„Eine Droge schenkt nichts, sie leiht nur aus und fordert das mit Zinsen zurück“ – Reinhard Haller
Was Chemsex ist, wissen viele bereits – der Konsum von chemischen Substanzen im sexuellen Setting. Am häufigsten assoziiert mit GHB/GBL („G“), Mephedron („Meph“) und Crystal Meth („Tina“, „T“). Ausgeführt wird dies dann bei den Chemsex-Parties. Die Verabredung findet über Dating-Apps statt. Dort wird auch schon besprochen, welche Chems konsumiert werden. Aber auch die Abklärung, wer denn schon da ist oder wer noch kommen wird, spielt im Vorfeld häufig eine Rolle. Der*die sogenannte „Host“ kann dann bei Gefallen in die eigenen vier Wände einladen. Die Dauer der Party kann unterschiedlich sein – von einigen Stunden bis hin zu mehreren Tagen ist alles möglich. Was die Anzahl der Gäste betrifft, handelt es sich auch um eine variable Zahl, die sich an die Vorgaben des „Hosts“ orientiert. Als Freizeitbeschäftigung bzw. Lifestyle-Faktor oder Fetisch wird das Thema jedoch verharmlost.
Chemsex ist ein Thema, das Gesundheitsanbieter*innen, egal ob Beratungsstellen oder Ärzt*innen, nun schon seit einigen Jahren vor Herausforderungen stellt und noch weiter beschäftigen wird. Auch bedingt durch die derzeit herrschende Pandemie hat Chemsex eine größere Rolle bekommen. Aber nicht nur das Hilfesystem steht vor Herausforderungen mit der Thematik. Die User*innen selbst stehen zumeist an den Wochenenden vor der Herausforderung, ob sie zu einer Chemsex-Party gehen wollen oder doch ein chemsfreies Wochenende einlegen.
Die Frage ist nun: ist Chemsex ein Fetisch? Betrachtet man eine Definition von Fetisch, dann handelt es sich um einen Stimulus, welcher der sexuellen Erregung und Befriedigung dient. Werden die Wirkweisen einzelner Chems betrachtet, findet man darunter sexuelle Leistungssteigerung, sexuelle Stimulierung, Luststeigerung und Verstärkung vorhandener Antriebe. Somit ist diese Frage durchaus mit Ja zu beantworten. Trotzdem werden wenige Chemsex einen Fetisch nennen. Vermutlich geht es eher darum, bei den Chemsex-Parties mit mehreren unterschiedlichen Menschen über Stunden hinweg Sex zu haben. Hier ist durchaus ein Anreiz gegeben und könnte als Fetisch bezeichnet werden.
Aber auch die Vorliebe für gewisse Kleidungsstile spielt in diesem Setting eine Rolle. Fetische wie Underwear, Sportsgear, Rubber, Leather, usw. kommen im Chemsex-Setting häufig vor. Durch den Einfluss diverser Substanzen sinkt diese Schwelle und es ist einfacher diesen Fetisch zu leben.
Fetische können aber auch andere Formen annehmen. Die Konsumform „Slamming“ – also der intravenöse Konsum von Meph oder Tina – kann eine besonders starke sexuelle Stimulierung und Enthemmung auslösen. Es kann auch vorkommen, dass der Gedanke an den Vorgang an sich bereits genügt, um sich sexuell stimuliert zu fühlen. Oder es kann reichen für sich alleine zu Hause zu slammen. Es werden dabei Pornos angesehen, die alleine darauf beruhen slammende Männer zu zeigen. Eine andere Form von Fetisch können Sexualpraktiken sein, an die man im nüchternen Zustand denkt aber nicht lebt. Somit spielen Chemsex-Parties auch hier eine Rolle. Die Hemmschwelle sinkt und dort sind andere Menschen, die das sexuelle Verlangen erfüllen können.
Zu erwähnen ist auf alle Fälle, dass viele Menschen Fetische und/oder Sex ohne Chems leben können und dabei sexuelle Stimulation und Befriedigung spüren. Aber es gibt Menschen, denen dies aufgrund einzelner oder mehrerer (psychischer) Faktoren nicht immer gelingt. Je häufiger Chemsex und je weniger „Sober Sex“ praktiziert wird, desto schwieriger ist es aus diesem Kreislauf auszubrechen.
Bisher könnte der Eindruck entstehen, dass sich Chemsex nicht sehr nachteilig anhört. Aber: Chemsex birgt viele Risiken und diese müssen auch beleuchtet werden. Sowohl die physische als auch die psychische Gesundheit können darunter leiden.
Häufig werden bei den Chemsex-Parties weder Safer Sex noch Safer Use betrieben. Safer Sex-Strategien könnten aufgrund der Beeinträchtigung nicht eingehalten werden. Kondome bleiben unbenutzt (sofern vorhanden), die PrEP einzunehmen könnte vergessen werden oder es wurden zu wenige Tabletten eingepackt, da die Chemsex-Party länger dauert als ursprünglich geplant. Dasselbe gilt für HIV-Medikamente. Somit steigt das Risiko für eine HIV-Infektion bzw. das Ansteigen der Viruslast. Durch den sexuellen Kontakt mit mehreren Sexualpartner*innen über Stunden hinweg und auch z.B. „Bareback“ (also penetrativer Verkehr ohne Kondom) steigt das Risiko für andere sexuell übertragbare Infektionen.
Safer Use beschreibt Maßnahmen um Infektionen mit HIV oder Hepatitis beim Drogenkonsum so gut wie auszuschließen. Beim Sniffen gilt es, nur das eigene Röhrchen zu verwenden, aber auch keine scharfkantigen Röhrchen oder Geldscheine. Beim Slamming gilt es, nur eigene Tupfer, Nadeln, Löffel, Filter zu benutzen. Kurz gesagt: alle Materialien, die benötigt werden um Chems in den Körper zu transportieren, sollten ausschließlich von der Person benutzt werden, die die Chems aufnimmt. Bei Partner*innen des Wiener Chemsex-Netzwerkes (www.chemsex.at) besteht die Möglichkeit im Rahmen eines Beratungsgespräches ein Safer Use-/Safer Sex-Pack abzuholen.
Bei den physischen Risiken sollten aber nicht nur sexuell übertragbare Infektionen bedacht werden. Der Konsum an sich hat Auswirkungen auf den Körper. Chems bewirken zusätzlich, dass der Körper kein Verlangen nach Schlaf, Nahrung und Flüssigkeit hat. Daher sollte darauf geachtet werden dem Körper Ruhephasen zu gönnen und Nahrung und Flüssigkeit zuzuführen. Hinzu kommt, dass durch Chems einerseits die Hemmschwelle sinkt und andererseits das Schmerzempfinden unterdrückt wird. Dadurch kommt es häufiger zu Verletzungen.
Die psychischen Auswirkungen sind ebenso zahlreich wie die physischen. Bei Überdosierungen kann es zu Wahnvorstellungen und/oder Halluzinationen kommen, Ängste können hervorgerufen oder verstärkt werden. Ein Kontrollverlust bis hin zum Blackout kann ebenso auftreten wie Psychosen. Sehr häufig wirkt der Konsum als depressive Phase tagelang nach, bis die Personen wieder im Alltag „funktionieren“. Hinzu kommen Schuld- und/oder Schamgefühle, weil dem Konsum nicht widerstanden werden konnte. „Sober Sex“ kann nicht mehr genossen werden, weil Sex nur mehr mit Chems assoziiert ist und ein „Feuerwerk“ im Gehirn ausbleibt. Aber: dieses „Feuerwerk“ wurde künstlich erschaffen und ist nichts Natürliches.
Dabei handelt es sich um psychische Auswirkungen durch den Konsum. Hinzu kommen potentielle psychische Faktoren wie Einsamkeit, niedriges Selbstwertgefühl, Body Shaming, Langeweile, usw. Diese Faktoren spielen im Vorfeld eine Rolle und beeinflussen die Person in der Entscheidung, ob sie zu einer Chemsex-Party geht oder nicht.
Diese Risiken und Auswirkungen von Chemsex wie z.B. die steigende Zahl von Chems-User*innen sind Herausforderungen, denen Beratungsstellen und Ärzt*innen gegenüberstehen. Oftmals geht es um „Harm Reduction“. Also welche Maßnahmen können User*innen ergreifen, um so wenig wie möglich Schaden zu nehmen. Häufig genügt es auch schon einfach offen darüber sprechen zu können.
Für manche Menschen in manchen Lebensphasen stellt Chemsex kein Problem dar und sie können den Konsum kontrollieren. Wenn dies jedoch nicht der Fall ist, dann gibt es passende Angebote. Wer Unterstützung in Anspruch nehmen möchte findet auf der Homepage www.chemsex.at alle Angebote für User*innen und Angehörige*. Auch die Aids Hilfe Wien hat sich der Thematik angenommen und bietet Chemsex-Beratung an. Dabei ist es nicht nötig abstinent leben zu wollen. Auch wenn es darum geht Fragen zu stellen, Konsumpausen einzulegen, Risiken zu minimieren oder ein Safer Use-/Safer Sex-Pack abzuholen, steht dieses Angebot zur Verfügung. Kontaktaufnahme Tom Baumgartner unter [email protected] oder +43 670 550 38 09 (WhatsApp und Signal vorhanden).