Ob bei Regenbogenparaden oder auch ganz privat zuhause, es scheint so, als ob wir noch eine etwas unklare Beziehung zu unseren Fetischen haben. Besonders die Debatte um den Platz von Fetischdarstellung bei Prides wurde letztes Jahr zur CSD-Parade in Bremen wieder sehr hitzig – und zwar aufgrund eines Abschnittes in der Eventbeschreibung, der als ein de facto Fetisch-Verbot verstanden werden konnte. Aber auch ganz im Persönlichen innerhalb der Community ist es nicht allzu selten der Fall, dass Personen beim Erwähnen ihrer eigenen Vorlieben herablassend behandelt werden. Wobei von der breiteren Gesellschaft weitaus prüdere Reaktion zu dieser Thematik nicht unbedingt überraschend sind. Woher stammt eigentlich diese aversive Wahrnehmung von Fetischen und warum ist dieses Thema in unserer Gesellschaft derartig tabuisiert?
Grundsätzlich kann man Fetische als gewisse Eigenschaften, Reize und Verhaltensmuster, die eine erhöhte Erregung auslösen, betrachten. Das kann sich beispielsweise in einem erhöhten sexuellen Interesse für bestimmte Körperteile oder in der Empfindung einer gewissen Art von Schmerz widerspiegeln. Da sich um die genaue Definition von Fetischen die Geister noch stets scheiden, verwenden wir hier für das Verständnis einmal eine eher breite Interpretation.
Fetische können sich ebenso biologisch oder durch kulturelle Eindrücke aus unserem Umfeld entwickeln. Biologisch ist es zum Beispiel eine aktuell weit angenommene These, dass Fußfetische existieren, weil der Teil in unserem Gehirn, der für sexuelle Erregung zuständig ist, sich direkt neben dem Teil für die Wahrnehmung von Füßen befindet und es nicht ungewöhnlich ist, dass während der Entwicklung unseres Gehirns Verbindungen zwischen beiden Bereichen entstehen. Ebenso können wir Fetische durch Erfahrungen erlernen. Seien es Erlebnisse, die wir direkt oder indirekt erleben. Ob man auf gewisse Dinge online stößt, oder etwas mit jemanden ausprobiert, wir lernen worauf wir stehen, indem wir Dingen in irgendeiner Form ausgesetzt sind. Wenn das alles ja so natürlich ist, warum sind Fetische doch ein Tabuthema?
Was für die eine Person „normal“ ist, ist für die andere Person too much. Das ist ein Gedanke, den man in Debatten dazu oft hört. Jedoch ist unser Verständnis von „normal“ auch in diesem Fall, genau wie bei der ausgeleierten Frage, ob Homosexualität „normal“ ist, von unserem kulturellen Umfeld erschaffen. In dem Fall hat das Kulturelle hier weniger mit Lederhosen und Dirndln zu tun, sondern eher damit, wie wir Sexualität und sexuelle Aktivitäten im Allgemeinen betrachten. Da unsere Wahrnehmung von alledem historisch enorm vom Christentum beeinflusst worden ist, welches durch dessen verschiedene Kirchen alles, was nicht heteronormativ ist und nicht ausschließlich der Erzeugung von Kindern diente, jahrhundertelang psychisch und gewalttätig unterdrückt hat, spüren wir auch noch heute in den Grundfesten unserer österreichischen Gesellschaft die Folgen davon. Mit einem Blick auf Zivilisationen, die keinerlei bis wenig derartige Einflüsse haben, sieht man oftmals, dass sexuelle Vielfalt in der Form der non-binären Geschlechtswahrnehmung und auf wen oder was man steht, die Norm ist. Währenddessen wird man bei uns in Werbungen dank der Idee „Sex sells!“ mit halbnackten Leuten und im Entertainment durch BDSM Fantasien in Musikvideos und Filmen bombardiert, obwohl das alles ja nicht etwas ist, über das man bei uns „normalerweise“ öffentlich redet. Wir leben in einer Gesellschaft, die hypersexualisiert und zugleich prüde ist. Man könne beinahe sagen, es wäre eine der schlimmsten Kombinationen überhaupt.
Inwiefern ein Fetisch „normal oder abnormal“ ist, kommt stets auf unser soziales Umfeld an. Wobei es auch Fetische gibt, die in der Psychologie als Störung bezeichnet werden. Jedoch ist es wichtig dabei im Kopf zu behalten, dass auch diese Definition von Störung für verschiedene Neigungen sich stets weiterentwickelt und sich neuen Erkenntnissen und dem aktuellen sozialen Klima anpasst. Beispielsweise war vor nicht allzu langer Zeit auch Homosexualität als eine Störung, die heilbar wäre, klassifiziert. So hat auch unser lieber Sigmund Freud sein Verständnis für verschiedene Fetische auf einer Schiene von Kindheitstraumen aufgebaut und als etwas Abnormales und Problematisches abgestempelt.
Ein Ansatz, der aktuell auch in der Psychologie und Medizin in Hinsicht auf Fetische stetig mehr an Präsenz gewinnt, ist der Gedanke, dass etwas nicht eine Störung ist, solange es nicht das alltägliche Leben der jeweiligen (und vielleicht auch einer davon betroffenen) Person negativ beeinflusst. In dem Fall kann man klar sagen, dass, auch wenn ein Fetisch noch so ungewöhnlich ist, solange es das Leben der Person nicht stört, ist’s keine Störung. Jedoch hilft es nicht, wenn man aus diesen Dingen ein Schweigethema macht und daraus Ängste und Unsicherheiten entwickeln lässt, welche dann tatsächlich psychische Probleme werden.
Wir kommen Stück für Stück näher an eine Erkenntnis, die uns sagt, was Fetische exakt sind. Die Thematik dazu ist in gewisser Hinsicht bei uns ein soziales Tabu, wegen dem enormen negativen Ballast, welcher sich durch die Aktionen von christlichen Kirchen und ein weniger ausgereiftes Verständnis der menschlichen Psychologie in alltäglichen Diskussionen am Leben hält. Sicherlich gibt es noch genügend weitere Faktoren, die dazu beitragen. Dennoch haben viele davon ihre tiefen Wurzeln genau in diesen zwei Hintergründen. Das Beste, was man machen kann, damit Fetische kein Tabu-Thema mehr sind, ist darüber zu reden. Das heißt jetzt nicht, dass man gleich die Eltern nach deren Fetischen fragen sollte. I mean, you do you, boo. Aber man kann schon einmal die ersten Schritte machen, indem man ohne Vorurteile offen über dieses Thema mit Freunden oder Sexualpartnern spricht. Fetische sind ein Teil der eigenen Sexualität. Sie sind genauso ein Teil von dir wie die Tatsache, auf wen du stehst. Da ist’s auch nicht so ganz verrückt, wenn man dafür vielleicht eine Fahne schwenkt. #liebewieduwillst