„Feminist*innen sind männerhassende Emanzen! Warum nennt ihr es nicht Humanismus? Wir sind doch eh schon total gleichberechtigt.“
Mit solchen und ähnlichen Reaktionen sind Feminist*innen 2021 immer noch konfrontiert, was angesichts belegter Ungleichheiten absolut unverständlich ist: Seit dem 25. Oktober 2021 arbeiten Frauen in Österreich statistisch gesehen für den Rest des Jahres, sprich die letzten 68 Tage, „gratis“. Erklärbar ist dies dadurch, dass Frauen in Österreich durchschnittlich 18,5 % weniger Lohn verdienen als Männer. Dies ist nicht nur eine Erinnerung daran, dass sich die Einkommensschere in Österreich nur langsam schließt, sondern auch daran, dass in vielen Familien- und Beziehungskonstellationen weiterhin eine traditionelle Rollenverteilung besteht. Demnach übernehmen Frauen überwiegend den Haushalt, die Kinderbetreuung und teilweise die Pflege alter Verwandter, arbeiten daher häufiger in Teilzeit, und haben ein geringeres Einkommen. Die Intensivierung dieser Umstände während der COVID-19-Pandemie sowie die schockierende Zahl von Femiziden (Morde an weiblichen Personen aufgrund ihres Geschlechts) in Österreich sind zusätzliche Belege dafür, dass wir feministische Kämpfe weiterhin schlagen müssen. Gerade die Femizide, aber bspw. auch die Arbeit der QYVIE innerhalb der HOSI zeigen, dass diese Kämpfe queer und intersektional sein müssen: Sowohl bei Femiziden als auch bei der Arbeit mit queeren Jugendlichen reicht es nicht, ausschließlich die Ebene des Geschlechts zu betrachten. Wir leben immer noch in einem patriarchalischen System, dessen Strukturen auch Rassismus, Ableismus, Klassismus und anderen systematischen Formen der Unterdrückung einen Nährboden bietet. Intersektionalität bedeutet, sich mit den verschiedenen, überlappenden Formen der Unterdrückung auseinanderzusetzen und daraufhin zu arbeiten, alle aufzulösen – und nicht nur eine.
Von Wellen und Post-Feminismus
Das ist also ein abstraktes Bild von den Zielen, die Feminismen heute verfolgen – die Gleichberechtigung aller Menschen und die Bekämpfung von struktureller Diskriminierung aufgrund von Geschlecht und anderer Faktoren. Es ist jedoch lediglich ein Bild, und manche feministischen Strömungen definieren ihren Feminismus anders. Feminismus war nie eine einheitliche Bewegung, und leider durchziehen sie seit jeher Spaltungen und Widersprüche. Der heutige Feminismus wird allgemeinhin als „Dritte Welle“ bezeichnet, manchmal auch als Post-Feminismus. Charakteristisch für Dritte-Welle-Feminist*innen ist ein Verständnis von Geschlechtergerechtigkeit, dass über die Kategorie „Frau“ hinaus reicht. Auch im Duden wird dieses Verständnis von Feminismus zugrunde gelegt:
„Oberbegriff für verschiedene Strömungen, die sich für die Gleichberechtigung, Selbstbestimmung und Freiheit aller Geschlechter, v. a. von Frauen, und gegen Sexismus einsetzen, z. B. durch das Hinwirken auf eine grundlegende Veränderung gesellschaftlicher Normen (wie der traditionellen patriarchalischen Rollenverteilung)“.
Zwei Punkte, die wir uns aus dieser Definition mitnehmen können, sind die verschiedenen Strömungen – den einen Feminismus gibt es eben nicht – und die Betonung auf Gleichberechtigung, Selbstbestimmung und Freiheit aller Geschlechter. Interessanterweise schiebt der Duden hier trotzdem nach, dass es im Feminismus vor allem um Frauen gehe, was, historisch betrachtet, durchaus eine nachvollziehbare Denkweise ist. Feministische Bewegungen seit Ende des 19. Jahrhunderts werden oft in drei Wellen aufgeteilt: In der ersten Welle um 1900 wurden Frauenrechte im Bereich Demokratie und Erwerbsarbeit erkämpft, die zweite Welle ab den 1960er Jahren war auf Themen wie Selbstbestimmung von Frauen, (sexualisierte) Gewalt, Pornografie, und im Zusammengang mit der Lesben- und Schwulenbewegung auf die Rechte von Minderheiten fokussiert.
Erst die dritte Welle hat den Fokus feministischer Bewegungen auf Frauen um andere Geschlechter erweitert, indem insbesondere die aufkommende Queer Theory an den Universitäten seit ca. 1990 die Auflösung von Geschlecht als Kategorie in den Raum gestellt hat. Insgesamt haben sich queer-feministische Strömungen von binären Vorstellungen gelöst und denken die Kämpfe um Geschlechtergerechtigkeit nicht nur mit Hinblick auf Menschen, deren Geschlechtsidentität in kein binäres, heteronormatives System passt, sondern auch mit anderen Diskriminierungsebenen, wie Herkunft, Hautfarbe, Religion, finanziellen Möglichkeiten und physischen/psychischen Beeinträchtigungen zusammen. Um verschiedene Diskriminierungsebenen in eine gesellschaftliche Analyse mit einzubeziehen, denken queer-feministische Strömungen heute intersektional, sie erkennen also an, dass Menschen aufgrund von ungleich verteilten Machtverhältnissen mehrfach unterdrückt werden können.
Als queere Menschen eint uns alle eine Diskriminierungsebene, weil wir nicht der Cis-Hetero-Norm entsprechen, aber ihre Auswirkungen treffen uns unterschiedlich stark. Betrachten wir zunächst zwei lesbische Frauen, die eine entspricht dem Stereotyp einer „Butch“ (gekennzeichnet durch vermeintlich männliche Verhaltensweise, Ausdruck, Aussehen), die andere dem einer „Femme“ (gekennzeichnet durch vermeintlich weibliche Verhaltensweise, Ausdruck, Aussehen). Von der Mehrheitsgesellschaft werden diese beiden Personen unterschiedlich gelesen und unterschiedlich behandelt, z.B. reagieren Menschen auf das Outing von „Femme“-Lesben überrascht bzw. hinterfragend, während „Butch“-Lesben aufgrund ihres Ausbruchs aus gleich zwei Normen – die der Weiblichkeit und die der Heterosexualität – eher Ablehnung erfahren. Stellen wir uns vor, dass jeweils eine dieser Personen neben Geschlecht („Frau“) und Sexualität („lesbisch“) außerdem noch Schwarz ist oder eine Behinderung hat, wird die Vielschichtigkeit der Auswirkungen von gesellschaftlichen Strukturen auf diese beiden Personen deutlich.
Queeren Feminismus zu leben, heißt, nicht nur die Ebenen, die eindeutig mit queer sein verbunden sind, anzuerkennen, sondern auch andere unterdrückende Strukturen in Frage zu stellen. Dabei müssen wir nicht zwangsläufig Geschlecht als Kategorie per se in Frage stellen, wie es insbesondere post-feministische Ansätze tun. Aber Menschen sind niemals nur queer, sondern vereinen viele Schubladen in sich. Als queere Menschen fühlen wir oft die Notwendigkeit, unsere Queerness besonders hervorzuheben, einfach weil die Mehrheitsgesellschaft unsere Lebensrealitäten sonst ignoriert, oder im schlimmsten Fall negiert. Gerade weil wir verstehen, wie es sich anfühlt, marginalisiert zu werden, müssen wir nicht nur akzeptierten, dass es andere Diskriminierungsebenen neben der Hetero-Matrix gibt, sondern wir müssen unsere feministischen Kämpfe geeint führen.
Wenn „Frau sein“ schon eine vereinigende Kategorie ist, die seit mehr als 120 Jahren für gemeinsame Kämpfe bemüht wird, wie stark kann dann eine Bewegung werden, die „Unterdrückte“ als Kategorie bemüht?
(mit Nelly Lötsch)