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Editorial

Das Blutspende­verbot tötet

Das Rote Kreuz hält daran fest. Mückstein tut nichts.

Zuerst einmal zwei unangenehme Wahrheiten: Erstens ist Ungleichbehandlung nicht automatisch Diskriminierung, sondern erst, wenn sie sachlich ungerechtfertigt ist. Und zweitens ist HIV/AIDS nach wie vor ein Problem, das schwule und bisexuelle Männer häufiger betrifft als an­dere. Nicht global, aber in West- und Mitteleuropa. Hier in Österreich sind immer noch gut die Hälfte der Neuinfektionen bei Männern, die Sex mit Männern haben (also MSM, wie es in der HIV-Präventionsarbeit heißt).

Diese Tatsache ist der Grund, weshalb MSM in Österreich nach wie vor verboten wird, Blut zu spenden. Und dabei gibt es noch ein zweites Problem: Zwar werden natürlich alle Blutspenden auf HIV getestet, aber es gibt ein sogenanntes „diagnostisches Fenster“, in dem im gespendeten Blut die bereits darin vorhandene HI-Viren noch nicht entdeckt werden können. So viel zum Problem – denn dass die Sicherheit von Blutspenden, die ja gerade Kranken zugutekommen, an erster Stelle stehen muss, ist selbstverständlich.

Das Blutspendeverbot schützt nicht, wie es soll

Nicht selbstverständlich ist, mit welchen Mitteln diese Sicherheit erreicht werden soll. Denn das pauschale Blutspendeverbot für Männer, die in den letzten 12 Monaten (ja, es ist nicht mehr lebenslang) Sex mit einem Mann hatten, ist dafür nicht besonders wirksam, sondern geradezu schädlich. Denn es fragt nur pauschal nach dem Geschlecht des oder der Sexualpartner*innen. Ein Faktum, das alleine noch überhaupt kein Risiko darstellt. Was das Risiko darstellt, ist das konkrete Sexualverhalten. Das wird aber nicht erfragt. Das bedeutet: Ein Schwuler, der ausschließlich mit seinem Partner Sex hat und beide sind HIV-negativ, darf kein Blut spenden. Ein Hetero-Mann, der an drei Tagen mit drei verschiedenen Frauen ohne Kondom schläft, darf am vierten Tag Blut spenden.

Das ist nicht nur absurd, sondern gerade für die Sicherheit der Blutspenden ein Problem. Denn so können diese erst recht kontaminiert werden, weil die richtigen Fragen nicht gestellt werden. Fragen wie: Wie viele Sexualkontakte hatte man im letzten Monat vor der Blutspende? Wurden dabei immer Kondome verwendet? Das führt dazu, dass das Ziel, für das es die Ungleichbehandlung gibt, nicht erreicht wird. Und genau hier wird aus der Ungleichbehandlung eine Diskriminierung.

Das Blutspendeverbot diskriminiert

Diskriminierung, die durchaus Folgen hat. Da ist einerseits das mögliche unfreiwillige Outing, wenn etwa die Firma oder bei Wehrpflichtigen das Bundesheer einen Blutspendetag organisieren. Klar ist es wünschenswert, dass wir alle offen zu unserer sexuellen Orientierung stehen – aber diese Entscheidung muss jeder in seinem eigenen Tempo treffen können. Es ist auch nicht jede Umgebung eine solche, in der man das ohne weitere Diskriminierung danach tun könnte. Es hat einen Grund, dass je nach Befragung gut die Hälfte der LGBTIQ-Arbeitnehmer*innen eben nicht offen lebt. In einer Situation wie dem Bundesheer, wo man als Präsenzdiener schlimmstenfalls auch nicht kündigen kann, ist dieses Problem nochmal verschärft.

Dazu kommen die Vorteile der Blutspende, die das Rote Kreuz selbst bewirbt: Man bekommt damit einen kleinen Gesundheitscheck, denn „das Blut wird auf Hepatitis oder andere Infektionskrankheiten untersucht. Zudem bestimmen wir kostenlos die Blutgruppe und den Rhesusfaktor“, wie es auf dessen Website heißt. Vor allem die sonst privat zu bezahlende Bestimmung von Blutgruppe und Rhesusfaktor, die dann auf dem Blutspendeausweis eingetragen wird, kann in einem Notfall Leben retten. Darum fallen MSM, die sich das nicht selbst leisten können, also um.

Das Blutspendeverbot tötet

Oder auch darum, selbst lebensrettende Blutspenden zu bekommen, wie es letztes Jahr einem Covid-Patienten passiert ist. Er musste intensivmedizinisch betreut werden und hätte eine Blutplasma-Infusion von jemandem gebraucht, der selbst bereits die Corona-Infektion hinter sich und damit die Antikörper aufgebaut hatte. Dieser jemand hätte sein Lebensgefährte sein können. Doch weil die beiden als Männer zusammenleben, durfte dieser kein Plasma für seinen eigenen Partner spenden. Der Patient verstarb. Weil der Mensch, der ihn retten hätte können, ihn nicht retten durfte. Weil er schwul ist. Das ist nicht nur eine menschliche Tragödie, sondern zeigt auch in aller Brutalität, was für eine Farce die Behauptung ist, es ginge beim Blutspendeverbot um Menschenleben.

Der Fall wurde übrigens bekannt, weil der Lebensgefährte des Toten bei Raiffeisen arbeitet, die infolgedessen gemeinsam mit anderen Unternehmen wie der Telekom Austria, Accenture, Ikea, Microsoft und PWC-Österreich eine Initiative für ein Ende der Diskriminierung bei der Blutspende gestartet und eine entsprechende Petition an Gesundheitsminister Mückstein übergeben hat.

Denn bei diesem liegt die Verantwortung: Das Blutspende-Verbot ist rechtlich in der Blutspendeverordnung festgelegt. Und eine Verordnung ist kein Gesetz, sondern kann vom zuständigen Ministerium alleine geändert werden. Der grüne Minister muss also hier nicht auf die ÖVP für die nötige Mehrheit im Parlament warten. Er könnte es einfach tun.

Übrigens ist der politische Widerstand ohnehin überschaubar, wenn das nicht schon klar war, als die nicht gerade als rote Vorfeldorganisation bekannte Raiffeisen sich für ein Ende der Diskriminierung ausgesprochen hat: Als sich letztes Jahr der zuständige Ausschuss des Nationalrats mit dem Thema beschäftigt und Expert*innen dazu eingeladen hat, war jener des Roten Kreuzes der einzige(!), der sich für eine Beibehaltung des Blutspendeverbots ausgesprochen hat. Aber da das Rote Kreuz bekanntlich nicht das Gesundheitsministerium ist und bei dessen Verordnungen kein Veto-Recht hat, kann man dessen Widerstand als Minister auch ignorieren. Man könnte auch meinen: Angesichts von Toten muss er das.

Das Blutspendeverbot wird in immer mehr Ländern abgeschafft

Ganz davon abgesehen, dass die Diskussion in Österreich so geführt wird, als müssten wir hier völlig unbekannte Risiken eingehen und das Rad neu erfinden. Dabei dürfen MSM bereits in Deutschland, Italien, Israel, Spanien, Großbritannien, Brasilien und selbst in Orbans Ungarn Blut spenden – und aus keinem dieser Länder wäre eine plötzlich auftretende Welle an HIV-Infektionen bekannt.

Zusammengefasst: Die Intention des Blutspendeverbots mag ursprünglich verständlich gewesen sein, aber heute wissen wir, dass es seinen Zweck nicht erfüllt. Viel schlimmer noch, es gefährdet schwule und bisexuelle Männer an Leib und Leben. Dabei kann man die nötige Sicherheit, wie internationale Erfahrungen zeigen, auch anders erreichen.

Es scheitert nur an Mückstein und dem Roten Kreuz, das nicht will, das wir Blut spenden können. Ich nehme sie beim Wort und werde ihnen auch sonst nichts spenden. Aber die wirkliche Verantwortung liegt beim Gesundheitsminister. Er kann es bei Bedarf im Alleingang ändern. Das können wir als Community von einem grünen Minister verlangen.

Von Moritz Yvon

HOSI Wien Vereinssekretär, früherer Obmann HOSI-Wien
Foto: Matt Observe