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Luna-Check Schwerpunkt

ZurĂŒck zur Sichtbarkeit

Sich mutig öffentlichen Raum nehmen, sich nicht mehr verstecken und fĂŒrchten, wider alle Vorurteile, Kritik und AnwĂŒrfe mit dem Sichtbar-Werden und den damit verbundenen AktivitĂ€ten positive VerĂ€nderungen bewirken in den Köpfen und Herzen der Menschen: das hat die HOSI-Lesbengruppe seit Anbeginn getan und damit in Österreich Geschichte geschrieben.

Davon zeugt die Ausstellung „SICHTBAR. 40 Jahre HOSI-Wien-Lesben*­gruppe“ im Gugg zu sehen war. Beim Schreiben dieser Zeilen ist es exakt 40 Jahre her seitdem es diese großartigen Aktivistinnen gibt; KĂ€mpfe, Erfolge, Ereignisse ĂŒber vier Dekaden, die junge Lesben und andere LGBTIQ-Personen – wenn ĂŒberhaupt – nur aus ErzĂ€hlungen kennen. In der heute so schnelllebigen Zeit, in der schon Fotos auf Instagram nach wenigen Tagen aus der Wahrnehmung wieder verschwunden sind, ist der Blick auf unsere Geschichte wichtig. Denn wie sagte doch Bruno Kreisky, der sich 1979 (also zwei Jahre vor GrĂŒndung der HOSI-Lesbengruppe) nicht gescheut hatte, die g’standene Feministin (und Lesbe, auch wenn sie dies wĂ€hrend ihrer aktiven Zeit als Politikerin nicht öffentlich machte) Johanna Dohnal in die Regierung zu holen: „Lernen Sie Geschichte!“ Dazu diente die wunderbare Ausstellung und es geht weiter mit dem vorliegende „SICHTBAR“-Buch, aus der diesmal mein „Luna-Check“ stammt:

Die HOSI-Lesbengruppe, die heuer ihr 40(!)jĂ€hriges JubilĂ€um feiert, steht genau fĂŒr den im Titel erwĂ€hnten Gedanken: Wenn wir lesbischen Frauen uns nicht deklarieren, nicht offen zu unserer sexuellen Orientierung stehen, wird es nichts werden mit einem Leben in Freiheit.

Freiheit, das ist selbstverstĂ€ndlich ein breiter Begriff, und fĂŒr die Freiheit, die ich hier meine, braucht es auch noch andere Voraussetzungen: gute Gleichstellungs- und Antidiskriminierungsgesetze, eine offene, sozial gerechte Politik und Gesellschaft, MĂ€nner – egal ob schwul oder nicht – die Frauenrechte und Gleichstellung einfordern und bereit sind, einen Teil ihrer Macht und ihres Geldes abzugeben, und ihre eigenen MĂ€nner- und Frauenbilder, Geschlechterrollen insgesamt, zu hinterfragen – und insgesamt Respekt und Akzeptanz – denn nur „toleriert“, also „geduldet“ zu werden, das war mir und auch den Frauen der Hosi-Lesben-Gruppe schon immer zu wenig.

All jene, die wie ich schon zu GrĂŒndungszeiten der HOSI-Lesbengruppe meine ersten frauenliebenden Schritte gesetzt haben, wissen, wie angstbesetzt und daher vorsichtig viele von uns waren, wenn es darum ging, ĂŒber unsere Freundinnen hinaus offen dazu zu stehen, dass wir lesbisch sind, ohne Scham und Furcht: gegenĂŒber unseren Herkunftsfamilien, an unseren Schulen und UniversitĂ€ten, an unseren ArbeitsplĂ€tzen, in unseren Sport- und anderen Vereinen, in der Disco oder der Tanzschule, wenn wir bei der „besten Freundin“ ĂŒbernachteten, aber weder ihre noch unsere Eltern wussten, dass wir ineinander verliebt waren und uns ganz zĂ€rtlich aufs erste Liebesabenteuer einließen


Wie viele LGBTI-Organisationen war auch die HOSI Wien zu Beginn – vor 42 Jahren – eine reine MĂ€nnerorganisation. Sich darin als Frauen, als Lesben durchzusetzen, ernst genommen zu werden, einen eigenen örtlichen, zeitlichen und auch politischen Raum zu fordern und dann auch einzunehmen – also „zu liefern“ – war sicherlich nicht immer einfach. Mehrere der Protagonistinnen der ersten Stunde sind leider nicht mehr unter uns, ich erinnere nur an Helga Pankratz und an Gudrun Hauer von den Lambda Nachrichten, aber die Hosi-Lesbengruppe hat sich ĂŒber die Jahre als fixer Bestandteil am Hosi-Him mel etabliert – und ist auch heute noch notwendig. Danke fĂŒr Eure Arbeit, herzlichen GlĂŒckwunsch zum Geburtstag und viel Erfolg in der Zukunft!

Aber zurĂŒck zur Sichtbarkeit

Als ich 1995 das erste Mal fĂŒr die GrĂŒnen fĂŒr den Nationalrat kandidierte, war mir die Sichtbarkeit ein zentrales Anliegen. Es gab damals in Österreich keine öffentlich weit bekannte und offen lebende Lesbe. Von Johanna Dohnal, die ich immer sehr geschĂ€tzt habe, wusste ich es, so wie viele andere. Aber so sehr viele von uns auch gewĂŒnscht haben, dass sie offen zu ihrem Lesbisch-Sein steht, so sehr hatte ich auch ein gewisses VerstĂ€ndnis dafĂŒr, dass sie ihre sexuelle Orientierung in ihrer aktiven Zeit als Politikerin verschwieg: Als deklarierte Feministin mit ihrem unverkennbaren Stil und ihrer fĂŒr viele provokanten Rhetorik wie auch Politik war sie in der Regierung, in breiten Teilen der Bevölkerung und auch bei vielen in der SPÖ ein „rotes Tuch“ – und es war wohl nicht von ungefĂ€hr, dass sie von Bundeskanzler Franz Vranitzky 1995 abgesetzt wurde – kurz vor der 4. Weltfrauenkonferenz in Beijing, fĂŒr die sie in Österreich wichtige Vorbereitungen betrieben hatte.

Auch schwule MĂ€nner waren der breiten Öffentlichkeit damals so gut wie nicht bekannt – einzig GĂŒnther Tolar hatte wenige Jahre zuvor mit seinem beruflichen und damit öffentlichen Coming Out (er war ORF-Talkmaster) fĂŒr Aufsehen gesorgt.

Ich war – neben meinem beruflichen Fokus auf (feministische) Entwicklungspolitik – ab Ende der 1970er-Jahre in v.a. feministischen bzw. lesbisch-feministischen und dann in den 1990ern in schwul-lesbischen ZusammenhĂ€ngen (v.a. dem ÖLSF, dem Österreichischen Lesben- und Schwulenforum) aktiv. Klar war mir die HOSI-Wien bekannt, ich nahm auch immer wieder an Aktionen teil – zum Beispiel dem Tanz unter dem riesigen rosa Winkel am Stephansplatz im Jahr 1991 – doch auf die Idee, mich der HOSI-Lesbengruppe anzuschließen kam ich nicht.

Warum? Zu jener Zeit (in den 1980ern) lag der Schwerpunkt meines zivilgesellschaftlichen Engagements in feministischen ZusammenhĂ€ngen, und deshalb wollte ich damals auch nicht mit schwulen MĂ€nnern zusammenarbeiten. Ich kannte jedoch Waltraud Riegler, Helga Pankratz, Gudrun Hauer – und Waltraud war es, die mich 1989 fragte, ob ich nicht bei der von der HOSI Wien damals schon zum zweiten Mal organisierten Weltkonferenz der ILGA (International Lesbian and Gay Association – beim ersten Mal 1983 hieß die Organisation ĂŒbrigens noch IGA, International Gay Association (soviel zum Thema Sichtbarmachen von Lesben!), fĂŒr die Lateinamerikanerinnen dolmetschen wollte – eine Bitte, der ich sehr gerne nachkam, ich hatte ja Dolmetsch studiert, Englisch und Spanisch. FĂŒr die An.schlĂ€ge hatte ich bei meinem Besuch in Nicaragua 1989 ein Interview mit einer sandinistischen Lesbe gefĂŒhrt, welches auch in den Lambda Nachrichten abgedruckt wurde (LN 3/1989, S. 62-64).

Diese ILGA-Konferenz war ĂŒbrigens mein Einstieg in ein stĂ€rker politisches Engagement zu unserem Thema. Die da malige Erfahrung, den ersten international bekannten offen schwulen Abgeordneten – den Kanadier Svend Robertson – kennen zu lernen, hat sicherlich dazu beigetragen, dass ich mich mehr fĂŒr die Rechtslage in Österreich zu interessieren begann, und schließlich 1995 den Schritt in die Partei- und Parlamentspolitik wagte. Außerdem lernte ich damals, 1989, meine heutige Partnerin kennen: Rebeca Sevilla war zu jener Zeit Direktorin von MHOL, dem Movimiento Homosexual de Lima, spĂ€ter, als unsere Beziehung 1993 begann, Co-GeneralsekretĂ€rin der ILGA – ĂŒbrigens eine Zeit lang gemeinsam mit John Clark, dem Wahlwiener und langjĂ€hrigen HOSI-Wien-Aktivisten. Also gleich zwei GrĂŒnde, warum ich der HOSI, inkl. der HOSI-Lesbengruppe, sehr zu Dank verpflichtet bin!

Sichtbarkeit und Gesetze

HomosexualitĂ€t: bedeutet in den Köpfen der meisten Menschen ,schwul‘ – und ist außerdem explizit mit SexualitĂ€t, verbunden, was zwar ein wichtiger Teil unseres Lebens ist, aber lange nicht alles, was uns zu gleichgeschlechtlich liebenden Frauen macht. Auf Englisch verwenden viele Lesben den Terminus ,gay‘ fĂŒr sich, was mir aus der Sichtbarkeitsperspektive unverstĂ€ndlich ist, denn auch hier ist es so: die meisten Menschen – egal ob hetero/a oder nicht – verstehen unter ,gay‘ schwule MĂ€nner.

Viele engagierte schwule MĂ€nner haben außerdem als einziges Aktivismus-Feld die Verbesserung der Lebensbedingungen von Schwulen, und die wenigsten haben sich ausfĂŒhrlich mit Feminismus befasst, was wiederum zu – Ausnahmen bestĂ€tigen die Regel – UnverstĂ€ndnis bzgl. des BedĂŒrfnisses nach sprachlicher Anerkennung und Sichtbarmachung des Daseins von lesbischen Frauen fĂŒhrt.

Aus all diesen und noch viel mehr GrĂŒnden ist weiterhin Engagement nötig: Gerade in Zeiten von Backlash, erstarkenden Anti-Gender-Ideoloien und religiösen Fundamentalismen ist es nötig, den Kopf nicht in den Sand zu stecken, sich nicht unterkriegen zu lassen, denn das ist es was unsere Gegner:innen wollen: dass wir uns wieder vor lauter Angst in die eigenen vier WĂ€nde, in private RĂ€ume zurĂŒckziehen und die hart erkĂ€mpfte Sichtbarkeit als Frauen und als Lesben wieder verlieren. Und wenn wir unser Land, also Österreich, und viele Teile unseres Kontinents mit dem Großteil der Welt vergleichen – beim Schreiben dieser Zeilen haben die Taliban gerade Kabul ĂŒbernommen – dann bleibt noch viel zu tun, um Frauen – Lesben wie Heteras und selbstverstĂ€ndlich auch jenen, die sich nicht binĂ€r definieren – ein eigenstĂ€ndiges, selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen, bzw. sie dabei zu unterstĂŒtzen. Angst ist jedenfalls – obwohl oft real begrĂŒndet – ein schlechter Ratgeber fĂŒrs Leben, und die HOSI-Lesben haben viel dazu beigetragen, dass Lesben es wagen, offener mit ihrer sexuellen Orientie rung umzugehen, ein angstfreieres und selbstbestimmtes Leben zu fĂŒhren. Out and Proud and Loud, das wĂŒnsche ich der Hosi-Lesbengruppe auch fĂŒr die nĂ€chsten Jahrzehnte! Bleibt offen und kĂ€mpferisch und laut, wir brauchen die HOSI-Lesben auch weiterhin!

Von Ulrike Lunacek

Mag.ÂȘ Ulrike Lunacek ist langjĂ€hrige Bundes- und Europapolitikerin der GrĂŒnen und seit ihrem RĂŒckzug aus der Politik im Mai 2020 als Autorin, Referentin und Moderatorin tĂ€tig und in einigen Organisationen der Zivilgesellschaft aktiv.