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Gesundheit

Eine Welt ohne HIV

reale Vision oder Utopie?

Seit mehreren Jahren gibt es im HIV-Bereich den Slogan „Together We Can End AIDS“. Doch ist das tatsächlich möglich? Immerhin gibt es bislang weder eine Heilung, noch eine Schutzimpfung. Kann die Medizin ein Virus, dessen Erfolgsrezept unter anderem „Veränderung“ heißt, in den Griff kriegen? Oder vielleicht sollte die Frage eher heißen: Kann die Menschheit dieses Virus im Griff bekommen?

Für die Diskussion, ob eine HIV-freie Welt eine reale Perspektive ist, braucht es zumindest Teile einer Bestandsaufnahme. Denn auf Basis von Aspekten aus Biologie, Medizin und Gesellschaft lässt sich hier durchaus eine Aussage treffen.

Biologie: Nicht jede Virusvariante ist gefährlich

HIV stammt von dem tierischen Simian Immunodeficieny Virus (SIV) ab. Diese Viren treten bei diversen Affenarten auf und wurden genetischen Berechnungen zufolge um 1920 mehrfach auf Menschen übertragen. Durch die Übertragungen unterschiedlicher SIV-Arten entwickelten sich auch unterschiedliche HI-Virustypen.

Es entstanden die beiden Virusstämme HIV-1 und HIV-2. Letzterer tritt fast nur regional in Westafrika und mit weltweit 1-2 Millionen Menschen vergleichsweise selten auf. HIV-1 hingegen gliedert sich weiter in die Gruppen M, N, O und P. Nur eine dieser Gruppen schaffte die globale Verbreitung und ist somit Treiber der Pandemie, die Variante HIV-1-M. Sie macht ca. 90% Prozent aller HIV-Infektionen aus und wird nochmals in ca. 10 Subtypen und danach in viele weitere Unterformen unterteilt. Hintergrund des „Erfolgs“ ist eine für das Virus geeignete Mischung aus Infektiosität und Pathogenität sowie der hohen Mutationsrate und somit konstanter Veränderung.

Diese Virusgruppen sind nur sehr übergeordnete Einteilungen. Tatsächlich hat jede HIV-positive Person, sofern sich das Virus vermehren kann, auch verschiedene Viren im Körper. Denn bei jedem Replikationsschritt kann es auch zu einer Veränderung kommen. Viele Mutationen haben gar keinen Effekt oder führen zu defekten Viren. Einige jedoch machen tatsächlich einen Unterschied. Dies ist ein Grund, warum es bislang noch keinen Impfstoff gibt. Und es ist auch der Grund, warum HI-Viren gegen Medikamente Resistenzen entwickeln können.

Mutationen mit großen sichtbaren Veränderungen, z.B. in der Übertragungswahrscheinlichkeit, sind selten. Es wurde zwar erst kürzlich in den Medien von einer neuen Virusvariante berichtet, die ansteckender sei, doch sind zu dieser Überschrift wesentliche Punkte zu beachten.

Die Variante ist ansteckender, da sie ohne HIV-Therapie zu einer höheren Viruslast führt, welche bekanntermaßen die Übertragungswahrscheinlichkeit bestimmt. Diese Eigenschaft konnte nur beobachtet werden, da früher eine HIV-Therapie nicht direkt nach der Diagnose begonnen wurde. Die Daten stammen also von Patient*innen, deren Infektion Jahre zurückliegt, beim ersten beobachteten Fall z.B. ging es um eine Infektion von 1992. Inzwischen ist der sofortige Start der Therapie üblich und sie ist auch gegen diese beschriebene Variante effektiv. Liegt dank Therapie die Viruslast unter der Nachweisgrenze, ist auch diese Variante sexuell nicht übertragbar. Es muss also hinterfragt werden, wie viele Menschen, die mit dieser Variante infiziert sind, derzeit nicht auf HIV-Therapie und somit infektiös sind. Insgesamt wurden nur wenige Fälle aus den Patient*innen-Akten gefiltert. Von dieser Variante ist keine reale Veränderung der aktuellen Infektionsdynamik zu erwarten.

Medizin: Wichtigste Methoden bereits verfügbar

Früher startete man mit einer HIV-Therapie erst zu einem gewissen Zeitpunkt lange nach der Diagnose. Unter anderem, um die Belastung durch die Medikamente so gering wie möglich zu halten.

Die modernen Wirkstoffe sind hingegen hocheffektiv, zumeist gut verträglich und mit 1 Tablette pro Tag leichter in den Alltag zu integrieren. Bei rechtzeitigem Start und unter guten Bedingungen ist die statistische Lebenserwartung HIV-positiver Menschen mit jener der Gesamtbevölkerung gleichzusetzen.

Heute darf man die HIV-Therapie als Langzeitbehandlung und Bestandteil eines umfassenden Gesundheitsmanagements einer chronischen Erkrankung werten. Der Erfolg ist besonders anschaulich anhand der weltweiten Todesfälle zu sehen: Waren es 2004 noch etwa 2,1 Millionen Todesfälle, sind es mittlerweile mit 700.000 nur noch ein Drittel davon.

Ein anderer unermesslicher Erfolg der Medizin ist die anerkannte Tatsache, dass bei effektiver Therapie eine sexuelle Übertragung nicht mehr möglich ist. Die Behandlung HIV-positiver Menschen bedeutet also gleichzeitig aktive Prävention für Sexualpartner*innen. Und auch von HIV-negativen Menschen eingenommene HIV-Medikamente verhindern Neuinfektionen. So bietet z.B. eine richtig durchgeführte PrEP ebenfalls ausgezeichneten Schutz. Zusätzlich zu den bewährten Schutzmaßnahmen, wie das Verwenden eines Kondoms, sind also die wichtigsten medizinischen Werkzeuge zum hocheffizienten Verhindern von Infektionen bestens bekannt.

Gesellschaft: Menschen verbreiten HIV in der Welt

Tatsächlich war ein Zusammenspiel von unterschiedlichsten Faktoren notwendig, um HIV seinen heutigen Stellenwert zu ermöglichen. Und die essenziellen Faktoren basieren auf menschlichen, bzw. gesellschaftlichen Aspekten.

HIV blieb anfänglich lokal auf Gebiete im Kongo beschränkt. Eine zunehmende Verbreitung von HIV begann erst mit dem rasanten Anstieg der Bevölkerung in der Hauptstadt Kinshasa. Politische Veränderungen im Land ermöglichten dann quasi den „internationalen Durchbruch“ der HI-Viren: Im Jahr 1960 erlangte Kongo die Unabhängigkeit von Belgien. Dies führte zu einer Auswanderung der dort lebenden Menschen belgischer Herkunft und einer Einwanderung aus anderen Weltregionen, insbesondere aus Haiti. Bereits 1964 erreichte HIV über diese Verbindung Haiti und mit stärker werdendem Tourismus ein paar Jahre später die USA, wo die Erkrankung dann 1981 beschrieben wurde. Die seitdem erfolgte Globalisierung fördert naturgemäß weiterhin die Verbreitung von allen Infektionserkrankungen, so auch von HIV.

Tatsächlich wurde die HIV-Pandemie also erst mit steigender Bevölkerungsdichte, politischen Umbrüchen, vermehrter Zu- und Abwanderung sowie höherer Mobilität möglich.

Gesellschaft: Menschen fördern aktiv Infektionen

Ein anderer Aspekt, der zur Verbreitung der Viren führt, ist der bestehende inadäquate Umgang der Gesellschaft mit manchen Bevölkerungsgruppen. Damit Menschen von Prävention, Testung und Therapie auch profitieren können, benötigen sie z.B. ausreichenden Zugang zu Information und zu Angeboten des Gesundheitsbereichs. Allen Menschen, die in der Gesellschaft keinen gleichwertigen Status erleben, die diskriminiert und kriminalisiert werden, ist dieser ausreichende Zugang nicht gewährt. In direkter Konsequenz sind sie einem höheren Risiko für eine HIV-Infektion ausgesetzt.

Dass HIV-Infektionen nicht verhindert werden und nicht alle Menschen mit HIV die lebensnotwendige Therapie erhalten, wird großteils ganz aktiv durch das gesellschaftliche Umfeld verursacht.

Fazit

Im Endeffekt muss man sagen, HIV hätte durchaus gute Karten als Pandemie bestehen zu bleiben. Die heutigen Möglichkeiten in Diagnostik, medikamentöser Prävention und vor allem Therapie, können dem jedoch mehr als ausgezeichnet Paroli bieten. Würden alle Erkenntnisse und bereits bestehenden Optionen bestmöglich und zur Gänze ausgeschöpft und eingesetzt werden, könnte man HIV tatsächlich vom Status einer Pandemie in eine individuelle Erkrankung zurückdrängen und über lange Sicht sogar eliminieren.

würde/hätte/könnte – die Wortwahl zeigt schon klar den Haken auf. Das Problem ist nicht das Virus oder die Forschung oder die Medizin, sondern letztlich wie so oft der Mensch und die Gesellschaft selber. Daher wird eine HIV-freie Welt leider noch länger eine reine Utopie bleiben.

Von Birgit Leichsenring

Mikrobiologin und biomed. Wissenschaftskommunikatorin (www.med-info.at)