfreiheit und insbesondere die Rechte von Lesben, Schwulen und Transgenderpersonen mit Füßen tritt.“

Das alles war kein Geheimwissen und die HOSI Wien bei weitem nicht die einzige Organisation, die gegen die Situation in Russland demonstriert hat. Wir taten das als eine von 17 Organisationen des Netzwerks „To Russia With Love“, das damals von Gerd Picher und der Aids Hilfe Wien koordiniert wurde. Für uns war klar: Die LGBTIQ-Community in Russland wird von Putins Regime zum Sündenbock gemacht, um von seiner katastrophalen Politik für die Mehrheit der Russ*innen ablenken zu können. Während er systematisch alle Reste von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaat in Russland zerstörte, plünderten Oligarchen (hier kein Gendern nötig) mit guten Verbindungen zum Kreml das Land in einem so gewaltigen Ausmaß, dass die Wirtschaft selbst in Jahren hoher Öl- und Gaspreise nie modernisiert werden konnte. „Wer aber Sündenbockpolitik macht und Hass sät, belässt es nicht bei Worten. Letztlich gibt es nur Respekt vor den Mitmenschen oder Hass und Gewalt“, kommentierte es unsere Obfrau Ann-Sophie Otte gegenüber den Medien.

Diesen Hass und diese Gewalt erfahren nun die Ukrainer*innen. Mehrere Millionen mussten flüchten, über eine Million Ukrainer*innen wurde von der russischen Armee in Lager verschleppt, zigtausende Frauen vergewaltigt und die Großstadt Mariupol derart zusammengeschossen, dass man es bei einem Schwarz-Weiß-Foto für Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs halten könnte. Und was sagt Patriarch Kyrill I., das Oberhaupt der russisch-orthodoxen Kirche? Der Krieg würde die Menschen in der Ukraine vor Pride-Paraden „schützen“, diese wären ein „Verstoß gegen die Gesetze Gottes“.

Diese Äußerungen sind ebenso widerwärtig wie wenig überraschend. Schon in der Vergangenheit haben Vertreter der russisch-orthodoxen Kirche ein Verbot von Regenbogenparaden gefordert, also letztlich ein Ende der Versammlungsfreiheit für LGBTIQ-Menschen. 2012 hat die HOSI Wien deshalb gefordert, ihr die staatliche Anerkennung zu entziehen – denn während es ihr frei­steht, Homosexualität als Sünde zu betrachten, so gibt es doch keinen Grund für die staatlichen Privilegien, die mit der staatlichen Anerkennung einhergehen, wenn die russisch-orthodoxe Kirche LGBTIQ-Personen nicht einmal die allgemein anerkannten Menschenrechte zugestehen will. Die Politik ist dem nicht nachgekommen. Jetzt plant die EU-Kommission immerhin, Patriarch Kyrill I. auf die Sanktionsliste der EU zu setzen. Spät, aber immerhin.

Vielleicht lernen die westlichen Staatenlenker*innen aus diesem entsetzlichen Krieg wenigstens, dass faschistische Diktaturen keine Partner sein können. Vielleicht nehmen sogar manche Politiker*innen Notiz davon, dass die Menschenrechte von Minderheiten ein ganz gutes Frühwarnsystem dafür sind. Die Zeit des Drüberschwindelns ist vorbei.

Von Moritz Yvon

HOSI Wien Vereinssekretär, früherer Obmann HOSI-Wien
Foto: Matt Observe