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Editorial

Eine Gesellschaft für alle

Der queere und der feministische Befreiungskampf sind schon seit jeher untrennbar miteinander verbunden. Nur wenn beide Kämpfe erfolgreich geführt werden, wird das Ziel einer gleichberechtigten Gesellschaft für uns alle Wirklichkeit. Historisch etwa: Frauen in Österreich konnten lange Zeit ohne einen Ehemann oder Vater keinen Job annehmen oder ein Konto eröffnen. Was für heterosexuelle Frauen schon entmündigend war, traf lesbische und bisexuelle Frauen genauso, wenn nicht härter. Zusätzlich war Homosexualität in Österreich verboten – und Österreich war in Europa eines der wenigen Länder, welches auch weibliche Sexualität unter Strafe stellte und diese verfolgte. Lesbische und bisexuelle Frauen konnten sich nun mal nicht entscheiden, welchen Kampf sie führen wollen: sie mussten beide führen. Hier bot unsere Lesbengruppe ein Dach, unter dem sich Frauen finden konnten und gemeinsam alle Formen der Unterdrückung bekämpfen konnten. Seite an Seite mit schwulen Männern, aber auch Seite an Seite mit heterosexuellen Feministinnen. Dass das nicht immer einfach und reibungslos verlief, davon können viele ein Lied singen. Doch durch die gemeinsame Organisation in der HOSI hatten lesbische Frauen einen Ort und eine Anlaufstelle, um diese Kämpfe weiterzuführen und mitzugestalten.

Und auch heute sind die feministischen Kämpfe und die LGBTIQ-Community untrennbar. Gewalt gegen Frauen, Angriffe auf unsere Selbstbestimmung und auf unsere Bestimmung über unsere Körper und der Backlash von Rechten und Konservativen gegen feministische Fortschritte in ganz Europa betrifft queere Frauen genauso, wie cis-hetero Frauen. So betrifft der Gender-Pay-Gap einen lesbischen Haushalt doppelt, die ungleiche Vermögensverteilung zwischen den Geschlechtern als auch die gläserne Decke verschwindet nicht, nur weil Frauen queer sind.

Dass der gemeinsame Kampf aber auch heute nicht immer ein reibungsloser, harmonischer ist, kann nicht geleugnet werden. So erfahren transidente Frauen in unserer Gesellschaft unglaubliche Diskriminierung und Gewalt. Dennoch wurde der Kampf transidenter Frauen oft totgeschwiegen oder ausgeklammert. Weder in feministischen noch in queeren Spaces schien dafür Platz zu sein. Und anstatt dass alle an einem Strang ziehen, spalten sich sowohl die feministische aber auch die queere Bewegung sowohl nach innen als auch voneinander. Allzu oft vergessen wir, dass transidente Frauen – wie eben alle Frauen aber auch alle LGBTIQ-Personen – vor allem unter einem leiden: das Patriachat. Das Patriachat und seine Heteronormativität ist das, gegen das wir gemeinsam ankämpfen müssen. Die rigiden sozialen Strukturen, die ungerechte Verteilung von Vermögen durch jahrhundertelange Unterdrückung, der Backlash gegen jede Art von Gleichstellung und Gewalt gegen alles, was nicht der Norm entspricht: all das wurzelt im Patriachat und ist notwendig, um dieses System cis-hetero-männlicher, weißer Vorherrschaft aufrecht zu erhalten.

Ebenso ist es immens wichtig, antirassistische und queer-feministische Kämpfe zu bündeln. Denn vor allem nicht-weiße LGBTIQ-Personen werden aus der Gesellschaft aber auch leider allzu oft in unserer Community ausgegrenzt. Wenn wir eines aus der Geschichte der Homosexuellenbewegung lernen sollten, ist es: alle unsere Anstrengungen und Kämpfe müssen intersektional sein. So wie die Lesbengruppe schon in den 80er Jahren lesbischen Frauen und Mädchen die Möglichkeit geboten hat, den feministischen und den lesbischen Kampf gemeinsam zu führen, so müssen unsere heutigen Räume und Gruppen Orte sein, wo feministische und queere Kämpfe gemeinsam geführt werden können.

Von Ann-Sophie Otte

Obfrau HOSI Wien (Foto: © Marie Dvorzak)