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Recht

Der Weg durch die Justiz-Instanzen

Opfer sein nicht leicht gemacht, 2. Teil

Im ersten Teil in der letzten Lambda Ausgabe habe ich anhand eines persönlichen Erlebnisberichts eines unmittelbar Betroffenen aufgezeigt mit welchen Widrigkeiten man* als Opfer homophober Vorfälle mitunter (noch immer) zu kämpfen hat, und dass es mit Aufwand und Rückschlägen verbunden sein kann, sich juristisch zu wehren. Alberts dafür beispielhafte Geschichte endete aber glücklicherweise nicht damit, dass er nach abermaliger Einstellung eines Strafverfahrens durch die Staatsanwaltschaft (StA) gegen den Aggressor den Kopf hängen ließ (was bis dahin geschah, bitte in der letzten Kolumne nachlesen).

Über seinen Anwalt Dr. Helmut Graupner stellte er einen Fortführungsantrag. D.h., dass nunmehr das Landesgericht zu entscheiden hatte, ob nicht doch weitere Ermittlungen seitens der StA nötig seien. Dagegen brachte die StA eine Stellungnahme ein; Alberts Anwalt äußerte sich dazu wiederum. Sinngemäßer Inhalt der Schriftsätze: Albert kritisierte, dass der in die USA zurückgekehrte Ryan nicht vernommen wurde und die Möglichkeit einer Einvernahme über virtuelle Mittel bzw. die Einvernahme im Wege der Rechtshilfe zwischen österreichischen und US-amerikanischen Behörden außer Acht gelassen worden waren. Und gegen das Argument der Ermittlungsbehörden, dass Ryan kein Deutsch verstehe und wenig mitbekommen habe, wurde ins Treffen geführt, dass die Gesamtumstände von Mimik, Gestik, Auftreten und Sprachmelodie sehr wohl einen klaren Eindruck bei ihm hinterließen. Im Übrigen wurde auf das Grundrecht auf eine wirksame, umfassende und erschöpfende Untersuchung und wirksame Strafverfolgung verwiesen. Die Judikatur des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte besagt außerdem, dass in Fällen homophober Motive mit besonderer Sorgfalt und besonderem Nachdruck […] zu ermitteln ist. Gegen den Einwand der StA, dass die zur Verwirklichung des Tatbilds nötigen drei Unbeteiligten, in deren Gegenwart die Tat verübt worden sein musste, nicht zahlenmäßig vorhanden seien (die Ermittlungsbehörden hätten nur zwei festgestellt), konterte der Anwalt damit, dass dabei die Restaurantgäste und weiteres Personal völlig außer Acht gelassen wurden und über das Boniersystem der Kassa Gästezahlen eruiert werden könnten. Aber es waren eben keinerlei Ermittlungen in diese Richtung seitens der StA erfolgt – warum auch immer.

Obwohl Fortführungsanträge statistisch nicht sehr aussichtsreich sind, gab das Landesgericht dem konkreten Antrag Folge und die StA musste das Ermittlungsverfahren fortsetzen. Ryan wurde zu seinen Wahrnehmungen schriftlich im Amtshilfeweg vernommen. Die übrigen Betroffenen wurden zu den offenen Fragen vernommen. Gegen den Verdächtigen wurde seitens der StA ein Strafantrag wegen des Vergehens der Beleidigung gestellt. Am Bezirksgericht Leopoldstadt fand eine Hauptverhandlung statt (dies 1,5 Jahre nach dem Vorfall!). Der Beschuldigte zeigte sich überraschend reumütig und entschuldigte sich, blickte Albert dabei in die Augen. Albert nahm ihn als authentisch wahr. Auch Albert zeigte sich versöhnlich und wünschte ihm alles Gute zum Schluss der Verhandlung, die mit diversioneller Erledigung endete (d.h. mit Verantwortungsübernahme durch den Täter, aber ohne Verurteilung und keiner im Strafregister aufscheinenden Vorstrafe): Es erfolgte ein außergerichtlicher Tatausgleich und eine Zahlung iHv EUR 500,- an Albert und weitere EUR 500,- an seinen Cousin Phillip. Die beiden sind zufrieden mit diesem Verfahrensausgang. Nach längerem Kampf um ein faires Verfahren konnte Albert die Sache nun emotional hinter sich lassen, auch wenn alles viel zu lange gedauert hatte.

Ohne anwaltliche Unterstützung hätte Albert die Angelegenheit juristisch nicht so meistern können. Und auch psychosoziale Unterstützung hatte er in Anspruch genommen – in der Männerberatung Wien, die ihn umfassend, einfühlsam und vertraulich beriet – genauso wie sein Anwalt dies tat. Allerdings wäre vor allem die juristische Vertretung mit hohen Kosten verbunden gewesen. Glücklicherweise wurde Albert ein Antrag auf psychosoziale und juristische Prozessbegleitung gemäß § 66b Strafprozessordnung bewilligt, wodurch er diese Leistungen kostenlos erhalten konnte. Das Erlangen der Bewilligung war mit Mühen verbunden, da nicht klar war, ob die Sachverhaltskonstellation die Voraussetzungen für § 66b vollkommen erfüllt und so gelang es ihm erst mit Nachdruck, die Begünstigungen zu erlangen. Da Albert mit dem Betreuungs- und Beratungssetting sehr zufrieden war, rät er Opfern* von Straftaten überprüfen zu lassen, ob sie anspruchsberechtigt sind.

Albert hat noch eine weitere Geschichte mit uns geteilt: In einer Wiener U-Bahnstation wurde er im Juni 2020 von einer Gruppe junger Männer als „Schwuchtel“ beschimpft als diese sahen, dass er einen regenbogenfarbenen Mundnasenschutz trug. Wegen des mutmaßlich verwirklichten Ermächtigungsdelikts der Beleidigung (Erklärungen dazu siehe letzte Ausgabe) wollte er Anzeige erstatten. Parallel lief zu dieser Zeit bereits bzw. noch immer das andere Verfahren, in dem er kürzlich einen der erzählten Rückschläge erlitten hatte. Entmutigt fragte sich Albert nun, was er tun solle. Noch ein Verfahren starten, wieder Mühen mit Polizei und StA haben? Wäre dies nicht genauso aussichtslos wie der andere Fall?

Doch letztlich entschloss er sich doch zu einer Polizeidienststelle zu gehen, wo ihm ein Beamter aber nur mit den Worten „Okay, und wos wüßt du jetzt?“ begegnete. Auf Nachdruck telefonierte der Beamte mit einem internen Polizeijuristen, der den Sachverhalt aber fälschlicherweise nicht für strafbar hielt bzw. die Polizei für unzuständig. Albert gelang es an Ort und Stelle seinen Rechtsanwalt, der ihn auch in dem anderen Fall vertrat, telefonisch zu erreichen. Dieser konnte erfolgreich die Rechtslage aufklären. Man* ermittelte nun. Einige Wochen später wurde Albert (von einer sichtlich besser geschulten) Beamtin sehr einfühlsam über den Stand der Ermittlungen informiert. Die unbekannten Verdächtigen konnten bislang nicht ausgeforscht werden. Man* hatte Videoaufzeichnungen von Überwachungskameras gesichtet; sogar die Route der Verdächtigen über das öffentliche Verkehrsnetz verfolgt – und auch Überwachungsvideos aus Straßenbahnen gesichtet; aber letztlich ohne Hinweis auf Verbleib und Identität der Verdächtigen. Mit Albert wurde erörtert, dass weitere Ermittlungsschritte schwierig seien und auch das Aufwand-Nutzen-Verhältnis ungünstig sei. Dies konnte Albert nachvollziehen und gab sich insgesamt zufrieden, wie die Behörde nach anfänglicher Ermittlungsablehnung sich nun doch die gehörige Mühe gemacht hatte.

Einen regenbogenfarbenen Mundnasenschutz wird Albert künftig jedenfalls nicht meiden, sondern diesen sogar bewusst tragen, um ein Zeichen gegen Homophobie zu setzen. Er fordert außerdem die Vermittlung von mehr Fingerspitzengefühl im Umgang mit LGBTIQ*-Personen in der Polizeiausbildung, und die Etablierung von Fachbeamt*innen, denen sich Opfer homophober Hassdelikte anvertrauen können. Unabhängig davon werde er – sollte er wieder Opfer homophober Gewalt werden – den Gang zur Polizei nicht scheuen. Und allen anderen, die wegen ihrer sexueller Orientierung Opfer von Hasskriminalität sind, möchte er ermutigen, ebenso diesen Schritt zu gehen! Ich denke, das ist ein gutes Schlusswort.

Von Günther Menacher

Jurist mit Schwerpunkt Wohn- und Immobilienrecht
(Foto: © mb_artsss)